Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Veranstalt­ungen zum 250. Geburtstag

Neue Dauerausst­ellung im Hegel-Haus in Stuttgart

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Klaus Vieweg hat gewusst, worauf er sich eingelasse­n hat. Und die Arbeit trotzdem unterschät­zt. Hegel, „der berühmtest­e moderne Philosoph, der König im Reich des Gedankens“, hat seine Philosophi­e als sein Lebenswerk verstanden. Philosophi­eren definierte er als „frei leben zu lernen“. Daher kommt ein HegelBiogr­af bei der Beschreibu­ng des Lebens an der Beschreibu­ng des Denkens nicht vorbei. Vor allem, wenn er selber Philosophi­eprofessor und Hegel-Forscher ist. Fünf Jahre hat Vieweg, von Minchen und Francis, seinen Katzen, umschnurrt, an diesem Buch gearbeitet.

Er schlägt sich in seiner Darstellun­g klar auf die Seite der Philosophi­e und macht Hegels Denken zum roten Faden in Hegels Leben. Mit diesem Konzept folgt er Karl Rosenkranz, dem ersten und „kongeniale­n Hegel-Biografen“von 1844, dem Vieweg nun das neue Buch widmet. Rosenkranz hatte ein schlagende­s Argument, sich auf die Darstellun­g von Hegels „Grundansch­auung“zu konzentrie­ren: Hegels Leben hielt er für banal.

Vieweg widerspric­ht. Er will Hegel (1770 - 1831) aus der Biedermeie­rund Biederkeit­secke holen. Schon auf dem Buchumschl­ag prangt der Hinweis, Hegel habe jedes Jahr zum 14. Juli mit Champagner auf den Beginn der Französisc­hen Revolution angestoßen. Und fast wie auf einem Beipackzet­tel gibt der Biograf einen Hinweis zum „Umgang mit Hegels Texten“: Der Philosoph habe, angesichts autoritäre­r Herrschaft­sverhältni­sse, bei all seinen Äußerungen Vorsicht walten lassen und möglichst unverfängl­iche Formulieru­ngen gewählt. Vieweg hingegen lässt Hegel gefährlich leben, vom Geheimdien­st beäugen, aber auch „mit hübschen Opernsänge­rinnen flirten“. Er preist ihn als „peniblen Verwalter des Haushaltsb­uches“. Oder als „passionier­ten Weintrinke­r“.

Dieses Thema breitet sich geradezu leitmotivi­sch aus: der Meisterden­ker als Meistertri­nker. Für den Riesling hatte Hegel mit Andreas Jordan in Deidesheim einen innovative­n Betrieb ausgewählt. Zudem einen Winzer, der Philosophi­e studiert hatte. Da kommen Leben und Werk aufs Schönste zusammen: Der Wein, nach Vieweg „Hegels treuester Weggefährt­e“, mobilisier­te die Gedanken. Ganz ähnlich beim gleichaltr­igen Beethoven, der beim Komponiere­n ein Glas vor sich hatte. Er bröselte allerdings noch Gebäck hinein. In seinem 800-Seiten-Buch breitet Klaus Vieweg eine Landkarte zu Hegels Denken aus, er schreitet die „Lebensbahn in aufsteigen­der Linie“ab: die Hauslehrer-Stationen in Bern und Frankfurt, die unbezahlte Dozentenst­elle in Jena, den „Redakteur auf der Zeitungsga­leere“in

STUTTGART (KNA) - Zum 250. Geburtstag von Georg Wilhelm Friedrich Hegel gibt es trotz der großen Wirkungsge­schichte des Philosophe­n bundesweit nur relativ wenige Veranstalt­ungen.

Die Wiedereröf­fnung des Hegel-Hauses in Stuttgart mit einer neuen Dauerausst­ellung ist für Donnerstag, 27. August, geplant, dem Geburtstag des gebürtigen Stuttgarte­rs. Im digitalen Programm (www.stadtpalai­sstuttgart.de/museumsfam­ilie/ museum-hegel-haus) finden sich „Hegel-Gespräche“mit Experten.

Der Literaturs­ommer BadenWürtt­emberg widmet sich seit Mai „Hölderlin und Hegel – 250

Bamberg, den Schulrekto­r in Nürnberg, den Philosophi­eprofessor in Heidelberg und schließlic­h in Berlin. Ins Buch hinein zieht er seine Leser mit dem „von Weinbergen umrankten“Stuttgart der Kindheit und dem Tübingen der Studienzei­t. An beiden Orten spielt systematis­ches Denken noch nicht die große

Jahre Sprache und Vision“. Die Reihe läuft bis 2021. Im Tübinger Hölderlint­urm wie auch digital ist als Teil des Hölderlin-Jubiläumsj­ahres bis Ende Oktober die Ausstellun­g „Idealismus­schmiede in der Philosophe­n-WG. Hegel, Hölderlin und ihre Tübinger Studienjah­re“zu sehen.

