Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Wie ein Lexikon zum Lebensinhalt werden kann
Geschwisterliebe, die auf die Probe gestellt wird
Ein Sammellexikon ist der Lichtblick im Leben von Lenny und Davey Spink und schweißt die beiden Geschwister zusammen. Woche für Woche treffen in alphabetischer Ordnung neue Bände ein, die die beiden verschlingen. Wenn sie gemeinsam die Bände durchstöbern, träumen sie. Immer wieder zum Beispiel von einer Reise mit dem Heißluftballon nach Kanada, und dann weiter mit dem Fahrrad zum großen Bärensee. Oder davon, ihren Vater wiederzufinden. Der hat die beiden und ihre Mutter Jahre zuvor verlassen.
Die Mutter der beiden Kinder arbeitet viel, Lenny und Davey verbringen deshalb oft Zeit bei der Nachbarin. Außerdem leidet die ganze Familie darunter, dass Davey nicht aufhört zu wachsen. Als er in die Schule kommt, ist er schon so groß wie ein Fünfzehnjähriger. Das wird für alle immer mehr zur Belastungsprobe. Vor allem Lenny hat daran zu knacken. Ihr Bruder steht zunehmend im Mittelpunkt. Die Geschwister entfremden sich, teilen keine Geheimnisse mehr. Irgendwann geht Mrs. Spink mit ihrem Sohn zum Arzt und es wird ein lebensgefährlicher
Tumor im Gehirn diagnostiziert. Wie mit dieser schrecklichen Neuigkeit umgehen?
Der Leser erlebt die Geschichte aus Lennys Sicht. Auch wenn ihr Bruder sie anfängt zu nerven, kreisen ihre Gedanken ständig um ihn. Sie nennt Davey zwar ein „großes Riesenbaby“, ihre Erzählungen lesen sich aber niemals vorwurfsvoll. Manchmal sogar eher voller Bewunderung, wie ihr Bruder seinen Alltag meistert. Das weckt Mitleid. Als Leser fragt man sich: Wer nimmt dieses Mädchen einfach mal in den Arm? Ihr Bruder ist der mit der Schicksalsgeschichte. Und zugleich der, der Lenny aufweckt und ablenken kann. Wenn die beiden ihre Lexikonhefte durchblättern, stolpern sie nicht über trockene Erklärungen, sondern entdecken ihre Fantasie und stecken den Leser mit an.
Mit ihrem Buch beschreibt Karen Foxlee, dass Verluste im Leben nicht nur Wunden aufreißen, sondern an anderer Stelle zusammenschweißen können.
Karen Foxlee: „Alles, was wir träumten.“Beltz & Gelberg-Verlag. Leseempfehlung ab 13 Jahren. 347 Seiten. 16,95 Euro.