Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Eine riskante Wette
In normalen Zeiten würden sie wohl ein enormes Risiko eingehen, die US-Demokraten mit ihrem Kandidaten Joe Biden. Meist ist es ja die Sehnsucht nach dem Wandel, dem Aufbruch zu neuen Ufern, die amerikanische Wahlkämpfe prägt. Barack Obama, der Senkrechtstarter, hat es 2008 mit den Worten „Hope“und „Change“so simpel wie genial auf den Punkt gebracht. Und nun ziehen die Demokraten mit einem 77-Jährigen in die Schlacht ums Oval Office, der keine Aufbruchstimmung, sondern eher die Rückkehr zur alten Ordnung verkörpert.
Es ist also eine durchaus riskante Wette, die die Partei abschließt. Zum einen setzt sie darauf, dass es einer Mehrheit der Wähler schon genügt, wenn ein erfahrener Kapitän das Schiff in ruhigeres Fahrwasser führt. Zum anderen hofft sie, dass die Welle populistischen Aufruhrs, die 2016 einen Geschäftsmann und Reality-TVStar ins höchste Staatsamt spülte, durch die bittere Realität der Corona-Krise gebrochen ist.
So gründlich viele Amerikaner damals an einer politischen Elite verzweifelten, die den Bezug zu ihren Alltagsproblemen verloren zu haben schien, die Alternative hat manchen womöglich seiner Illusionen beraubt. Vor vier Jahren profitierte Trump noch vom Nebel um seine Kandidatur. Offen blieb, wie er regieren würde, weshalb sich alle möglichen Hoffnungen auf ihn projizieren ließen. Den Vorteil hat er im Herbst 2020 nicht mehr. Anstelle des Hypothetischen gibt es eine Bilanz, an der er sich messen lassen muss. In der Pandemie fällt sie bislang verheerend aus. Trump ist tatsächlich der erratische, die Schuld auf andere abwälzende, zu Mitgefühl kaum fähige Krisenmanager, als den ihn die Opposition charakterisiert.
Das alles hat Biden in seiner Kandidatenrede grell ausgemalt, verbunden mit der Warnung vor einem Möchtegern-Autokraten, den es im Interesse der Demokratie abzuwählen gelte. Statt eigene Programme zu skizzieren, hat er von einer Schicksalswahl gesprochen, von der Wahl zwischen Licht und Finsternis. Es ging allein darum, den Kontrast zu Trump zu schärfen. Ob es das richtige Konzept ist, um eine Mehrheit zu überzeugen, bleibt zweifelhaft.