Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
1375 Zentner am Rekord vorbei
Tettnangs Hopfenbauern erwarten gute Ernte – und sorgen sich wegen eines anderenorts grassierenden Schädlings
TETTNANG - Nahezu optimale Bedingungen haben in diesem Jahr für den Hopfen geherrscht. Doch für eine Rekordernte dürfte es im nach Hallertau und Elbe-Saale drittgrößten deutschen Anbaugebiet Tettnang mit einem Jahresumsatz von rund 30 Millionen Euro und rund 130 Betrieben wohl nicht ganz reichen: Die Schätzung beläuft sich auf 56 820 Zentner, also 2840 Tonnen. Wenn dies am Ende so zutrifft, werden es trotzdem nur knapp 1375 Zentner weniger sein als im Rekordjahr 2019. Walter König vom Bayerischen Brauerbund sagt: „Eine gute Ernte ist nach den vergangenen Jahren wahnsinnig wichtig.“Es gebe wenig Reserven in den Lagern. Auch in anderen Anbaugebieten schaut es gut aus. Vergangenes Jahr war das Bild erheblich differenzierter.
Vor einigen Wochen haben die Tettnanger Hopfenpflanzer noch gehofft, dass es am Bodensee sogar wieder zum Rekord reichen könnte. Allerdings „blendet“der Hopfen diesmal etwas, wie Jürgen Weishaupt vom Tettnanger Hopfenpflanzerverband erläutert. Die Gärten sehen von außen gut aus. Allerdings fällt das Sonnenlicht durch das besonders ausgeprägte Blattwerk im Innenbereich nicht wie sonst bis zum Boden. Bei den sogenannten Achselhopfen am unteren Teil der Pflanze fehlt dementsprechend Doldenbestand.
Dennoch seien die geschätzten Hektarerträge über alle Sorten hinweg auf der Gesamtfläche von 1479,41 Hektar überdurchschnittlich. Eine Besonderheit der vergangenen Jahre ist, dass die Aromasorte Tettnanger (Schätzung: 19 806 Zentner) zwar weiterhin den höchsten Anteil an der Gesamtmenge der Ernte ausmacht, dass aber die Bittersorte Herkules (Schätzung: 17 500 Zentner) immer weiter aufholt.
Sorgen bereitet der Branche, dass den Hopfen in den vergangenen Jahren zunehmend ein hochansteckendes Virus befällt: CBCV oder „Citrus Bark Cracking Viroid“. Schon wenige Pflanzenteile oder belasteter Boden
reichen aus, um diesen in einen Hopfengarten einzuschleppen. 2015 trat er in Slowenien auf, 2019 gab es den ersten Befall in dem größten deutschen Hopfenanbaugebiet, der Hallertau. Dort wurden laut Weishaupt in diesem Jahr 400 Betriebe geprüft, sieben waren befallen. In Tettnang seien die Tests bei 60 geprüften Betrieben negativ ausgefallen. Aber weil es schon reicht, das Virus an den Schuhsohlen zu haben, dürfen die Gärten bei der Schätzung nur mit Kunststoffüberziehern betreten werden. Der Preis, um den Befall wieder loszuwerden, ist hoch: Komplettrodung und zwei Jahre Stillstand. Das Julius Kühn-Institut, also das Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, spricht von einem hohen Schadpotenzial. Infizierte Pflanzen könnten „vier Monate bis ein Jahr symptomlos bleiben, sind aber bereits infektiös“. Ein Befall sei zu melden und zu tilgen. Vor diesem Hintergrund sagt Jürgen Weishaupt, würden die Überzieher wohl jetzt zur Dauerausstattung.
Der Hopfenmarkt federt starke Jahre dadurch ab, dass es langfristige Verträge zwischen den Marktteilnehmern gibt, sagt Walter König. Hopfenpflanzer, der Hopfenhandel und die Brauereien würden so Spitzen in die eine oder andere Richtung gemeinsam abfangen. Bezogen auf den deutschen Markt gebe es mit 6,6 Prozent weniger Bierabsatz derzeit kein „riesiges Minus“– und die nicht direkt gebrauchte Hopfenmenge hätte sowieso gelagert werden müssen.
Hier gebe es eine Art Übereinkunft, dass Brauereien derzeit wieder größere Vorräte aufbauen, sagt König – und keine Anzeichen, dass dies nicht passieren werde. Der Hopfen sei sowieso verkauft. 90 Prozent der Menge hätten sich die Handelshäuser schon jetzt durch langjährige Verträge bei den Herstellern gesichert, erklärt König. Und auch die Brauereien hätten langfristige Verpflichtungen gegenüber dem Handel, teils für fünf bis sieben Jahre.
So würden sich die Effekte hier über die Jahre hinweg ausgleichen, sagt König. Anders sei das etwa beim Malz mit Jahresverträgen: Hier würden Effekte starker oder schwacher Ernten erheblich stärker durchschlagen. Bezogen auf den Weltbiermarkt seien Aussagen derzeit schwierig. Zwar gebe es Informationen darüber, dass etwa in den USA viele kleine Craftbeer-Brauereien schließen würden, aber Großbrauereien hätten hier in den vergangenen Jahren auch viele kleine Unternehmen aufgekauft. Am Ende werde man das erst in Hektolitern bemessen können.