Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der tolle Hecht von Geisingen
Das Bessere ist der Feind des Guten – ganz nach diesem Leitsatz stellt das Restaurant Zum Hecht in Geisingen so manchen Kollegen am Herd in den Schatten. Traurig genug, dass man ein Restaurants bereits allein dafür loben muss, dass es auf die zweifelhaften Hilfsmittel in der Küche verzichtet. Aber der Hecht geht noch deutlich weiter, was die Qualität angeht. Genauer gesagt Küchenchef Robert Müller, der in der traditionsreichen Atmosphäre des altehrwürdigen Hauses seinen eigenen kulinarischen Kopf durchsetzt. Und zwar mit einer bewundernswerten Weltoffenheit, die mitten in der kleinen Stadt Geisingen so nicht unbedingt zu erwarten ist.
Die Innenräume beeindrucken den Gast mit hohen Decken und Stuck. Gesessen wird auf alten Lehnstühlen mit gepolstertem Leder. Eingedeckt ist feierlich und klassisch weiß mit ordentlichen
Tuchservietten. Die Kellnerin, die sich später als Studentin zu erkennen geben wird, ist eine leichtfüßige Gastgeberin, der das Servieren offenbar im Blut liegt. Kaum ein Moment vergeht, wo sie nicht einen Blick auf den Tisch wirft, um ja den Augenblick nicht zu verpassen, in dem der Gast irgendeine Art von Mangel verspüren könnte.
Den Auftakt gestaltet ein Scheibchen vom gebeizten Lachs, der sich würzig an etwas Couscoussalat schmiegt. Letzterer hat einen orientalisch abgeschmeckten Charakter. Eher international geht es mit der formidablen Hummersuppe weiter, die mit Krustentier-Aromen nur so um sich wirft – süßlich-herbe Komponenten rundet der mutig würzende Chef mit Rahm ab. Die mittig darüber thronende Jakobsmuschel ist dabei schön glasig. Den Kontrast auf Zunge und Gaumen schenkt eine Kruste aus Brotkrumen und Kräutern. Hut ab!
Dagegen muss der Blattsalat mit Erdbeeren und Mango fast ein bisschen farblos wirken, was er für sich genommen gar nicht ist. Denn die herben Kräuter im Salat zaubern in Verbindung mit Balsamico und Obst ein sehr stimmiges Geschmacksbild. Stimmigkeit und wenig Schnickschnack mit der Betonung des Wesentlichen am Eigengeschmack zeichnen Müllers Küche insgesamt aus – besonders aber den ausgezeichneten Lammrücken, der auch tatsächlich nach Lamm schmeckt. Wahrscheinlich hat sich der Küchenchef für ein etwas älteres Tier entschieden, was am intensiven Aroma abzulesen ist. Die Garstufe ist perfekt, sodass Zartheit, Saft und Aromatik maximal aufblühen. Die Jus, die er dazu wie geschmolzene Schokolade auf den Teller gemalt hat, ist vermutlich nicht vom Lamm – bringt aber dennoch Qualitäten mit, die für gute Soßen typisch sind: kraftvoller Fleischgeschmack ohne Zusätze. Die Peperonata, also das Gemüse aus Paprika und Tomaten, passt ebenso gut wie die in Butter gebratenen
Gnocchi. Beweis des hohen Eigenanspruchs: Die Paprika wurden gehäutet, bevor sie auf den Teller kamen.
Nichts anderes lässt sich über das Melonensüppchen zum Dessert sagen, über dem die üppige Süße vollreifer Früchte schwebt: Honig-, Cantaloupeund Wassermelonenbällchen schwimmen im Teller, in dessen Zentrum eine Kugel kerniges Pistazieneis für den kühlen Kick sorgt. Damit ist der Hecht eine Empfehlung für alle Genießer, die von Essen deutlich mehr verlangen als einen gefüllten Magen.