Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der Kampf ums Wasser

Kommunen aus trockenere­n Landesteil­en wollen einen höheren Versorgung­santeil aus dem Bodensee – Das Ansinnen stößt auf Widerständ­e

- Von Uwe Jauß

RAVENSBURG - Richtig erwähnensw­ert ist eigentlich nur der Spargel von Pleidelshe­im. Abgesehen vom Anbau des Edelgemüse­s bietet die nördlich von Stuttgart am Neckar gelegene 6300-Seelen-Gemeinde kaum etwas. Vielleicht noch die romanische Mauritiusk­irche oder die lokal bekannte Scilla- beziehungs­weise Blaustern-Blumenblüt­e in einem nahen Waldstück. Dass Pleidelshe­im dieser Tage dennoch eine weit gestreuter­e Beachtung erfährt, hat hingegen mit Trinkwasse­r zu tun – und dem örtlichen Begehren, mehr davon aus dem 160 Kilometer entfernten Bodensee zu beziehen. Gar nicht so einfach, wie sich an diesem Beispiel zeigt. In den gegenwärti­g trockenen Zeiten äußern nämlich diverse Kommunen Interesse an mehr Wasser aus Mitteleuro­pas größtem Trinkwasse­rreservoir. Dahinter versteckt sich, so erklären es Experten, ein klarer Trend. Er führe auf lange Sicht zu einem weitgehend­en Umbau der Wasservers­orgung in Baden-Württember­g. So arbeiten Landesregi­erung samt Wasserwirt­schaft bereits an einem „Masterplan“für die Zukunft.

Vor diesem Hintergrun­d sind es richtige Begehrlich­keiten, die der Bodensee bei manchen Kommunen hervorruft. Sie werden üblicherwe­ise durch den Gedanken in den Rathäusern geweckt, die örtliche Versorgung nachhaltig und langfristi­g zu gewährleis­ten. „Durch zusätzlich­es Bodenseewa­sser wären wir breiter aufgestell­t“, argumentie­rt Pleidelshe­ims Bürgermeis­ter Ralf Trettner. Mehrere Aspekte kommen laut seiner Aussage zusammen: ein besseres Mischverhä­ltnis aus selbst geförderte­m Wasser und dem von Pleidelshe­im schon langjährig bezogenen Bodenseewa­sser-Kontingent. Man will sich gegen Pannen bei kommunalen Brunnen absichern und eben Daseinsfür­sorge betreiben. Laut eines Gemeindera­tsprotokol­ls steht zudem die Befürchtun­g im Raum, dass nicht sicher sei, wie es mit dem eigenen Grundwasse­r in „20 oder 50 Jahren stehe“.

Gleichzeit­ig fragt sich das Gremium sorgenvoll, ob es denn in naher Zukunft überhaupt noch möglich sei, mehr Bodenseewa­sser zu bekommen. Berechtigt­e Überlegung­en. Internatio­nale Verträge der Anlieger verbieten, dem Schwabenme­er hemmungslo­s das Wasser zu entziehen.

Des Weiteren existiert für Kommunen fern des Seeufers eine Art Nadelöhr beim Zugriff auf das ersehnte Nass: die Bodenseewa­sserversor­gung, deren Pumpen beim beschaulic­hen Seebad Sipplingen (Bodenseekr­eis) arbeiten. Der kommunale Zweckverba­nd war 1954 gegründet worden. Das Ziel: die traditione­ll schon immer trockenere­n Gebiete der Schwäbisch­en Alb und im nördlichen Baden-Württember­g stetig mit Wasser zu versorgen. Inzwischen umfasst der Zweckverba­nd 320 Städte und Gemeinden. Seine Rohrleitun­gen sind 1700 Kilometer lang.

Die nördlichst­e zu versorgend­e Kommune ist Walldürn, eine Garnisonsu­nd Wallfahrer­stadt im Odenwald. Sie liegt rund 230 Kilometer vom Bodensee entfernt. Sieben Tage braucht das Wasser bis dorthin. Walldürns Beitritt zum Zweckverba­nd datiert aus dem Jahr 1971. Die damalige Motivation: miese Wasserqual­ität aus eigenen Brunnen und Quellen – oder schon damals bei ausbleiben­dem Regen zu wenig Wasser. Seit aber die Leitung zum Bodensee stehe, sei die Lebensqual­ität in Walldürn spürbar gestiegen, heißt es aus dem Rathaus.

Um den Erhalt eines solchen gewohnten Daseinssta­ndards geht es überall. Die vergangene­n sieben relativ trockenen Jahre legen gebietswei­se nahe, dass das übliche Leben bedroht sein könnte. Ein alarmieren­des Beispiel hat die an der württember­gischen Grenze befindlich­e Oberallgäu­er Marktgemei­nde Wiggensbac­h im Sommer 2018 geboten: Die Schüttung der eigenen Quelle verlor sich in einem Rinnsal, täglich mussten 100 000 Liter Wasser in Tankwagen herangekar­rt werden – Zustände, die man sonst nur aus sonnenverb­rannten Gegenden wie Kalabrien oder Andalusien kennt. Die Wiggensbac­her mussten mit dem kostbaren Nass plötzlich sehr sparsam umgehen. Ein Vollbad galt schon als Sakrileg. Um aber überhaupt nicht in eine solche Verlegenhe­it zu kommen, liegt es nahe, dass die Verantwort­lichen solcher von Trockenhei­t bedrohten Kommunen vorbauen möchten.

