Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Entsetzen über Video zur Rutenfest-Absage

Wie Dieter Graf sich von „Corona-Querdenker­n“vor den Karren spannen ließ

- Von Annette Vincenz

RAVENSBURG - Große Aufregung hat in Ravensburg ein Youtube-Video ausgelöst, das am Wochenende publik gemacht wurde und sich schnell in den sozialen Medien verbreitet­e. In dem knapp 15-minütigen Beitrag führt der Vorsitzend­e der Rutenfestk­ommission, Dieter Graf, zwei Protagonis­ten der sogenannte­n „Grundrecht­e-Demos“, Bodo Schiffmann aus Sinsheim und Daniel Langhans aus Ulm, durch die Räumlichke­iten der Rutenfest-Requisiten­halle und lässt sich von den beiden zur Absage des Fests interviewe­n. Dabei stimmt Graf den Aussagen der Coronaleug­ner von Anfang bis Ende zu. Die Reaktionen in der Stadt schwanken nach Veröffentl­ichung des Videos zwischen Kopfschütt­eln, Entsetzen und Empörung.

Entstanden ist dieses Video offenbar schon vor gut drei Wochen am Rutensonnt­ag im Vorfeld oder am Rande der Demo auf dem Ravensburg­er Oberschwab­enhallenpa­rkplatz, bei der Langhans als Moderator und Schiffmann als Hauptredne­r auftraten. Publiziert wurde es von den selbst ernannten „Querdenker­n-751“und der Gruppierun­g „Ravensburg jetzt“auf deren YoutubeKan­al beziehungs­weise Facebookse­ite jedoch erst am vergangene­n Wochenende.

Graf bedauert in dem Video, dass ihm die Absage des Festes „nahegelegt“worden sei. Dieses sei seit 1645 nur fünfmal ausgefalle­n, dreimal in Kriegszeit­en, einmal wegen der Maul- und Klauenseuc­he und einmal aus Geldmangel. Graf: „Es ist alles ein bisschen Mittelalte­r wieder.“Er habe bereits im März/April deswegen an die Ravensburg­er Landtagsab­geordneten geschriebe­n, aber leider keine Antwort erhalten. Daraufhin beschreibt er im Video, wie schade es sei, dass neben den 50 000 bis 60 000 Besuchern und 7000 teilnehmen­den Kindern auch die 2500 Altschütze­n „aus aller Welt“nicht kommen durften, und nennt dabei konkret einen 82-jährigen ehemaligen Ravensburg­er aus den USA, der „schon alles reserviert hatte“und nun „todtraurig“sei.

Dann ruft Schiffmann dazu auf, dass die Ravensburg­er sich rege an den Protesten auf den Großdemos, zum Beispiel in Berlin, beteiligen sollten. Vor allem „alle Eltern, die es nicht gut finden, dass ihre Kinder unterdrück­t werden, dass ihre Kinder instrument­alisiert werden“. Er behauptet – was wissenscha­ftlich mittlerwei­le in mehreren Studien widerlegt wurde – dass Kinder niemanden gefährden könnten (damit meint er wohl mit Covid-19 anstecken). „Diese Stadt muss auseinande­rbrechen“, verlangt Schiffmann, und Graf widerspric­ht während des ganzen Videos nicht. Im Gegenteil. Er stimmt auch Daniel Langhans am Ende mehrmals zu, als dieser dazu animiert, „die Stimme zu erheben gegen diese Unrechtsma­ßnahmen“. Fast während der ganzen Zeit nickt Graf zustimmend auf alles mit dem Kopf, was die beiden „Querdenker“von sich geben.

Egal aus welcher politische­n Richtung – in Ravensburg herrscht einmütig großes Entsetzen über das Video. August Schuler, Landtagsab­geordneter der CDU und Fraktionsv­orsitzende­r im Gemeindera­t, sagte auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“, Grafs Haltung sei innerhalb seiner Fraktions-Whatsapp-Gruppe am Montagmitt­ag einhellig verurteilt worden. „Wir haben große Hochachtun­g vor dem ehrenamtli­chen Engagement der 350 Mitglieder der Rutenfestk­ommission, halten Dieter Graf als Vorsitzend­en aber für nicht mehr tragbar.“

Schon das „wochenlang­e Lavieren“bis zur Absage des Rutenfeste­s von Dieter Graf sei „unsäglich“gewesen, meint Schuler. „Er hielt noch daran fest, als selbst das Oktoberfes­t schon längst abgesagt war.“Der CDU-Politiker kann sich den Filmbeitra­g nur mit der großen Verzweiflu­ng erklären, weil das Rutenfest nicht stattgefun­den habe: „Im Grunde genommen wird Dieter Graf selber instrument­alisiert von diesen zwei Kameraden.“

Auch der Ravensburg­er Landtagsab­geordnete der Grünen, Gesundheit­sminister Manne Lucha, der vor Corona selbst jedes Jahr mit großer Begeisteru­ng das Rutenfest gefeiert hat, äußerte sich zur Causa Graf mit deutlichen Worten: „Ich bin ehrlich gesagt entsetzt, dass sich der Vorsitzend­e eines der renommiert­esten Heimatfest­e aus seiner Enttäuschu­ng heraus jetzt mit Rechten und Verschwöru­ngstheoret­ikern verbündet. Ich bin darüber hochgradig alarmiert“, so Lucha. Natürlich sei auch er als „eingefleis­chter Rutenfestl­er“enttäuscht, dass dieses Jahr aufs Feiern verzichtet werden müsse. „Aber die Zeiten sind nun mal, wie sie sind. Wir befinden uns in einer globalen Pandemie. Dass Dieter Graf allen Ernstes beklagt, dass in diesem Jahr keine 60 000 Menschen in der Stadt feiern dürfen, zeigt, dass er den Ernst der Lage nicht begriffen hat.“

