Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die große Angst vor dem großen L
Wirtschaft hatte auf V-förmigen Verlauf der Konjunktur gehofft – Nun zerstört sinkender Einkaufsmanagerindex Aussicht auf rasche Erholung
FRANKFURT - Der wirtschaftliche Absturz infolge der Corona-Krise ist heftig. Nun zeigt sich, dass die Erholung wohl langsamer verläuft als erhofft. Wirtschaftsindikatoren in Deutschland und auch in der Eurozone sind am Freitag schlechter ausgefallen als erwartet. So sank der viel beachtete „Einkaufsmanagerindex“im August überraschend deutlich um 1,6 auf 53,7 Punkte. Die Grenze von 50 gilt dabei als Schwelle, oberhalb der man noch von einem Wachstum ausgehen kann. Dieser Schwelle hat sich die Stimmung der Einkaufsmanager damit wieder angenähert – die wirtschaftliche Erholung gerät demnach ins Stocken. „Das war alles in allem ein Dämpfer für die Hoffnungen auf eine kräftige und anhaltende Erholung der Konjunktur“, sagte der Chefvolkswirt der Landesbank BadenWürttemberg, Uwe Burkert. „Die vom Markt gelieferten Zahlen bestätigen einmal mehr, dass es ein langer und steiniger Weg aus der Krise wird.“
Einkaufsmanager – der Name sagt es – sind Manager in größeren Unternehmen,
die für den Einkauf zuständig sind. Damit haben sie einen genauen Einblick in Auftragseingänge, den Bestand, Preise und Bestellmengen ihrer Firmen. Herausgegeben wird das Wirtschaftsbarometer vom privaten Finanzdienstleister IHS Markit und dem Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf, Logistik. Die Ergebnisse des monatlich veröffentlichten Index basieren auf einer Umfrage von rund 500 Chef-Einkäufern.
Der Index besteht aus unterschiedlichen Teilbereichen – wie etwa den beiden Hauptsegmenten Dienstleistungen und Industrie. Während sich die Stimmung von Einkaufsmanagern in der Industrie sogar ein wenig aufgehellt hat, fiel das Teil-Barometer für die Service-Branche deutlich: Mit einem Rückgang von fast fünf Punkten auf nur noch 50,8 Punkte befindet es sich nur knapp über der Wachstumsschwelle. „Die wieder steigenden Infektionszahlen haben der Hoffnung auf eine weitere Lockerung der Corona-Beschränkungen einen herben Dämpfer versetzt“, interpretiert Volkswirt Christoph Weil von der Commerzbank den Dämpfer. „In einigen Ländern wurden die Beschränkungen inzwischen sogar wieder verschärft, unter denen vor allem Teile des Dienstleistungssektors leiden.“
Im übrigen Europa sieht die Lage nicht anders aus. Auch dort dämpft die Sorge vor neuen Einschränkungen der Wirtschaft die Hoffnung auf eine rasche Erholung . „Die Einkaufsmanagerindizes für Frankreich enttäuschten auf ganzer Linie“, sagte
Martin Moryson, Chefvolkswirt für Europa bei der Fondstochter der Deutschen Bank. „Die Daten bestätigen unser Bild, dass der dynamischste Teil der Erholung bereits hinter uns liegen könnte und nun eine Phase schwächeren Wachstums einsetzt.“
Das betrifft auch Unternehmen etwa in der Region Ulm. So meldeten in einer Umfrage der IHK Ulm im Juli rund 60 Prozent der Firmen, unter teils drastischen Umsatzrückgängen zu leiden. Aktuell bereitet Ökonomen vor allem eine zweite Infektionswelle Sorgen. Zu Beginn der Krise hatten viele Volkswirte noch gehofft, dass es eine V-förmige Erholung der Wirtschaft geben würde. Das wäre eine quasi ebenso rasche Erholung wie der historische Einbruch steil war. Mittlerweile zeichnet sich höchstens eine U-Form ab, Pessimisten befürchten gar die Möglichkeit eines L. Das wäre der Fall einer langen Stagnation infolge der Pandemie.
An den Börsen schließlich hatte über die vergangenen Wochen die optimistische Lesart das Handeln bestimmt. In dieser Woche erreichten wichtige Indizes an der New Yorker
Börse neue Höchststände. Und auch der deutsche Index Dax befindet sich mit einem Stand von etwas mehr als 12 740 Punkten auf vergleichsweise hohem Niveau. Das liegt unter anderem an den staatlichen Konjunkturprogrammen und dem billigen Geld der Notenbanken.
„Perspektivisch ist das Umfeld für Unternehmenswerte weiterhin gut: Die geld- und fiskalpolitischen Rahmenbedingungen bleiben erhalten“, meint der Chefvolkswirt der DekaBank, Ulrich Kater. Er ist darüber hinaus auch optimistisch, was die Erholung der Realwirtschaft angeht. „Im dritten Quartal ist davon auszugehen, dass Deutschland wieder auf den Wachstumspfad zurückfindet. Darauf dürfte auch das ifo-Geschäftsklima im August hindeuten.“
Der Ifo-Index wiederum, so könnte man sagen, ist der große Bruder des Einkaufsmanagerindexes. Er misst allgemein die Stimmung in den Chefetagen der Deutschen Wirtschaft. Der ifo-Index gilt als wichtigstes Konjunkturbarometer hierzulande und wird am kommenden Dienstag für den Monat August veröffentlicht.