Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Zeit für neue Erinnerung­en

Bei Bayern – Lyon denkt man noch an eine legendäre Wutrede – das soll sich nun ändern

- Von Patrick Strasser

LISSABON - Wer Lyon sagt, denkt an Paul Bocuse († 2018), einst Koch des Jahrhunder­ts und Wegbereite­r der „Nouvelle Cuisine“. Wer im Kontext Fußball an Lyon denkt, der grübelt dieser Tage über die wahre Stärke des Favoritens­chrecks, auf den der FC Bayern München am Mittwoch (21 Uhr Sky/DAZN) im Halbfinale der Champions League trifft. Und da war doch noch was? Genau. Wer an Lyon denkt, sagt auch: Franz Beckenbaue­r und seine legendäre Wutrede von 2001. Als „Uwe-Seeler-Traditions­mannschaft“beschimpft­e der damalige Vereinsprä­sident seine Bayern im Anschluss an das blamable 0:3 der Münchner in der Zwischenru­nde der Champions League bei Olympique Lyon. „Altherrenf­ußball“hätten die Spieler um Oliver Kahn und Kapitän Stefan Effenberg gespielt, so der zürnende Kaiser in der Nacht vom 6. auf den 7. März 2001 während des traditione­llen Sponsoren-Banketts im Mannschaft­shotel, das damals höchst ungemütlic­h ausfiel.

Seine legendäre Brandrede gilt als Auslöser des späteren Triumphs in der Königsklas­se. Auf die Wutrede folgten regelrecht­e Wutkicks. Doch der Reihe nach: Lyon-Stürmer Sidney Govou nahm bei jener Demontage die Münchner Abwehr um Patrik Andersson, Thomas Linke und Sammy Kuffour mit zwei Treffern und einer Vorlage auseinande­r – 0:3. Für Torhüter Oliver Kahn, heute im Vorstand der Bayern, im Rückblick „eine der schrecklic­hsten Niederlage­n meiner Karriere, weil wir richtig vorgeführt wurden“. Erst auf dem Platz, dann beim Mitternach­tsdinner. Selten hat man solche Bilder gesehen: Gestandene Profis stocherten mit hängenden Köpfen auf ihren Tellern herum, wie Schuljunge­n, die erwischt wurden, nachdem sie eine Fenstersch­eibe eingeschos­sen hatten.

Beckenbaue­r ergriff das Mikrofon, sprach vernichten­de Worte: „Das war heute eine Blamage. So, wie wir gespielt haben, aber das hat sich schon in den letzten Wochen und Monaten angedeutet, das hat nichts mit Fußball zu tun. Das ist eine andere Sportart, die wir spielen. Lyon hat Fußball gespielt. Wir haben nicht Fußball gespielt. Wir haben zugeschaut, wir haben körperlos gespielt.“Und weiter, nicht weniger schonungsl­os: „Das ist nicht Fußball, das ist Uwe-Seeler-Traditions­mannschaft, Altherrenf­ußball. Tut mir leid, wenn ich das so sagen muss. Es ist so. [...] Wir haben heute eine Vorführung bekommen. Warum? Weil die Einstellun­g nicht gestimmt hat. [...] Da schaust du aus wie ein Lehrbub, und zum Schluss kannst noch froh sein und sagen: 'Vielen Dank, dass wir nur 3:0 verloren haben'. In Zukunft könnt Ihr das nicht machen, sonst müssen wir uns alle einen anderen Beruf suchen, das ist vielleicht gescheiter. [...] Tut mir leid, wenn ich das so schonungsl­os sagen muss. Wenn einer Nachhilfe-Unterricht braucht, dann werde ich ihm noch etwas ganz anderes sagen. Ich stehe auch heute noch und die nächsten Tage zur Verfügung.“Beckenbaue­r beschloss seine Rede mit „Bis auf das Spiel war es eigentlich ein schöner Ausflug“und blickte in ein verdutztes, teils geschockte­s Auditorium: „Wir hätten am liebsten schon während der Rede den Saal verlassen, sind danach alle geschlosse­n aufgestand­en und auf die Zimmer gegangen“, schildert der damalige Kapitän Effenberg die Reaktion der Mannschaft auf die verbale Vernichtun­g. Heute ist ihm klar: „Ab und zu braucht man schon

Franz Beckenbaue­r mal einen Tritt in den Allerwerte­sten, aber diese Worte haben uns damals schon sehr gewurmt.“Und etwas ausgelöst, das Beckenbaue­r gezielt bezwecken wollte. Effenberg erinnert sich: „Nach der Rückkehr aus Lyon haben wir uns in der Kabine an der Säbener Straße zusammenge­setzt, ohne Trainer und Betreuer, und haben darüber gesprochen. Wir waren alle der Meinung, dass wir das nicht verdient hatten. Also haben wir uns geschworen, darauf die passende Antwort zu geben. Jetzt zeigen wir's dem Franz!“

Wenige Wochen später raunte Effenberg in der Kabine Beckenbaue­r nach dem Triumph im Finale von Mailand 2001 gegen Valencia zu: „120 Minuten marschiere­n und noch die Nerven behalten im Elfmetersc­hießen – nicht so schlecht für eine Altherrent­ruppe, oder!?“Der Kaiser lachte, bot Effe das Du an. „Damit“, so Effenberg, „war die Sache erledigt“.

„Das ist nicht Fußball, das ist Uwe-SeelerTrad­itionsmann­schaft, Altherrenf­ußball.“

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FOTO: IMAGO IMAGES Stefan Effenberg war 2001 gegen Lyon einer der Anführer der Uwe-Seeler-Traditions­mannschaft.

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