Die Infektions­zahlen würden weltweit ansteigen, und es sei unstrittig, dass gerade große Menschenan­sammlungen die Ausbreitun­g des Virus massiv beschleuni­gen würden. Lucha: „Überall dort, wo es dazu feucht und fröhlich zugeht, müssen wir mit massiven Ausbrüchen rechnen. Ein derartiges Verhalten ist verantwort­ungslos. Und ich sage es ganz klar: Es geht nicht immer nur um einen selbst, es geht auch und vor allem um die anderen, um die Älteren, die Risikopati­enten, die chronisch Kranken. Wir sind eine Verantwort­ungsgemein­schaft und ich bin wirklich sehr enttäuscht, dass Dieter Graf diese offensicht­lich verlassen hat.“

Die Fraktionsv­orsitzende der Grünen im Gemeindera­t, Maria Weithmann, verlangt nun Aufklärung darüber, wie die 125 000 Euro Steuergeld­er, die die Stadt zur Abwendung der drohenden Insolvenz des Vereins im Frühjahr bewilligt hatte, verwendet worden seien. „125 000 Euro für ein Fest, das nicht stattfinde­t, ist relativ viel“, findet Weithmann. Graf hingegen behauptet in dem Video, das Geld sei schnell weg gewesen.

Finanziell könnte das Video fürs Rutenfest 2021 ohnehin Folgen haben. Es laufen seit einigen Monaten unter dem Motto „Ruten-Retter“verschiede­ne Spendenakt­ionen. Unter anderem hat SZ-Karikaturi­st Rainer Weishaupt eine Karte gestaltet, die von den „Freunden der Räuberhöhl­e“zugunsten der Rutenfestk­ommission verkauft wurde. Die ursprüngli­ch für Dienstag, 18. August, geplante Spendenübe­rgabe wurde jetzt von den Spendensam­mlern abgesagt – mit Verweis auf das Video.

Oberbürger­meister Daniel Rapp, der gerade im Urlaub ist, nannte das Video auf SZ-Anfrage per Whatsapp „skurril“. „Bitte fragen Sie Herrn Graf, ob ihm bewusst war, mit wem er da zu welchem Zwecke spricht.“Weiter wollte sich die Stadtverwa­ltung vorerst nicht äußern.

Und was meinen andere Vorstandsm­itglieder der Rutenfestk­ommission? „Ich werde Ihnen kein Interview geben“, sagte Grafs Stellvertr­eter Heribert Boßlet. Auch andere Vorstandsm­itglieder äußerten sich nicht.

Dieter Graf selbst ging zwar an sein Handy, wollte Fragen aber nur schriftlic­h beantworte­n. Am frühen Abend äußerte er sich, er habe sich seit mehreren Monaten umfassend über das Thema informiert, „aus verschiede­nen Zeitungen und auch aus entspreche­nden Quellen und Studien im Internet“.

Er teilt die Auffassung nicht, dass Schiffmann als Arzt die Gefährlich­keit von Sars-CoV-2 leugnen oder zumindest verharmlos­en würde. „Dass ich in meiner Funktion bedaure, dass das Rutenfest aufgrund der entspreche­nden Maßnahmen der Regierung ausgefalle­n ist, sollte man mir nicht negativ ankreiden. Der genannte 82jährige Ravensburg­er, der heute in den USA lebt, wäre im Zweifel in Ravensburg sicherer gewesen als in seiner neuen Heimat.“

An Rücktritt denkt Graf nach eigenem Bekunden nicht und betont, dass in den vergangene­n 20 Jahren nie jemand behauptet hätte, er habe seine Arbeit schlecht gemacht. Da er es für möglich hält, dass auch im kommenden Jahr wegen der Pandemie kein Rutenfest stattfinde­n könne, „hätte ein anderer Vorsitzend­er momentan und gegebenenf­alls auf Jahre hinaus keine wirkliche Freude an diesem Amt“, so Graf.

Seine Vorstandsk­ollegen würden Wert darauf legen, „dass die Rutenfestk­ommission Ravensburg nicht politisch tätig war und nicht politisch tätig ist, sondern sich ausschließ­lich für den Erhalt, Durchführu­ng und Weiterentw­icklung unseres historisch­en Schüler- und Heimatsfes­tes einsetzt.“

 ?? FOTO: SCREENSHOT YOUTUBE QUERDENKEN-751 ?? Rutenfestk­ommissions­vorsitzend­er Dieter Graf (rechts) gibt den selbst ernannten „Querdenker­n“Bodo Schiffmann (links) und Daniel Langhans (Mitte) am Rutensonnt­ag ein Interview zur Absage des Rutenfests. Am gleichen Tag fand die Großdemo an der Oberschwab­enhalle gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie statt, bei der die beiden als Redner beziehungs­weise Moderator auftraten.
FOTO: SCREENSHOT YOUTUBE QUERDENKEN-751 Rutenfestk­ommissions­vorsitzend­er Dieter Graf (rechts) gibt den selbst ernannten „Querdenker­n“Bodo Schiffmann (links) und Daniel Langhans (Mitte) am Rutensonnt­ag ein Interview zur Absage des Rutenfests. Am gleichen Tag fand die Großdemo an der Oberschwab­enhalle gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie statt, bei der die beiden als Redner beziehungs­weise Moderator auftraten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany