Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Leipziger Bienenschwarm will auch Paris überfallen
Anstehendes Trainerduell zwischen Nagelsmann und Tuchel führt zurück bis in bayerisch-schwäbische Provinz
LISSABON (dpa) - Braun gebrannt und gut gelaunt sah Julian Nagelsmann aus wie ein Portugal-Urlauber nach einem Strandausflug. Die kurze Nacht nach dem größten Sieg seiner Karriere hatte dem Trainer von RB Leipzig nicht geschadet. Und die gute Laune nach dem Coup gegen Atlético Madrid hatte der jüngste Halbfinal-Coach in der Geschichte der Königsklasse auch konserviert. Während ganz Fußball-Europa über das frische, freche RB Leipzig staunt, schickte der 33-Jährige vor dem brisanten Duell um den Einzug ins Finale der Champions League ausgerechnet gegen seinen Entdecker Thomas Tuchel seine Atlético-Bezwinger nach einem freien Vormittag einfach zum lockeren Auslaufen.
„Nach meinem Wissen waren alle beim Frühstück“, berichtete Nagelsmann von großer Selbstdisziplin. Er selbst gönnte sich in der kurzen Nacht nur eine „GrapefruitsaftSchorle und ein Superbock“und verstieß damit ein bisschen gegen die eigenen Vorgaben. „Gut essen, gut trinken, keinen Alkohol, sondern viel Wasser, den Flüssigkeitshaushalt auffüllen. Viel schlafen, und dann ist das Spiel, was bevorsteht, eine große Sache“, verkündete er seinen Masterplan für die nächste Station der selbst ausgerufenen „Missão Final“am Dienstag (21 Uhr/Sky) gegen Paris Saint-Germain.
Die via Instagram gezeigten Feierlichkeiten in der Kabine des Estádio José Alvalade nach dem 2:1 gegen Atlético Madrid muteten schon an wie eine echte Champions-Party von Siegtorschütze Tyler Adams und Abwehrgigant Dayot Upamacano. Nagelsmann will sich aber trotz des großen Respekts, der ihm und seinem
Team entgegenschlägt, nicht zu weit nach vorne wagen. Auf die Frage nach einer Titelansage reagierte er mit einem herzhaften Lachen.
Dass der Griff nach dem Henkelpott beim Blitzturnier von Lissabon möglich ist, weiß er auch. „Eine Titelansage gibt es nicht, aber es ist ja selbstredend und selbsterklärend, dass wir jetzt ins Finale kommen wollen“, sagte Nagelsmann. Ein Vergleich mit Otto Rehhagel verbietet sich eigentlich. Komplett unterschiedlich sind Charakter, Generation und persönlicher Werdegang. Aber an exakt der gleichen Stelle hatte die Trainerikone vor 16 Jahren als großer Underdog mit Griechenland einen Viertelfinalsieg gegen Frankreich gefeiert – gekrönt vom EM-Triumph wenige Tage später im Estádio da Luz, wo Nagelsmann am 23. August auch seinen Coup landen könnte.
Und war der Weg dahin trotz seiner jungen Alters lang: Gut möglich also, dass seine Gedanken in den wenigen ruhigen Momenten derzeit nach Gersthofen wandern. In der bayerisch-schwäbischen Provinz erledigte er im kalten Januar 2008 seinen ersten Job als Trainergehilfe. Und zwar im Auftrag eines gewissen Thomas Tuchel. Der 20 Jahre alte Nagelsmann sollte Informationen über den Gegner des FC Augsburg II sammeln und war ziemlich aufgeregt. Jetzt will Nagelsmann die Anfänge seiner Trainerlaufbahn und die bemerkenswerten Schnittstellen mit Tuchel nicht in den Mittelpunkt stellen. „Das ist lange Jahre her“, meinte der RB-Coach. „Das Verhältnis ist, seitdem er bei PSG ist, normal. Wir haben noch nie ein extrem inniges Verhältnis gehabt“, sagte der 33-Jährige. Für ihn war es auch keine glückliche Zeit, ein Meniskusschaden zwang ihn zum Abbruch der noch gar nicht richtig begonnenen Spielerkarriere.
Nach den Siegen gegen José Mourinhos Tottenham und Diego Simeones Atlético kann Nagelsmann Tuchel auf Augenhöhe begegnen. Keiner schaffte Königsklassen-Siege gegen die Trainer-Heißsporne in einer Saison. Seine Rolle wollte Nagelsmann nicht überbewerten: „Ich muss schon festhalten, dass die Mannschaft und wir als Kollektiv Tottenham ausgeschaltet haben und heute Atlético. Da geht es nicht um Trainerduelle gegen Mourinho, Simeone oder jetzt gegen Tuchel. Es ist ein Mannschaftssport, und die Mannschaft hat es herausragend gemacht.“
Internationalen Respekt hat sich RB mit seinem Siegeszug unter die Top 4 Europas verschafft. Die spanische „Marca“schrieb von einem Leipziger „Bienenschwarm“, der über Atlético hergefallen sei. Die italienische Zeitung „La Repubblica“erinnerte an den rasanten Aufstieg in elf Jahren, aber auch daran, dass dieser nur durch die Finanzierung von Brause-Milliardär Dietrich Mateschitz möglich gewesen sei.
Die Leipziger wollen dagegen die romantische Seite des Märchens hervorheben. Den rasanten Aufstieg fasste Yussuf Poulsen zusammen. „Das ist eine außergewöhnliche Geschichte. Von der 3. Liga bis ins Champions-League-Halbfinale. Das gab es noch nie, weder für einen Verein noch für einen Spieler. Deshalb ist es großartig.“Auf den Tag genau sieben Jahre vor dem Halbfinaltermin am Dienstag hatte er am 18. August 2013 mit RB noch in der 3. Liga gegen den MSV Duisburg gespielt.
Schweiz verschiebt Saisonstart: Der Saisonstart in den beiden höchsten Ligen der Schweiz ist um eine Woche verschoben worden. Der erste Spieltag war ursprünglich für das Wochenende vom 11. bis 13. September vorgesehen. Nach dem Beschluss der Swiss Football League (SFL) beginnt die Spielzeit nun am Wochenende 19./20. September. Hintergrund ist eine Entscheidung des Bundesrats der Schweiz, vom 1. Oktober an Veranstaltungen mit mehr als 1 000 Menschen wieder zuzulassen.
VfB erhält Rabattstrafe: Der VfB Stuttgart muss für Verfehlungen seiner Fans beim Auswärtsspiel bei Hannover 96 im Dezember weniger Strafe als üblich zahlen. Das Sportgericht des DFB belegte den Bundesliga-Rückkehrer mit einer Strafe in Höhe von 22 500 Euro – und räumte dem VfB damit einen Rabatt von etwa 25 Prozent ein. „Dies geschieht in Zeiten der Corona-Pandemie deshalb, weil die Clubs gerade durch fehlende Zuschauereinnahmen derzeit finanzielle Einbußen in nicht unerheblichem Maße hinnehmen müssen“, erklärte der Sportgerichts-Vorsitzende Hans E. Lorenz. Derweil ist der für Freitag geplante Test des VfB gegen Olympique Marseille wegen eines Corona-Verdachtfalls beim französischen Erstligisten abgesagt worden.