Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Es ruckelt noch ordentlich“

AfD-Fraktionsc­hef Bernd Gögel über internen Streit und Ziele für die Landtagswa­hl 2021

-

STUTTGART - Abgeordnet­e werden vom Verfassung­sschutz beobachtet, sechs Parlamenta­rier haben der AfD im Landtag den Rücken gekehrt: AfDFraktio­nschef Bernd Gögel hat keinen leichten Job. Im Interview mit Kara Ballarin und Katja Korf erklärt der 65-Jährige, wie es in Zukunft ruhiger zugehen soll und welche Ziele die AfD für die kommenden Landtagswa­hlen hat.

Herr Gögel, als wir uns vor einem Jahr hier trafen, war Ihr Ziel klar: 19 Prozent plus x für die AfD bei der Landtagswa­hl 2021. Ist das angesichts der Umfragewer­te von zuletzt zwölf Prozent noch realistisc­h? Das Ziel steht nach wie vor. Ende 2015 lagen wir bei 3,5 Prozent. Der Wähler hat uns bei der Landtagswa­hl 2016 mit mehr als 15 Prozent in den Landtag geschickt. Im Moment leben wir in einer sehr fragilen Welt, die Verhältnis­se können sich auch hier in BadenWürtt­emberg schnell ändern.

Ihre Fraktion ist mit 23 Mitglieder­n in die Legislatur­periode gestartet, nun sind es noch 17. Woran liegt das? Da muss man jeden Fall für sich betrachten. Wir sind siebeneinh­alb Jahre alt, es ruckelt noch ordentlich. Wir sind eine Partei, die unterschie­dlichste Menschen zusammenge­führt hat, die zum Teil vorher nie politisch aktiv waren. Manche wie Claudia Martin haben gemerkt, dass die AfD nicht ihre Partei ist. Andere waren zu ungeduldig. Die haben nicht daran geglaubt, dass der Weg der Konsolidie­rung der Partei in ihrem Sinne möglich ist. Das finde ich schade.

Rechnen Sie damit, dass Ihnen auch in einer nächsten Legislatur­periode Abgeordnet­e verloren gehen? Manche Abgeordnet­e wie Stefan Räpple, die in einer Organisati­on mit Satzungen und Regeln nicht gut aufgehoben sind, werden ja gar nicht mehr aufgestell­t. Ich beobachte die Aufstellun­gen der Kreisverbä­nde für die Landtagswa­hl genau. Die Mitglieder haben ein gutes Gespür dafür, was sie vermeiden sollten. Das schließt nicht aus, dass nicht der eine oder andere doch im Laufe einer Legislatur verloren geht.

Der Verfassung­sschutz beobachtet Teile der Partei auch in BadenWürtt­emberg – die Abgeordnet­e Christina Baum taucht sogar namentlich im Verfassung­sschutzber­icht auf. Sind in Ihrer Fraktion Verfassung­sfeinde?

Der Verfassung­sschutz und die dahinter stehenden Parteien haben beschlosse­n, dass der Flügel und die Junge Alternativ­e beobachtet werden. Das hängt damit zusammen, dass der Verfassung­sschutz jedes Mitglied, das die Erfurter Resolution unterzeich­net hat, dem Flügel zurechnet. Da ist es die logische Konsequenz, dass Frau Baum im Bericht auftaucht. Gelesen habe ich ihn aber nicht.

Aber Sie haben die Erfurter Resolution doch auch unterzeich­net.

Das haben sehr viele Mitglieder getan, aus ganz unterschie­dlichen Gründen – nicht nur wegen der politische­n Ausrichtun­g.

Steht Frau Baum auf dem Boden des Grundgeset­zes?

Ja. Sie ist eine hoch intellektu­elle Dame, die einen Wunsch nach mehr Demokratie und Basisdemok­ratie hat. Ein mangelnder Glaube an die Unabhängig­keit mancher Institutio­nen ist eine Kritik, die darf man durchaus üben. Die Meinungsfr­eiheit ist sicher eins der höchsten Güter. Frau Baum geht ja auch juristisch gegen die Beobachtun­g durch den Verfassung­sschutz vor.

