Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Viel Steine gab’s und wenig Sonne
Albschäferweg, Folge 3: Wentalweible, Whisky und ein mächtiger Wumms
Die Übernachtung im Hirsch in Gussenstadt bei Gerstetten birgt eine gewisse Gefahr. Denn bei den Wirtsleuten Hoffie wird seit 1806 ein besonderer Schnaps gebrannt, zum Beispiel aus Blauem Portugieser, aus Palmischbirnen oder aus Gewürzluiken. Wer am Abend zu tief ins Glas geschaut oder gar kräftig dem hauseigenen, prämierten Schwäbischen Whisky zugesprochen hat, wird es auf der nächsten Etappe nach Steinheim bitter bereuen. Über 18 Kilometer misst sie, 319 Meter führt sie bergauf und 412 bergab und ist einfach nur zum Genießen – sofern man einen klaren Kopf hat.
Wie aus einem feinen Zerstäuber nieselt an diesem Morgen unablässig der Regen. Macht nichts, ganz im Gegenteil. Die Alb präsentiert sich bei dieser Witterung in einem besonders mystischen Kleid. Alte, verknorrte Eichen tauchen im Grau auf wie mehrarmige Geister. Nebelschwaden wabern durch die Täler. Die nur vage gezeichneten Umrisse der Kalkfelsen regen die Fantasie an.
Kurz vor Steinheim erreichen die Wanderer den Rand des Meteorkraters, in dessen Becken die Orte Sontheim und Steinheim liegen und – weltweit einzigartig – ein bestens erhaltener Zentralhügel. Vor rund 15 Millionen Jahren hat hier ein Meteorit mit einem Durchmesser von rund 100 Metern eingeschlagen und ein Loch hinterlassen, das im Durchmesser 3,5 Kilometer groß und knapp 100 Meter tief ist: Heute nennt man es das Steinheimer Becken. „Der Einschlag hatte so viel Energie wie mehrere Atombomben. Zwischen Paris und Prag gab es danach kein Leben mehr“, erklärt Alb-Guide Walter Kraft anschaulich. Kaum zu glauben, denn nur Millionen von Jahren später führt eine herrliche Lindenallee hinunter nach Steinheim, am Kraterrand blüht es prächtig und das weitläufige Gelände des Segelflugplatzes, den der Wanderer umrunden muss, präsentiert sich in kräftigem Rasengrün.
Kraft hat sich auf Kraterführungen spezialisiert und wandert mit Gruppen zum Beispiel auf dem 20 Kilometer langen MeteorkraterRundweg. „20 Kilometer hören sich erst mal nicht viel an, sind aber für einen Tag ganz schön anstrengend. Es geht nämlich ständig bergauf und bergab“, beschreibt Kraft. Auch der Albschäferweg verläuft während der vierten und auch noch während der fünften Etappe nach Zang teilweise auf dieser Strecke. Das erfordert ein gewisses Maß an Kondition und Konzentration. Durch den Regen sind die Pfade recht glitschig geworden und mancher Felsbrocken spiegelglatt.
Apropos Felsbrocken: Rund um Steinheim und auf dem Weg nach Zang zeigt sich die Alb meist so, wie man sie sich gemeinhin vorstellt, nämlich schroff. Im Wental beeindrucken besonders die rund 30 freistehenden, bizarren Dolomitkalkfelsen, darunter das Wentalweible. Die nadelförmige Gesteinsbildung mit dem Gipfelkreuz ist das Wahrzeichen des Tals und mit einer besonderen Geschichte verbunden. Früher soll in Steinheim eine geizige Krämerin gelebt haben. Eines Tages geriet sie auf dem Heimweg durchs Wental in ein Gewitter. Ein gewaltiger Blitz fuhr vom Himmel und verwandelte die Krämerin in Stein. Nur während der Stürme in der Andreasnacht vom 29. auf den 30. November soll sie alljährlich wieder lebendig umherirren.
Legenden wie die des Wentalweibles gibt es jede Menge auf der Schwäbischen Alb. Viele hängen mit den besonderen Felsformationen zusammen. Die Kinder und Jugendlichen, die mit ihren Eltern an diesem Sonntag einen Ausflug hierher unternommen haben, scheinen die alten Geschichten wenig zu kümmern. Für sie ist das sogenannte Felsenmeer ein einziger riesiger Kletterpark. Im Gegensatz zum Besteigen des Wentalweibles ist hier das Herumturnen zwischen den Steinen erlaubt. Mit der gebotenen Vorsicht, selbstverständlich.
Der Albschäferwegwanderer schont aber besser seine Knochen, denn es liegt noch ein gutes Stück des Weges vor ihm, das meist bergauf bis Zang führt. Kommt er schließlich nach rund 15 Kilometern aus dem Gießenholzwald, öffnet sich der Blick auf das kleine Dorf mit seinen vielen adrett hergerichteten Häusern. Mittendrin überrascht der Löwen,
Sommerzeit
ein großer Hotelkomplex mit Biergarten, Ferienchalets, Schauküche, Feinkostladen, Weinkeller, zwei Restaurants und mehr. Spätestens jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, am Abend das berühmte Ostalblamm zu genießen. Schäfer, Metzgereien, Gastronomen und Hofläden des Landkreises Heidenheim haben sich zu einer regionalen Initiative zusammengeschlossen, um diese Marke zu schützen und zu vertreiben. Ein Ostalblamm muss zum Beispiel bis zu seiner Schlachtung artgerecht gehalten werden und darf nicht mehr als 30 Kilogramm wiegen. Die vielen Wiesenkräuter der Wacholderheiden geben dem zarten Fleisch des Lamms ein unvergleichliches Aroma. Und die Gastronomen zaubern daraus köstliche Gerichte. Unbedingt probieren!