Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Virtuelle Amtsstuben dank Corona
Seit Beginn der Pandemie ist die Zahl der Online-Angebote von Behörden stark gestiegen
STUTTGART - Geschlossene Amtsstuben, Homeoffice, Lockdown: Die Corona-Pandemie hat Behörden ausgebremst. Online können Bürger aber weiter längst nicht jeden Behördengang erledigen. Doch seit Beginn der Pandemie hat sich etwas getan. Baden-Württembergs Innenministerium hat ein Schnellverfahren entwickelt, mit dessen Hilfe Gemeinden sehr schnell viele Dienstleistungen online anbieten können. Ergebnis: Seit Pandemiebeginn kamen Tausende neue Online-Angebote hinzu – von Hundesteuer-Anmeldung bis zu Vaterschafts-Anerkennung.
Wie lief es vor der Corona-Krise? Das Stuttgarter Innenministerium entwickelte Online-Formulare. Dafür setzen sich IT-Experten mit einigen Gemeinden zusammen, dazu kommen Mitarbeiter aus den Fachministerien. Diese Teams überlegen: Kann man den Verwaltungsakt an sich vereinfachen? Welche Informationen benötigen die Behörden vom Bürger? Wie kann dieser ein Formular am besten verstehen? Dann entsteht ein Online-Formular. Mitarbeite von Verwaltungen und Bürger testen es. Bewährt es sich, stellt das Land dieses Formular über sein Webportal Service-bw allen Gemeinde zur Verfügung. Die IT-Fachleute vor Ort können sich dort anmelden und jene Formulare für ihre Gemeinde auswählen, die sie nutzen wollen. Bürger werden vom Webauftritt der Gemeinde auf das Formular geleitet. Die Informationen landen entweder als PDF im Postfach der Gemeinden. Oder die Informationen werden an PC-Programme weitergegeben, die Gemeinden zur Bearbeitung eines Vorgangs nutzen.
Was hat sich nun geändert?
Das Standardverfahren ist gründlich, dauert aber in der Regel etwa neun Monate. Zu Beginn der Corona-Pandemie war dem Ministerium klar: Jetzt muss alles schneller gehen. Darauf suchte ein Dienstleister einen schnelleren Weg – ein „Universalprozess“, der für möglichst viele Verwaltungsverfahren passt. Der Trick: Mit einem Standardformular werden jene Informationen erhoben, die immer wichtig sind, wie etwa Namen und Adresse. Eine Stadt kann die Formulare anpassen. Zum anderen kann sie PDF-Fomulare einbinden. Der Nutzer füllt sie am Bildschirm aus und lädt sie hoch. Die Gemeinden müssen wie gehabt nichts programmieren oder an ihrer eigenen Technik ändern. Sie nutzen die Plattform des Landes, auf die sie Bürger per
Link lenken. Das funktioniert auch bei Verfahren, die eigentlich eine Unterschrift benötigen. Dazu können eID-Verfahren wie etwa OnlineFunktionen des Personalausweises genutzt werden. Die fälligen Gebühren werden angezeigt, künftig soll eine Onlinezahlung möglich sein.
Wie erfolgreich war das? Aktuell nutzen 120 von mehr als 1000 Gemeinden die neue Möglichkeit, virtuelle Behördengänge anzubieten. Zur Einordnung: Im Land gibt es viele kleine Gemeinden, die sich oft zu Verwaltungsverbünden zusammenschließen. Und: Kleine Orte warten, bis sich Neues bei den großen etabliert. Den Bürgern stehen laut Innenministerium auf diesem Weg mehr als 3750 Dienstleistungen zur Verfügung. Besonders beliebt sind Ummeldungen des Wohnsitzes: 63 Städte und Dörfer ermöglichen das seit Beginn der Corona-Pandemie. Ähnlich oft im Angebot sind An-, Ab- oder Ummeldungen für ein Gewerbe. Hinzu kommen OnlineAngebote, die es schon vor Corona gab. Dazu hat das Innenministerium allerdings keine Zahlen. Unter den
Top 5 der Gemeinden ist Tuttlingen mit 224 Serviceangeboten. „Als Pilotkommune waren wir schon lange mit dem Ministerium dabei, die Voraussetzungen zu schaffen, um mehr Online-Service für Bürger anzubieten. Die Pandemie hat zusätzlich aufs Gas gedrückt“, so Stadtsprecher Specht. Heute seien fast alle kommunalen Leistungen im Netz verfügbar – zumindest die Anträge könnten Bürger stellen. Weitere Schritte wie das Einreichen weiterer Unterlagen folgten auf anderen Wegen. Komplett online zu erledigen seien zwölf Verfahren.
Wie geht es jetzt weiter?
Längst nicht alle Gemeinden bieten Online-Dienstleistungen an. Doch bis Ende 2022 müssen alle Behörden in Deutschland ihre Angebote online zur Verfügung stellen. Innenminister Thomas Strobl (CDU) ist optimistisch. Er geht davon aus, dass dieses Ziel in Baden-Württemberg dank des neuen Booms bereits 2021 erreicht wird. Gudrun Heute-Bluhm, Geschäftsführerin des Städtetags, sieht das Land auf einem guten Weg: „Dank des neuen Universalprozesses haben wir endlich auch eine nennenswerte Menge von Online-Verfahren im Land. Das hilft, Bürger und Verwaltungen davon zu überzeugen, sich eine digitale Identität zu verschaffen“. Um den Prozess voranzutreiben, bietet das Land den zunächst als Provisorium gedachten neuen Weg standardmäßig an. Einige komplexe Verfahren benötigen mehr Vorarbeit, etwa vieles rund um das Baurecht. Hier wird das Ministerium wie vor der Corona-Pandemie mit Gemeinden Formulare entwickeln.
Wo liegen Probleme? Deutschland muss enorm aufholen. So nutzen die Deutschen laut der DESI-Studie der EU von 2019 E-Angebote der Behörden deutlich seltener als andere EU-Bürger. Deutschland liegt hier auf Platz 26 von28. Daniel Karrais, IT-Experte der FDP im Landtag, sagt daher: „Der Lockdown während der Corona-Pandemie hat eindrucksvoll gezeigt, wo die Rückstände bei der Verwaltungsdigitalisierung liegen. Umso erfreulicher ist es, dass sich die Landesregierung zügig um Verbesserung bemüht hat – leider mehr getrieben als aus eigenem Antrieb.“