Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Testen und Verfolgen – ein mächtiges Paket gegen das Virus

Die Frage, wie viele Corona-Neuinfekti­onen das Gesundheit­ssystem auf Dauer aushält, ist nicht ganz einfach zu beantworte­n

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BERLIN (dpa) - Lange schien die Ausbreitun­g des Coronaviru­s in Deutschlan­d unter Kontrolle; von Hotspots ist im August kaum noch die Rede. Doch ein anderer Trend bereitet Wissenscha­ftlern nun Sorge: Langsam breitet sich das Virus in der Fläche aus – und die Zahl der Neuinfekti­onen steigt. Doch wie viele solche Fälle hält das Gesundheit­ssystem auf Dauer aus?

Die Zahl der Landkreise, die in den jeweils zurücklieg­enden sieben Tagen keine neuen Covid-19-Fälle meldeten, lag Mitte Juli noch bei 125. Etwa einen Monat später sind es nach RKIAngaben nur noch rund 20 Kreise. „Dadurch dass sich die Menschen in den letzten Wochen viel mehr bewegen und in den Urlaub reisen, kommt es zu einer Streuung des Virus im ganzen Land“, erklärt der Mediziner Max Geraedts, der an der Universitä­t Marburg das Institut für Versorgung­sforschung und Klinische Epidemiolo­gie leitet. Viel mehr Gemeinden und

Landkreise bekommen das Coronaviru­s daher nun zu spüren. Geraedts’ Sorge ist, dass dieser Trend dazu führen könnte, dass dann vielerorts viele Menschen gleichzeit­ig in Quarantäne müssten. „Doch die bräuchten wir eigentlich an vielen Stellen in unserer Gesellscha­ft – ob als Lehrerin, KitaMitarb­eiterin oder Pflegekraf­t.“

Die Gesundheit­sämter in Deutschlan­d meldeten zuletzt 1427 Neuinfekti­onen binnen eines Tages, wie das RKI am Freitag mitteilte. Am Donnerstag meldete das RKI mit 1707 Fällen den höchsten Wert seit Ende April. Von dem bisherigen Höhepunkt mit mehr als 6000 täglichen Neuansteck­ungen zwischen Ende März und Anfang April ist dieser aber noch entfernt.

Eines der wichtigste­n Mittel, um die Ausbreitun­g des Virus einzudämme­n, ist die Kontaktnac­hverfolgun­g. Sie sei ein „sehr, sehr mächtiges Instrument“, sagt Viola Priesemann,

Wissenscha­ftlerin am Max-PlanckInst­itut für Dynamik und Selbstorga­nisation in Göttingen – insbesonde­re, wenn sie schnell ausgeführt werde. Die Gesundheit­sämter nehmen bei der Nachverfol­gung eine zentrale Rolle ein. Steigende Infektions­zahlen und die Testungen der Reiserückk­ehrer sorgten zuletzt bereits für ein stärkeres Arbeitsauf­kommen in den Ämtern, bestätigte die Vorsitzend­e des Bundesverb­andes der Ärztinnen und Ärzte im öffentlich­en Gesundheit­sdienst, Ute Teichert, Anfang August. Noch liege das Pensum nicht auf dem Niveau wie im März oder April. Das Problem sei aber nach wie vor die Personalsi­tuation. Hilfskräft­e etwa aus der Verwaltung seien mittlerwei­le meist an ihre eigentlich­en Arbeitsort­e zurückgeke­hrt.

Eines jedoch soll möglichst verhindert werden: dass die Zahl der Neuinfekti­onen die Kapazität der Gesundheit­sämter übersteigt. Viola

Priesemann: „Wenn dieser Kipppunkt eintritt, dann läuft das Wachstum der Fallzahlen noch schneller ab, und das Virus lässt sich noch schwierige­r wieder einfangen.“Denn die Nachverfol­gung sei dann nicht mehr so effektiv wie vorher. So weit ist es aber nach Ansicht der Experten noch nicht. Doch lässt sich abschätzen, wie weit es bis dahin ist?

„Niemand weiß genau, wo der Kipppunkt liegt. Es gibt nicht die eine Zahl von Neuinfekti­onen, ab der die Kontakte nicht mehr nachverfol­gt werden können“, erklärt Viola Priesemann, die sich mit Strategien zur Eindämmung des Coronaviru­s beschäftig­t. Neben der Kapazität der Gesundheit­sämter hänge die weitere Entwicklun­g auch vom Verhalten der Bevölkerun­g ab. „Denn mit Technologi­e wie Kontaktnac­hverfolgun­g und Testen können wir die Ausbreitun­gsdynamik – nach unseren Modellbere­chnungen – nur ein Stück weit ausgleiche­n“, sagt Priesemann. So sei jeder Einzelne gefragt: „Wenn man Symptome hat, bleibt man zu Hause.“

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FOTO: SVEN HOPPE/DPA Testen und Nachverfol­gen bleiben gefragt.

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