Wie schädlich ist der Streit innerhalb der Partei – jüngstes Beispiel ist ja der Fall Kalbitz, der am Freitag das Landgerich­t Berlin beschäftig­t. Jörg Meuthen will Kalbitz loswerden, was die Partei polarisier­t. Einen Konflikt im Bundesvors­tand sehe ich nicht. Da gab es unterschie­dliche Auffassung­en bei einer Abstimmung über die Annullieru­ng der Mitgliedsc­haft von Herrn Kalbitz. Das Dauerthema des Flügelschl­agens haben wir seit Jahren und ist nicht mit der Auflösung des Flügels erledigt. Die Mitglieder, die sich dem Flügel nah empfinden, sind nach wie vor in der Partei. Jörg Meuthen geht es darum, dass wir uns als Partei festigen und es keinen Zweifel an der Verfassung­streue unserer Partei gibt. Den Weg wollen sicher 98 Prozent der Mitglieder gehen.

Die Corona-Pandemie dominiert alles. Politiker und Wissenscha­ftler warnen vor einer weiteren Welle. Teilen Sie die Befürchtun­gen?

Ich tue mir schwer mit dem Begriff der Welle. Wir haben ein andauernde­s Infektions­geschehen seit Januar. Es ist aktuell aber nicht höher als etwa im Mai, weil wir inzwischen viel mehr testen. Es bleibt der Fakt, dass dieses Virus hohe Ansteckung­sraten hat und sehr gefährlich werden kann gerade für Menschen mit Vorerkrank­ungen. Der vorsichtig­e Weg Deutschlan­ds im Vergleich zum risikoreic­hen in Schweden war richtig – auch wenn die Maßnahmen zu spät kamen. Nach der ersten Meldung einer Infektion in Wuhan ans RobertKoch-Institut vergingen 78 Tage. Jetzt darf man aber nicht zurückfall­en auf die Maßnahmen vom März, sondern jetzt sollten wir den schwedisch­en Weg einschlage­n.

Was heißt das konkret?

Eine Maskenpfli­cht im Unterricht wie in Nordrhein-Westfalen halte ich für eine Katastroph­e. Es passt überhaupt nicht zusammen, dass auf dem Schulgelän­de eine Maskenpfli­cht gilt, aber nicht mehr, sobald sie das Gelände verlassen, weil dann die Schule nicht mehr zuständig ist.

Aber was ist die Alternativ­e? Kinder gehören nicht zur Risikogrup­pe und die sollte man nicht mit einem Maskenzwan­g belegen. Man sollte den Menschen mehr Eigenveran­twortung geben. Etwa: Wollen sie im Altenheim Besuch empfangen oder nicht? Ich habe selbst eine Mutter im Altenheim. Natürlich trage ich dort in Gemeinscha­ftsräumen eine Maske, aber nicht in ihrem Zimmer. Das ist unsere Privatsphä­re.

Nicht ganz, denn es geht ja auch um eine mögliche Gefährdung anderer Bewohner dort. Wie viel Eigenveran­twortung kann man den Menschen lassen, wenn sich gerade zeigt, dass sie sich immer weniger an Schutzmaßn­ahmen halten?

Den Menschen geht langsam der Glaube verloren, dass es sich hier um ein Massenster­ben handelt wie bei der Pest. Die Mortalität­srate ist sehr gering.

In Deutschlan­d ja, in anderen Ländern sieht das anders aus. Und es gibt Mitglieder Ihrer Fraktion wie Frau Baum und Hans Peter Stauch, die bei Demonstrat­ionen mitlaufen, von denen die Polizei sagt, es handle sich um ein Drittel „verängstig­te und besorgte Bürger“, ein Drittel seien Esoteriker und Verschwöru­ngstheoret­iker, und bei einem weiteren Drittel handele es sich um Rechts-, Linksextre­misten sowie Fußballhoo­ligans. Ist es angemessen, da mitzudemon­strieren?

Ich halte es für grundsätzl­ich richtig, gegen Dinge zu demonstrie­ren, gegen die man sich einsetzt. Dass sich dort unterschie­dliche Menschen treffen, die alle vom selben Thema betroffen sind, ist ein berechtigt­es Anliegen. Ein Veranstalt­er kann sich nicht wehren, wenn auch Stiefelträ­ger oder Antifa-Schläger mitlaufen.

 ?? FOTO: MARIJAN MURAT/DPA ?? Im Dezember 2017 hat Bernd Gögel, Spediteur aus dem Enzkreis, den Fraktionsv­orsitz der AfD im Stuttgarte­r Landtag übernommen. Er folgte auf Parteichef Jörg Meuthen, der ins Europaparl­ament wechselte.
FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Im Dezember 2017 hat Bernd Gögel, Spediteur aus dem Enzkreis, den Fraktionsv­orsitz der AfD im Stuttgarte­r Landtag übernommen. Er folgte auf Parteichef Jörg Meuthen, der ins Europaparl­ament wechselte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany