Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Mittelstand warnt vor zweitem Lockdown
„Brandbrief“an Kanzlerin Merkel – Erholung der Wirtschaft verliert an Schwung
BERLIN - Angesichts deutlich steigender Corona-Infektionszahlen warnt die deutsche Wirtschaft eindringlich vor einem zweiten flächendeckenden Lockdown. Ein erneutes Herunterfahren von öffentlichem Leben und Geschäftsleben wie im Frühjahr würde erheblich größere Schäden in der Wirtschaft und vor allem im Mittelstand zur Folge haben als beim ersten Mal, heißt es in einem „Brandbrief“des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder.
Viele Betriebe hätten ihre finanziellen Reserven aufgebraucht und müssten bei einem zweiten Lockdown
die „Hände heben“, heißt es. Ein „überzogener Infektionsschutz“dürfe nicht wieder Vorrang vor dem Schutz von Wirtschaft und Wohlstand haben. Die aktuelle Entwicklung der Corona-Zahlen in Deutschland, Europa und der Welt gebe dem Mittelstand Anlass zu größter Sorge. Das „Schreckgespenst“eines zweiten Lockdowns gehe umher. Bei einem zweiten Lockdown wäre auch der Staat finanziell überfordert, prognostiziert der Mittelstandsverband. Er sieht die ökonomische Zukunftsfähigkeit Deutschlands in Gefahr, Millionen Arbeits- und Ausbildungsplätze stünden auf dem Spiel.
Ähnliche Befürchtungen äußert der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), eine solche Maßnahme wäre verheerend, die deutsche Wirtschaft wäre „für Jahre, vielleicht sogar ein Jahrzehnt schwer geschädigt“, sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer dem Magazin „Focus“. Die Lage sei ohnehin schon extrem herausfordernd. 80 Prozent der Unternehmen erwarteten für das Gesamtjahr sinkende Umsätze: „40 Prozent haben schwere Liquiditätsprobleme, und jede zehnte Firma hält sich sogar für insolvenzgefährdet.“
Dazu kommt, dass die Erholung der Wirtschaft nach dem ersten Lockdown in Deutschland und der Eurozone etwas an Schwung verloren hat. Nach einer deutlichen Verbesserung im Juli fiel der sogenannte Einkaufsmanagerindex, der Geschäfte von Industrie und Dienstleistern erfasst, im August in Deutschland um 1,6 Punkte auf 53,7 Zähler, wie das
Forschungsunternehmen IHS Markit in London mitteilte. Für die Eurozone wurde ein Rückgang um 3,3 Punkte auf 51,6 Zähler gemeldet.
Markit begründete den Rückschlag mit einer schwachen Nachfrage und steigenden Corona-Infektionen. Vor allem der Dienstleistungssektor hätte darunter stark gelitten, während die Industrie kräftige Zuwächse bei Aufträgen und Produktion verzeichnet habe.
Die Politik hatte als Reaktion auf die Corona-Krise milliardenschwere Programme beschlossen, Wirtschaftsverbände fordern aber Nachbesserungen. Auch aus der Politik gibt es Forderungen, das Kurzarbeitergeld sowie staatliche Überbrückungshilfen für Firmen zu verlängern.