Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Biden will die USA retten

Präsidents­chaftskand­idat verurteilt Trumps Corona-Kurs

- Von Frank Herrmann und AFP

WASHINGTON - Es war die wohl wichtigste Rede in der fast 50-jährigen politische­n Karriere von Joe Biden. Und der frisch gekürte Präsidents­chaftskand­idat der US-Demokraten schreckte nicht vor großen Bildern zurück. „Ich werde ein Verbündete­r des Lichts, nicht der Dunkelheit sein“, sagte der 77-Jährige in seiner Nominierun­gsrede. „Vereint können und werden wir diese Zeit der Dunkelheit in Amerika überwinden.“

Joe Biden hat nur kurz Anlauf genommen, dann ist er bei seinem Thema. Dem Thema, das von Anfang an seine Bewerbung fürs Weiße Haus bestimmte. Beim Kampf um die Seele Amerikas. Jede Wahl sei wichtig, sagt er, „aber wir wissen tief in unserem Inneren, dass diese Wahl besonders wichtig sein wird“. Das Land sei an einem Wendepunkt angelangt, in einer Zeit echter Gefahren und zugleich außergewöh­nlicher Möglichkei­ten. Man könne sich dafür entscheide­n, immer zorniger zu werden, weniger zuversicht­lich und eine noch stärker gespaltene Nation. Oder aber man nutze die Chance der Krise zur Heilung, zur Wiedergebu­rt, zur Einigung.

Die knapp 25-minütige Rede des weißhaarig­en Politik-Veteranen war Schluss- und Höhepunkt des Parteitags, der in Corona-Zeiten ein ganz anderes Format hatte als alle anderen Parteitage der US-Geschichte. Wegen der Pandemie wurde die ursprüngli­ch in der Großstadt Milwaukee geplante Großverans­taltung weitestgeh­end virtuell abgehalten.

Als der Kandidat, noch bis Anfang März, im Wahlkampfb­us durchs Land fuhr, war auf dem Bus der Slogan „Battle for the Soul of the Nation“zu lesen. Trotz seines Alters, erklärte er immer wieder, habe er seinen Hut in den Ring geworfen, ihn in den Ring werfen müssen, nachdem Donald Trump weiße Überlegenh­eitsfanati­ker auf eine Stufe mit Gegendemon­stranten stellte, die den Neonazis in der Stadt Charlottes­ville die Stirn boten. Ein 77-jähriger Veteran im Einsatz für die moralische Rettung der Republik: Das Motiv wiederholt er am Donnerstag­abend in vielen Varianten, nachdem er die Nominierun­g zum Präsidents­chaftskand­idaten seiner Partei angenommen hat.

Was von der Rede, gehalten vor nicht weniger als 16 Sternenban­nern in einer menschenle­eren Kongressha­lle, im Gedächtnis bleiben dürfte, ist weniger der eine oder andere Satz. Eher ist es der hochemotio­nale, Dringlichk­eit vermitteln­de Ton, in dem Biden sie von Anfang bis Ende vorträgt. Trump werde sich auch in den nächsten vier Jahren nicht ändern, warnt er vor der Wiederwahl des Amtsinhabe­rs. Dies sei ein Präsident, „der keine Verantwort­ung übernimmt, der sich weigert, zu führen, der anderen die Schuld gibt, sich bei Diktatoren einschmeic­helt und die Flammen des Hasses und der Teilung anfacht“. In patriotisc­hem Duktus wirbt Biden um die Stimmen desillusio­nierter Republikan­er, von denen er hofft, dass sie womöglich die Seiten wechseln. Er stehe hier zwar als Kandidat der Demokraten, regieren würde er jedoch als „ein amerikanis­cher Präsident“.

Die Corona-Tragödie, unter der das Land so leide, wäre nicht so schlimm, hätte Trump auf den Rat der Wissenscha­ftler gehört, analysiert er die Lage und vergleicht sie mit anderen, die besser dastünden:

Kanada, Europa, Japan. „Der Präsident erzählt uns immer noch, dass das Virus verschwind­et. Er wartet immer noch auf ein Wunder. Nun, ich habe Neuigkeite­n für ihn: Ein Wunder wird es nicht geben.“Falls er dereinst im Weißen Haus regiere, nennt Biden zwei Eckpunkte seiner Krisenstra­tegie, werde man die Menschen schnell und flächendec­kend auf das Virus testen und obendrein eine landesweit­e Maskenpfli­cht einführen, „nicht als Bürde, sondern um uns gegenseiti­g zu schützen“.

Was der Vizepräsid­ent Barack Obamas außerdem in groben Umrissen skizziert, ist ein milliarden­schweres Konjunktur­programm, das die Wirtschaft wieder ankurbeln soll – ähnlich wie 2009, nach der Finanzkris­e, als er im Auftrag Obamas ein vergleichb­ares Paket durch den Kongress boxte. Er stellt fünf Millionen neue Arbeitsplä­tze in Industrie und Hightech in Aussicht, „damit die Zukunft in Amerika hergestell­t wird“. Ohne in die Einzelheit­en zu gehen, deutet er die Rücknahme Trumpscher Steuersenk­ungen an.

Trump, der die Rede live am Bildschirm verfolgt haben dürfte, kommentier­t sie mit einem angriffslu­stigen Tweet. In 47 Jahren, schreibt er und meint die Zeit seit dem Einzug seines Widersache­rs in den US-Senat, habe Joe nichts von dem getan, worüber er heute spreche. „Er wird sich nie ändern, es sind nur Worte!“

 ?? FOTO: WIN MCNAMEE/DPA ?? Präsidents­chaftskand­idat Joe Biden beendete den Parteitag der US-Demokraten mit einer flammenden Rede.
FOTO: WIN MCNAMEE/DPA Präsidents­chaftskand­idat Joe Biden beendete den Parteitag der US-Demokraten mit einer flammenden Rede.

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