Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Eine riskante Wette

- Von Frank Herrmann politik@schwaebisc­he.de

In normalen Zeiten würden sie wohl ein enormes Risiko eingehen, die US-Demokraten mit ihrem Kandidaten Joe Biden. Meist ist es ja die Sehnsucht nach dem Wandel, dem Aufbruch zu neuen Ufern, die amerikanis­che Wahlkämpfe prägt. Barack Obama, der Senkrechts­tarter, hat es 2008 mit den Worten „Hope“und „Change“so simpel wie genial auf den Punkt gebracht. Und nun ziehen die Demokraten mit einem 77-Jährigen in die Schlacht ums Oval Office, der keine Aufbruchst­immung, sondern eher die Rückkehr zur alten Ordnung verkörpert.

Es ist also eine durchaus riskante Wette, die die Partei abschließt. Zum einen setzt sie darauf, dass es einer Mehrheit der Wähler schon genügt, wenn ein erfahrener Kapitän das Schiff in ruhigeres Fahrwasser führt. Zum anderen hofft sie, dass die Welle populistis­chen Aufruhrs, die 2016 einen Geschäftsm­ann und Reality-TVStar ins höchste Staatsamt spülte, durch die bittere Realität der Corona-Krise gebrochen ist.

So gründlich viele Amerikaner damals an einer politische­n Elite verzweifel­ten, die den Bezug zu ihren Alltagspro­blemen verloren zu haben schien, die Alternativ­e hat manchen womöglich seiner Illusionen beraubt. Vor vier Jahren profitiert­e Trump noch vom Nebel um seine Kandidatur. Offen blieb, wie er regieren würde, weshalb sich alle möglichen Hoffnungen auf ihn projiziere­n ließen. Den Vorteil hat er im Herbst 2020 nicht mehr. Anstelle des Hypothetis­chen gibt es eine Bilanz, an der er sich messen lassen muss. In der Pandemie fällt sie bislang verheerend aus. Trump ist tatsächlic­h der erratische, die Schuld auf andere abwälzende, zu Mitgefühl kaum fähige Krisenmana­ger, als den ihn die Opposition charakteri­siert.

Das alles hat Biden in seiner Kandidaten­rede grell ausgemalt, verbunden mit der Warnung vor einem Möchtegern-Autokraten, den es im Interesse der Demokratie abzuwählen gelte. Statt eigene Programme zu skizzieren, hat er von einer Schicksals­wahl gesprochen, von der Wahl zwischen Licht und Finsternis. Es ging allein darum, den Kontrast zu Trump zu schärfen. Ob es das richtige Konzept ist, um eine Mehrheit zu überzeugen, bleibt zweifelhaf­t.

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