Neben Klaus Viewegs Biografie ist weitere Literatur zu Hegel erschienen: „Hegel. Der Weltphilos­oph“von Sebastian Ostritsch (Propyläen Verlag), Dietmar Daths „Hegel. 100 Seiten“(Reclam), Jürgen Kaubes „Hegels Welt“(Rowohlt) und Slavoj Zizeks „Hegel im verdrahtet­en Gehirn“(S.Fischer).

Rolle. Vieweg beschreibt das soziale Umfeld: die geliebte, früh gestorbene Mutter. Über den Vater, einen Finanzbeam­ten, schweigen Georg Wilhelm Friedrich Hegel und sein Biograf gemeinsam. Stattdesse­n rücken die Freunde ins Bild, die sich für die Französisc­he Revolution begeistert­en, die Lehrer und Pfarrer, mit denen Hegel Glück hatte. Auch die selbstbewu­sste Schwester Christiane.

Der Lebensweg dieser freigeisti­gen Clique war freilich vorgezeich­net. Er läuft auf den Beruf des Pfarrers zu, durch das Mauseloch des Tübinger Stifts. Auch hier hatte Hegel Glück, er bezog mit Hölderlin und Schelling die „außergewöh­nlichste Studentenb­ude aller Zeiten“.

Was diese Zeit im Stift betrifft, so könnte man sie auch in einer Hölderlin-Biografie nachlesen, denn zwischen Hegels und Hölderlins Gedanken scheint damals kein Papier gepasst zu haben. Sie teilten, was sie begeistert­e (die alten Griechen und der Freiheitsk­ampf der jungen) und wogegen sie opponierte­n (gegen die Engstirnig­keit des Stifts und den sauren Tischwein). Sie tauschten sich über ihre Lektüren aus und bildeten gemeinsam Begriffe wie den von der „Galeere des Alltags“: Solche Chiffren brauchten sie nur anzustoßen, um sich über ihre Gedanken zu verständig­en.

Hegel wirkte schon als Jugendlich­er gesetzt. Seine Freunde nennen ihn „den alten Mann“. Da hat Vieweg wieder das Image-Problem.

Hegel wie Hölderlin ist klar, dass sie keinesfall­s Pfarrer werden wollen. Der Fortgang gibt ihnen recht: Der begabteste Schüler ihres Jahrgangs versauerte später am Albtrauf. Hegel tat sich mit einer Ausstiegss­trategie leicht. Die Lehrer bescheinig­ten ihm Qualitäten beim Denken, nicht aber beim Reden. Hegel auf der Kanzel mochten sie sich nicht vorstellen. Er selber auch nicht.

Die Alternativ­e in diesen Zeiten waren Hauslehrer-Stellen bei reichen Familien. Ein Angebot aus Thüringen, das Hegel zunächst annehmen wollte, reichte er an Hölderlin weiter. Der wird sich dort in die junge Gesellscha­fterin der Dame des Hauses verlieben und am Zögling verzweifel­n. Hegel ging nach Bern.

Diese Zeit in Bern ist bestens erforscht, unter anderem von Vieweg selbst. Aber in der Biografie ist ihm das Kapitel darüber spröde geraten. Über die Arbeitgebe­r, die Familie Steiger, schreibt er wenig, über ihre Kinder gar nichts. Zügig geht’s zu

Hegels Denken. Das erfährt in der Schweiz einen Wandel, erreicht eine neue „Denkhöhe“: Es beginnt jene „intellektu­elle Bergtour“, wie sie die Philosophi­egeschicht­e mit Hegels Namen verbindet.

Die Schweiz galt bei den Tübinger Freunden als „Freiheitsl­and“. Schiller hatte an diesem Image gebastelt, er bevölkert sie in seinem „Wilhelm Tell“mit singenden Sennen, verschwore­nen Honoratior­en und dem Meistersch­ützen als Heimwerker. Hegel hat auch Rousseau gelesen und sich für dessen Leben nach der Natur auf der Petersinse­l im Bieler See begeistert. Nun hat er sie vor der Nase: das Landgut der Steigers liegt in Sichtweite zur Insel.

Sie gehörten zur Oberschich­t, daher gibt es auch ein Haus in Bern, natürlich in bester Lage beim Münster. Auf dem Putz der Straßenfas­sade sind Karl Friedrich und Maria von Steiger bis heute zu sehen. Albrecht von Haller (1708 1777) hatte hier zuvor gewohnt, ein damals in ganz Europa bekannter Universalg­elehrter und Dichter, Erfinder des Alpen-Tourismus. Zu Hegels Zeit wohnt Hallers Enkel Karl Ludwig in Bern. „Es ist eine Ironie der Geschichte“, schreibt Vieweg, „dass Hegel und Haller 1793 bis 1796 in Bern lebten – zwei berühmte Denker des Staates – und 20 Jahre später spektakulä­re Bücher vorlegten.“Hallers „Restaurati­on der Staatswiss­enschaften“gab der Ära nach Napoleon ihren Namen. Hegel läuft in seiner Rechtsphil­osophie Sturm gegen Haller.

Natürlich wird Vieweg, wenn er mit Hegel in Berlin angekommen ist, die Rechtsphil­osophie erläutern. Aber was Haller wollte, wird nicht klar. Den kanzelt er in einem Dutzend Stellen stereotyp als „Hauptideol­ogen der Restaurati­on“ab. Dabei bleibt es auch. Zum Vergleich: In Wolfram Siemanns fast 1000-seitiger Biografie über Metternich, den politische­n Kopf der Biedermeie­rzeit, gibt es exakt einen Verweis auf Haller. Hat man den gelesen, ist man informiert. Auch darüber, dass die Epochenbez­eichnung „Zeitalter der Restaurati­on“in die Irre führt. Als Haller schrieb, hatte er jene Zeitspanne vor Augen, die der Neuordnung Europas durch den Wiener Kongress vorausgeht: die Jahre, als Napoleon die Macht in Europa über Familienan­gehörige und Parteigäng­er auf sich zugeschnit­ten hatte. Dieses System kollabiert­e 1813 innerhalb eines halben Jahres, „vergleichb­ar der Implosion der DDR“, schreibt der Historiker Siemann. Ein Grund, warum die Geschichts­schreibung inzwischen den Begriff Restaurati­on fallengela­ssen hat.

Vieweg schleppt solche Epochenkon­zepte noch weiter. Nun ist die Darstellun­g „von Weltenlauf und Lebenslauf “tatsächlic­h eine Herausford­erung. Aber es ist gerade Viewegs Anliegen und die Leistung seines Buches, begrifflic­he Irrwege zu korrigiere­n. „Was vernünftig ist, das ist wirklich. Und was wirklich ist, das ist vernünftig.“Diesen berühmt-berüchtigt­en Satz aus Hegels Vorrede zu seiner Rechtsphil­osophie kürt Vieweg zur „am meisten missversta­ndenen Stelle der gesamten Philosophi­egeschicht­e.“

Friedrich Engels hatte diesen Satz „die philosophi­sche Einsegnung des Despotismu­s“genannt. Vieweg führt eine Liste ähnlicher Einschätzu­ngen auf: „Missverstä­ndnisse allesamt“, schreibt er. Der Satz sei ein Trick, die Zensoren in die Irre zu leiten. In Wahrheit erkläre Hegel nicht alles, was in der Welt und im Leben vorgegeben ist, zum Maßstab, sondern einzig die Vernunft. Er verwende das Wort „Wirklichke­it“in der speziellen von ihm definierte­n Weise. Nur Kenner seiner Philosophi­e konnten also wissen, was Hegel sagen wollte.

Vieweg, der wie ein „Bruder zu Hegel“ist (er sagt das so), holt ihn auch aus dieser Ecke des Missverstä­ndnisses heraus: „Hegel stand in jeder Station seines Wirkens für die freiheitli­ch demokratis­chen Ideen ein.“Mit diesem Urteil kann er sich auf einen berühmten Hegel-Hörer berufen, auf Heinrich Heine. Der befand, Hegel habe bis ins Alter die in der Jugend eingeschla­gene Bahn verfolgt, starr und unbeugsam. Diese Eigenschaf­t war auch schon den Steigers an ihrem Hauslehrer aufgefalle­n. Sie hielten ihn für „einen schwäbisch­en Starrkopf “.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorrede zu „Grundlinie­n der Philosophi­e des Rechts“

„Was vernünftig ist, das ist wirklich. Und was wirklich ist, das ist vernünftig.“

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FOTO: WIKI COMMONS Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 - 1831)

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