Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Biden will die USA retten
Präsidentschaftskandidat verurteilt Trumps Corona-Kurs
WASHINGTON - Es war die wohl wichtigste Rede in der fast 50-jährigen politischen Karriere von Joe Biden. Und der frisch gekürte Präsidentschaftskandidat der US-Demokraten schreckte nicht vor großen Bildern zurück. „Ich werde ein Verbündeter des Lichts, nicht der Dunkelheit sein“, sagte der 77-Jährige in seiner Nominierungsrede. „Vereint können und werden wir diese Zeit der Dunkelheit in Amerika überwinden.“
Joe Biden hat nur kurz Anlauf genommen, dann ist er bei seinem Thema. Dem Thema, das von Anfang an seine Bewerbung fürs Weiße Haus bestimmte. Beim Kampf um die Seele Amerikas. Jede Wahl sei wichtig, sagt er, „aber wir wissen tief in unserem Inneren, dass diese Wahl besonders wichtig sein wird“. Das Land sei an einem Wendepunkt angelangt, in einer Zeit echter Gefahren und zugleich außergewöhnlicher Möglichkeiten. Man könne sich dafür entscheiden, immer zorniger zu werden, weniger zuversichtlich und eine noch stärker gespaltene Nation. Oder aber man nutze die Chance der Krise zur Heilung, zur Wiedergeburt, zur Einigung.
Die knapp 25-minütige Rede des weißhaarigen Politik-Veteranen war Schluss- und Höhepunkt des Parteitags, der in Corona-Zeiten ein ganz anderes Format hatte als alle anderen Parteitage der US-Geschichte. Wegen der Pandemie wurde die ursprünglich in der Großstadt Milwaukee geplante Großveranstaltung weitestgehend virtuell abgehalten.
Als der Kandidat, noch bis Anfang März, im Wahlkampfbus durchs Land fuhr, war auf dem Bus der Slogan „Battle for the Soul of the Nation“zu lesen. Trotz seines Alters, erklärte er immer wieder, habe er seinen Hut in den Ring geworfen, ihn in den Ring werfen müssen, nachdem Donald Trump weiße Überlegenheitsfanatiker auf eine Stufe mit Gegendemonstranten stellte, die den Neonazis in der Stadt Charlottesville die Stirn boten. Ein 77-jähriger Veteran im Einsatz für die moralische Rettung der Republik: Das Motiv wiederholt er am Donnerstagabend in vielen Varianten, nachdem er die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten seiner Partei angenommen hat.
Was von der Rede, gehalten vor nicht weniger als 16 Sternenbannern in einer menschenleeren Kongresshalle, im Gedächtnis bleiben dürfte, ist weniger der eine oder andere Satz. Eher ist es der hochemotionale, Dringlichkeit vermittelnde Ton, in dem Biden sie von Anfang bis Ende vorträgt. Trump werde sich auch in den nächsten vier Jahren nicht ändern, warnt er vor der Wiederwahl des Amtsinhabers. Dies sei ein Präsident, „der keine Verantwortung übernimmt, der sich weigert, zu führen, der anderen die Schuld gibt, sich bei Diktatoren einschmeichelt und die Flammen des Hasses und der Teilung anfacht“. In patriotischem Duktus wirbt Biden um die Stimmen desillusionierter Republikaner, von denen er hofft, dass sie womöglich die Seiten wechseln. Er stehe hier zwar als Kandidat der Demokraten, regieren würde er jedoch als „ein amerikanischer Präsident“.
Die Corona-Tragödie, unter der das Land so leide, wäre nicht so schlimm, hätte Trump auf den Rat der Wissenschaftler gehört, analysiert er die Lage und vergleicht sie mit anderen, die besser dastünden:
Kanada, Europa, Japan. „Der Präsident erzählt uns immer noch, dass das Virus verschwindet. Er wartet immer noch auf ein Wunder. Nun, ich habe Neuigkeiten für ihn: Ein Wunder wird es nicht geben.“Falls er dereinst im Weißen Haus regiere, nennt Biden zwei Eckpunkte seiner Krisenstrategie, werde man die Menschen schnell und flächendeckend auf das Virus testen und obendrein eine landesweite Maskenpflicht einführen, „nicht als Bürde, sondern um uns gegenseitig zu schützen“.
Was der Vizepräsident Barack Obamas außerdem in groben Umrissen skizziert, ist ein milliardenschweres Konjunkturprogramm, das die Wirtschaft wieder ankurbeln soll – ähnlich wie 2009, nach der Finanzkrise, als er im Auftrag Obamas ein vergleichbares Paket durch den Kongress boxte. Er stellt fünf Millionen neue Arbeitsplätze in Industrie und Hightech in Aussicht, „damit die Zukunft in Amerika hergestellt wird“. Ohne in die Einzelheiten zu gehen, deutet er die Rücknahme Trumpscher Steuersenkungen an.
Trump, der die Rede live am Bildschirm verfolgt haben dürfte, kommentiert sie mit einem angriffslustigen Tweet. In 47 Jahren, schreibt er und meint die Zeit seit dem Einzug seines Widersachers in den US-Senat, habe Joe nichts von dem getan, worüber er heute spreche. „Er wird sich nie ändern, es sind nur Worte!“