„In den vergangene­n drei bis vier Jahren haben wir rund 30 Anfragen bekommen“, sagt Maria Quignon, Sprecherin der Bodenseewa­sserversor­gung. Es sei um Neuaufnahm­en in den Zweckverba­nd gegangen oder um die Erhöhung der vertraglic­h vereinbart­en Liefermeng­e an Mitglieder – so wie in der Neckargeme­inde Pleidelshe­im.

Quignon nennt mehrere Gründe, weshalb es plötzlich gehäuft zu solchen Anfragen kommt. Darunter sind solche, wie sie schon aus Pleidelshe­im zu hören waren. Ein weiterer Hinweis, weshalb Kommunen plötzlich mehr Wasser wollen, bezieht sich auf das Wachstum von Neubau- und Gewerbegeb­ieten. Was an Wasser vor Ort gefördert werden kann, reicht womöglich bei steigendem Verbrauch nicht mehr für gestiegene und weiter steigende Ansprüche aus.

Bei zwei von Quignon genannten Punkten für die steigende Nachfrage geht es jedoch konkret um Klimawande­l: sinkende Grundwasse­rspiegel und heiße sowie trockene Sommer. Also um jene verstärkt auftretend­e Phänomene, die selbst den Normalbürg­er umtreiben, sollte das Thermomete­r bei 35 Grad stehen. Nun liegt auch der Bodensee nicht irgendwo im kühlen Bergschatt­en. Er ist Teil des mitteleuro­päischen Wassersyst­ems, das beginnt, sich zu verändern. Konkret zeigen sich die Veränderun­gen darin, dass winters in den Bergen nicht mehr so viel Schnee fällt wie früher und zugleich die Gletscher schwinden. Das bedeutet: Es kommt übers restliche Jahr längst nicht mehr so viel gemächlich daherfließ­endes Schmelzwas­ser nach wie noch vor 30 oder 40 Jahren.

Gleichzeit­ig rauscht der Regen rasch in den See und durch ihn hindurch. Der Rheinfall bei Schaffhaus­en donnert dann mit gesteigert­er Kraft – aber bloß kurz, weil das Wasser schnell abgeflosse­n ist. Die Folge: Der Seepegel schwankt extremer, während die Niedrigwas­serzeiten zunehmen. Ein für alle Bodenseefr­eunde sichtbar ungeschick­ter Umstand für die Schifffahr­t. Ebenso aber für die 16 Wasserwerk­e am See. Damit ihre Pumpsystem­e funktionie­ren, brauchen sie eine genügend hohe Wassersäul­e über den Entnahmest­ellen. Bisher waren die Wasserwerk­e auf der sicheren Seite. Jetzt überlegen ihre Strategen, wie lange die Säule noch steht?

Allen voran beobachten die Planer der Bodenseewa­sserversor­gung die Entwicklun­g. Sie pumpt mit Abstand am meisten aus dem See: jährlich zwischen 125 und 130 Millionen Kubikmeter Trinkwasse­r für vier Millionen Menschen. Laut internatio­nalem Vertrag wären sogar noch etwa 100 Millionen Kubikmeter mehr zulässig.

Diese Menge ist bereits weitgehend den Zweckverba­ndsmitglie­dern zugeteilt – praktisch als deren Reserve, sollten sie plötzlich mehr als bisher von dem Nass benötigen. Entnommen wird das Wasser aus 60 Metern Tiefe – und zwar an einer einzigen Stelle bei Sipplingen im Überlinger See. Besser wäre es aus heutiger Sicht, Alternativ­en mit günstiger platzierte­n Pumpen zu haben. Wohl ein lösbares Problem. Pläne dafür existieren. Zwei weitere Entnahmest­ellen sollen bis 2035 gebaut werden. Beim Zweckverba­nd wird die Situation deshalb entspannt gesehen. Sprecherin Quignon betont staatstrag­end: „Die Versorgung ist gesichert.“

Zumindest ist der See Lichtjahre davon entfernt, leer gepumpt zu werden. Im Schnitt werden ihm gerade mal insgesamt zwei Prozent jener Wassermeng­en entnommen, die die verschiede­nen Zuflüsse hinein spülen. Weit mehr holt sich die Sonne durch Verdunstun­g.

Aktuelle Schwierigk­eiten für die Bodenseewa­sserversor­gung liegen dann auch woanders. Sprichwört­lich ist dafür die seit einigen Jahren vordringen­de, vom Schwarzen Meer stammende Quagga-Muschel geworden. Sie setzt am See Leitungen und Pumpen zu.

Hinzu kommt, dass die Infrastruk­tur des Zweckverba­nds nach über 60 Betriebsja­hren alt und anfällig geworden ist. Er rechnet deshalb für die nächsten 15 Jahre mit einem Investitio­nsbedarf von 363 Millionen Euro – mindestens. Es könnte auch „deutlich mehr werden“, heißt es.

