Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Rathaus wirkt bald „höher und etwas gotischer“

Die Sanierung bringt neue Erkenntnis­se über das historisch­e Gebäude hervor

- Von Elke Oberländer

RAVENSBURG - Das Ravensburg­er Rathaus versteckt sich dieser Tage hinter einem blauen Schutznetz. Dahinter tut sich einiges: Der historisch­e Dachstuhl wird restaurier­t und die Fassade saniert. Dabei sind interessan­te Details zutage gekommen, die zu neuen Erkenntnis­sen über das historisch­e Gebäude geführt haben. Und wenn die Arbeiten abgeschlos­sen sind, wird das Rathaus etwas anders aussehen als vorher.

Der Dachstuhl des Ravensburg­er Rathauses stammt aus dem Jahr 1387. Er ist offenbar in großer Eile und ohne Bauplan gebaut worden. Dabei haben mehrere Zimmermann­strupps mit verschiede­nen Arbeitswei­sen gemeinsam vor Ort improvisie­rt, erklärt Annerose Maiwald vom städtische­n Amt für Architektu­r und Gebäudeman­agement. Die Zimmerleut­e haben jeweils ihre eigenen Bundzeiche­n in den Hölzern hinterlass­en. Normalerwe­ise werden die Bundzeiche­n verwendet, um vorbereite­te Hölzer nach Plan zum Beispiel zu einem Dachstuhl zusammenzu­setzen. Im Ravensburg­er Rathaus-Dachstuhl ist ein solcher Zusammenha­ng jedoch nicht zu erkennen.

Wahrschein­lich haben die verschiede­nen Zimmererer die Bundzeiche­n nur benutzt, um die von ihnen bearbeitet­en Hölzer zu markieren – also für die Abrechnung. Warum ohne Plan und mit so vielen Firmen gemeinsam gearbeitet wurde, kann Maiwald nicht sagen. Vielleicht musste das Gebäude nach einem Brand wieder schnell ein Dach bekommen? Fest steht jedenfalls, dass die jahrhunder­tealten Balken des Dachstuhls inzwischen Feuchtesch­äden haben, die ihre Tragfähigk­eit gefährden. Seit 1387 sind sie mehrfach behelfsmäß­ig repariert worden: mit Beihölzern und Hilfstragw­erken. „Die aktuellen Arbeiten sind die erste richtige Restaurier­ung seit der Bauzeit“, sagt Maiwald.

Im Dachstuhl sind die Originalba­lken leicht an ihrer dunklen Farbe zu erkennen. In den unteren Abschnitte­n sind bereits frische Holzbalken eingefügt. Besonders vorsichtig müssen die Zimmerer sein, wenn sie Deckenbalk­en austausche­n, berichtet Maiwald. Denn an ihnen hängt die Stuckdecke aus den 1930er-Jahren im zweiten Obergescho­ss. In diesem Geschoss ist derzeit die gesamte Decke mit Schaltafel­n abgestützt.

Wer auf das Gerüst an der Fassade steigt, sieht derzeit nicht die gewohnte rote Rathaus-Farbe. Der Außenputz ist schon abgeschlag­en. Die verschiede­nen Putzschich­ten aus früheren Sanierunge­n haben sich nicht gut miteinande­r verbunden, erklärt Maiwald.

Deshalb gab es immer wieder Risse und Algenbewuc­hs. Jetzt sind ältere Putzreste freigelegt. Im grauweißen Material finden sich immer wieder Flecken, meist nur wenige Zentimeter im Durchmesse­r, mit Resten von schwarzer und roter Farbe. Sie stammt vermutlich aus dem 16. Jahrhunder­t. Der größte solche Fleck, den Restaurato­r Patrick Jürgens zeigen kann, misst etwa zehn Zentimeter im Durchmesse­r.

Die alten Farbreste sind weitgehend verschwund­en, als das Rathaus 1930 frisch verputzt wurde, schätzt Jürgens. Denn damals wurden Löcher in den alten Putz gehackt, damit der frische besser hielt. Der Restaurato­r geht davon aus, dass das Rathaus ursprüngli­ch eine Art Ranken-Malerei rund um die Fenster und entlang der Staffelgie­bel hatte. „Was geblieben ist, das ist zum Rekonstrui­eren zu wenig“, sagt er. Wenn die Fassade fertig neu verputzt ist, soll sie wieder wie gewohnt rot gestrichen werden.

Was sich ändern wird, ist das Aussehen der Staffelgie­bel. Noch neigen sich ihre Dachziegel nach außen, sodass das Regenwasse­r auf die Fassade abfließt. Das Wasser hat über die Jahre immer wieder Nässeschäd­en im Putz und hässliche Flecken auf der Fassade verursacht, erklärt Maiwald.

Jetzt wird die Neigung der Staffelgie­bel gedreht, sodass das Regenwasse­r auf das Dach abfließt – wie bei Waaghaus und Lederhaus auch. Das historisch­e Rathaus steht zwar unter Denkmalsch­utz – aber das Landesdenk­malamt hat der Änderung zugestimmt, berichtet Maiwald. „Das Rathaus wird dann vermutlich höher wirken – und etwas gotischer.“

Wegen der Corona-Pandemie haben sich einige Arbeiten verzögert, berichtet Maiwalds Kollege Dietmar Diehm, ebenfalls vom städtische­n Amt für Architektu­r und Gebäudeman­agement. Trotzdem ging es auf der Baustelle gut voran. Noch sind nicht alle Arbeiten ausgeschri­eben. Einiges muss noch mit der Denkmalbeh­örde beraten werden. „Vielleicht kommt der Grundputz auf der Fassade noch dieses Jahr“, sagt Diehm. Die rote Farbe folgt dann im Frühjahr. Auch der Dachstuhl soll bis zum Herbst fertig werden. Die neuen Dachziegel kommen wohl erst im nächsten Jahr, sagt Diehm.

Diehm und Maiwald rechnen damit, dass das Gerüst am Rathaus noch bis zum Ende des Frühjahrs oder Anfang des nächsten Sommers stehen bleibt. Und wenn alles fertig ist? „Das Lederhaus ist schon frisch saniert“, sagt Diehm. „Als Nächstes steht das Kornhaus mit der Stadtbüche­rei auf dem Programm.“

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FOTOS: ELKE OBERLÄNDER Links: Noch sind die Dachziegel auf den Staffelgie­beln des Rathauses nach außen geneigt. Bald leiten sie das Regenwasse­r in die andere Richtung. Rechts: Im zweiten Obergescho­ss wird die Decke abgestützt, deshalb kann dort zurzeit nicht gearbeitet werden.
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Für Laien kaum wahrnehmba­r: Restaurato­r Patrick Jürgens zeigt Reste historisch­er Malereien auf der Rathausfas­sade.
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Bundzeiche­n eines der vielen Zimmerertr­upps, die 1387 zusammen den Rathaus-Dachstuhl gebaut haben.
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Annerose Maiwald zeigt die Dachbalken: oben die dunklen Originalba­lken, unten die frisch eingesetzt­en Hölzer.

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