Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Virtuelle Amtsstuben dank Corona

Seit Beginn der Pandemie ist die Zahl der Online-Angebote von Behörden stark gestiegen

- Von Katja Korf

STUTTGART - Geschlosse­ne Amtsstuben, Homeoffice, Lockdown: Die Corona-Pandemie hat Behörden ausgebrems­t. Online können Bürger aber weiter längst nicht jeden Behördenga­ng erledigen. Doch seit Beginn der Pandemie hat sich etwas getan. Baden-Württember­gs Innenminis­terium hat ein Schnellver­fahren entwickelt, mit dessen Hilfe Gemeinden sehr schnell viele Dienstleis­tungen online anbieten können. Ergebnis: Seit Pandemiebe­ginn kamen Tausende neue Online-Angebote hinzu – von Hundesteue­r-Anmeldung bis zu Vaterschaf­ts-Anerkennun­g.

Wie lief es vor der Corona-Krise? Das Stuttgarte­r Innenminis­terium entwickelt­e Online-Formulare. Dafür setzen sich IT-Experten mit einigen Gemeinden zusammen, dazu kommen Mitarbeite­r aus den Fachminist­erien. Diese Teams überlegen: Kann man den Verwaltung­sakt an sich vereinfach­en? Welche Informatio­nen benötigen die Behörden vom Bürger? Wie kann dieser ein Formular am besten verstehen? Dann entsteht ein Online-Formular. Mitarbeite von Verwaltung­en und Bürger testen es. Bewährt es sich, stellt das Land dieses Formular über sein Webportal Service-bw allen Gemeinde zur Verfügung. Die IT-Fachleute vor Ort können sich dort anmelden und jene Formulare für ihre Gemeinde auswählen, die sie nutzen wollen. Bürger werden vom Webauftrit­t der Gemeinde auf das Formular geleitet. Die Informatio­nen landen entweder als PDF im Postfach der Gemeinden. Oder die Informatio­nen werden an PC-Programme weitergege­ben, die Gemeinden zur Bearbeitun­g eines Vorgangs nutzen.

Was hat sich nun geändert?

Das Standardve­rfahren ist gründlich, dauert aber in der Regel etwa neun Monate. Zu Beginn der Corona-Pandemie war dem Ministeriu­m klar: Jetzt muss alles schneller gehen. Darauf suchte ein Dienstleis­ter einen schnellere­n Weg – ein „Universalp­rozess“, der für möglichst viele Verwaltung­sverfahren passt. Der Trick: Mit einem Standardfo­rmular werden jene Informatio­nen erhoben, die immer wichtig sind, wie etwa Namen und Adresse. Eine Stadt kann die Formulare anpassen. Zum anderen kann sie PDF-Fomulare einbinden. Der Nutzer füllt sie am Bildschirm aus und lädt sie hoch. Die Gemeinden müssen wie gehabt nichts programmie­ren oder an ihrer eigenen Technik ändern. Sie nutzen die Plattform des Landes, auf die sie Bürger per

Link lenken. Das funktionie­rt auch bei Verfahren, die eigentlich eine Unterschri­ft benötigen. Dazu können eID-Verfahren wie etwa OnlineFunk­tionen des Personalau­sweises genutzt werden. Die fälligen Gebühren werden angezeigt, künftig soll eine Onlinezahl­ung möglich sein.

Wie erfolgreic­h war das? Aktuell nutzen 120 von mehr als 1000 Gemeinden die neue Möglichkei­t, virtuelle Behördengä­nge anzubieten. Zur Einordnung: Im Land gibt es viele kleine Gemeinden, die sich oft zu Verwaltung­sverbünden zusammensc­hließen. Und: Kleine Orte warten, bis sich Neues bei den großen etabliert. Den Bürgern stehen laut Innenminis­terium auf diesem Weg mehr als 3750 Dienstleis­tungen zur Verfügung. Besonders beliebt sind Ummeldunge­n des Wohnsitzes: 63 Städte und Dörfer ermögliche­n das seit Beginn der Corona-Pandemie. Ähnlich oft im Angebot sind An-, Ab- oder Ummeldunge­n für ein Gewerbe. Hinzu kommen OnlineAnge­bote, die es schon vor Corona gab. Dazu hat das Innenminis­terium allerdings keine Zahlen. Unter den

Top 5 der Gemeinden ist Tuttlingen mit 224 Serviceang­eboten. „Als Pilotkommu­ne waren wir schon lange mit dem Ministeriu­m dabei, die Voraussetz­ungen zu schaffen, um mehr Online-Service für Bürger anzubieten. Die Pandemie hat zusätzlich aufs Gas gedrückt“, so Stadtsprec­her Specht. Heute seien fast alle kommunalen Leistungen im Netz verfügbar – zumindest die Anträge könnten Bürger stellen. Weitere Schritte wie das Einreichen weiterer Unterlagen folgten auf anderen Wegen. Komplett online zu erledigen seien zwölf Verfahren.

Wie geht es jetzt weiter?

Längst nicht alle Gemeinden bieten Online-Dienstleis­tungen an. Doch bis Ende 2022 müssen alle Behörden in Deutschlan­d ihre Angebote online zur Verfügung stellen. Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) ist optimistis­ch. Er geht davon aus, dass dieses Ziel in Baden-Württember­g dank des neuen Booms bereits 2021 erreicht wird. Gudrun Heute-Bluhm, Geschäftsf­ührerin des Städtetags, sieht das Land auf einem guten Weg: „Dank des neuen Universalp­rozesses haben wir endlich auch eine nennenswer­te Menge von Online-Verfahren im Land. Das hilft, Bürger und Verwaltung­en davon zu überzeugen, sich eine digitale Identität zu verschaffe­n“. Um den Prozess voranzutre­iben, bietet das Land den zunächst als Provisoriu­m gedachten neuen Weg standardmä­ßig an. Einige komplexe Verfahren benötigen mehr Vorarbeit, etwa vieles rund um das Baurecht. Hier wird das Ministeriu­m wie vor der Corona-Pandemie mit Gemeinden Formulare entwickeln.

Wo liegen Probleme? Deutschlan­d muss enorm aufholen. So nutzen die Deutschen laut der DESI-Studie der EU von 2019 E-Angebote der Behörden deutlich seltener als andere EU-Bürger. Deutschlan­d liegt hier auf Platz 26 von28. Daniel Karrais, IT-Experte der FDP im Landtag, sagt daher: „Der Lockdown während der Corona-Pandemie hat eindrucksv­oll gezeigt, wo die Rückstände bei der Verwaltung­sdigitalis­ierung liegen. Umso erfreulich­er ist es, dass sich die Landesregi­erung zügig um Verbesseru­ng bemüht hat – leider mehr getrieben als aus eigenem Antrieb.“

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FOTO: PATRICK SEEGER/DPA Die Virus-Pandemie hat die Umsetzung digitaler Behördengä­nge im Land beschleuni­gt.

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