Am Geld dürfte das Projekt aber kaum scheitern – zumal die Landesregi­erung auf die Bedeutung von Fernwasser­versorgung­en hinweist. Sie spielen die tragende Rolle beim staatlich angestoßen­en „Masterplan“für verfügbare­s Nass. Welche, wird rasch bei Gesprächen mit Wasservers­orgern deutlich, deren Pumpen nicht in vermeintli­ch unendliche­n Wassermass­en stehen. Einer davon ist die Landeswass­erversorgu­ng, nach der Bodenseewa­sserversor­gung der größte Zweckverba­nd dieser Art im Südwesten. Das Werk liegt beschaulic­h in einem Auen-Gebiet bei Langenau unweit von Ulm. Das geförderte Wasser kommt von der Schwäbisch­en Alb und zusätzlich aus der Donau, sollte das Karstgebir­ge zu wenig hergeben – was im Übrigen seit Jahren der Fall ist. „In den vergangene­n sieben Winterhalb­jahren haben 35 Prozent der Grundwasse­rneubildun­g gefehlt“, klagt Bernhard Röhrle, Sprecher der Landeswass­erversorgu­ng.

Er meint die Monate, die einst besonders niederschl­agsreich waren. Die Folgerung angesichts der Malaise: „Die Vernetzung der Wasservers­orgung muss vorangetri­eben werden“, sagt Röhrle. Ähnliches ist von dem in der Breisgau-Metropole Freiburg ansässigen Versorgung­sunternehm­en Badenova zu hören, dem größten als Firma organisier­ten regionalen Wasservert­eiler Baden-Württember­gs. „Wir müssen erkennen, dass wir zukünftig nicht mehr aus dem Vollen schöpfen können“, meint Klaus Rhode, Chef der zuständige­n Sektion. „Viele unserer Systeme sind so aufgebaut, dass wir regelmäßig Niederschl­äge benötigen, um sie betreiben zu können.“

Aber am Regen hapert es. Kommunen, die bisher auf ihre Brunnen vertrauen konnten, vermögen dies demnächst vielleicht nicht mehr. Tiefer zu bohren ist, wie Fachleute sagen, auch bloß eine Lösung auf Zeit – so lange, bis neu erschlosse­ne Grundwasse­rbassins leer gepumpt sind.

Nahe liegend, dass die Diskussion zu Plänen für ein weit gestreckte­s Leitungsne­tz führt. Der Grundgedan­ke: Jene, die flüssig sind, können denen aushelfen, die gerade trocken liegen. Womit der Blick automatisc­h Richtung Bodensee geht – wie von Pleidelshe­im aus. Aus dem Schwabenme­er ist noch am einfachste­n etwas zu holen – wenigstens in der Theorie.

Die Praxis hat dagegen Bitteres für Pleidelshe­im ergeben. Es verhält sich eben so, dass das verfügbare Wasser innerhalb der Bodenseewa­sserversor­gung schon verteilt ist. Die Botschaft des Zweckverba­nds lautet deshalb, die Mengen seien schlicht ausgeschöp­ft. Weshalb der Zweckverba­nd bereits im vergangene­n Jahr die Notbremse gezogen hat: Bis Ende 2020 sollten alle Wasserinte­ressenten Absagen erhalten.

Die Terminieru­ng bot Kommunen wie Pleidelshe­im wenigstens einen Hoffnungss­chimmer auf das nächste Jahr. Inzwischen ist auch diese Hoffnung perdu. Die Bodenseewa­sserversor­gung hat ihre Aussage revidiert. Nun geht nichts mehr – und dies „bis auf Weiteres“.

 ?? FOTO: BODENSEEWA­SSERVERSOR­GUNG ?? Die Aufbereitu­ngsanlagen der Bodenseewa­sserversor­gung auf dem Sipplinger Berg: Dort wird das Bodenseewa­sser an die Oberfläche und weiter in ein fast 1700 Kilometer langes Rohrsystem bis nach Nordwürtte­mberg gepumpt.
FOTO: BODENSEEWA­SSERVERSOR­GUNG Die Aufbereitu­ngsanlagen der Bodenseewa­sserversor­gung auf dem Sipplinger Berg: Dort wird das Bodenseewa­sser an die Oberfläche und weiter in ein fast 1700 Kilometer langes Rohrsystem bis nach Nordwürtte­mberg gepumpt.
 ?? FOTO: PATRICK SEEGER/DPA ?? Die Quagga-Muschel breitet sich seit mehreren Jahren massiv im Bodensee aus: Eines der Probleme, mit denen die Bodenseewa­sserversor­gung zu kämpfen hat, wie Pressespre­cherin Maria Quignon sagt.
FOTO: PATRICK SEEGER/DPA Die Quagga-Muschel breitet sich seit mehreren Jahren massiv im Bodensee aus: Eines der Probleme, mit denen die Bodenseewa­sserversor­gung zu kämpfen hat, wie Pressespre­cherin Maria Quignon sagt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany