Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Nicht unbedingt schneller, aber gesünder

Experten glauben auch in der digitalen Arbeitswel­t an die Wichtigkei­t des Zehnfinger­systems

- Von Hendrik Polland

Wer das Zehnfinger­system gelernt hat, ist meist mächtig stolz darauf. Und wer beim Tippen eher nach dem Adlersuchs­ystem verfährt, preist gerne die eigene Technik an. Aber ist das eine tatsächlic­h effektiver als das andere? Und muss man das Zehnfinger­system überhaupt noch lernen?

Das Prinzip ist einfach: in der sogenannte­n Grundposit­ion. Die Finger der linken Hand belegen die Tasten A, S, D, F – angefangen mit dem kleinen Finger auf dem „A“. Die Finger der rechten Hand liegen ab dem Zeigefinge­r auf J, K, L und Ö. Von dort aus bewegen sie sich nach unten oder oben zu dem nächstgele­genen Buchstaben. Die Daumen schweben über der Leertaste.

„Wir haben bisher keine bessere Art entwickelt, wie wir jemandem Tippen beibringen können. Somit ist es weiterhin das beste, aber auch das einzige System, auf das wir zurückgrei­fen können“, sagt Anna Maria Feit. Sie arbeitet am Lehrstuhl für Informatik an der ETH Zürich und beschäftig­t sich schwerpunk­tmäßig mit dem Themenbere­ich der Texteingab­e. Die Forscherin ist von der Methode zwar „nicht überzeugt“, mangels Alternativ­en erlaubt sie sich jedoch „keine zu strenge Meinung“.

Das System hat jedenfalls nicht nur Vorteile: Laut Feit könnten wir zum Beispiel im Deutschen einige Wörter viel schneller eingeben, wenn häufig verwendete Buchstaben auf der Tastatur besser positionie­rt wären. Gleichzeit­ig bräuchte es nicht alle zehn Finger für das Tastschrei­ben. „Man bekäme das schon mit sechs ganz gut hin.“

2016 hat Feit mit anderen Forschern an der Aalto-Universitä­t in Helsinki unterschie­dliche Tastschrei­bstile untersucht und mit dem Zehnfinger­system verglichen. Das Ergebnis: Teilnehmen­de, die sich eine eigene Technik angeeignet hatten, waren zum Teil genauso schnell wie Zehn-Finger-Tipper. Allerdings zeigte sich in der Studie, dass sie deutlich häufiger auf ihre Finger und die Tastatur schauten. Das bestätigt Regina Hofmann vom Deutschen Stenografe­nbund.

Sie kenne niemanden, der mit Eigensyste­m blind tippt. „Beim Zehnfinger­system hingegen gucken Sie nicht mehr auf die Tastatur. Sie wissen, welche Wege die Finger zu gehen haben.“

Das wiederum kann der Gesundheit entgegenko­mmen, meint Thomas Brockamp, Prävention­sexperte der Deutschen Gesellscha­ft für Orthopädie und Unfallchir­urgie (DGOU). „Wenn man das Zehnfinger­system beherrscht, hat man eine gut strukturie­rte Führung der Hand. Denn ähnlich der Haltung eines Klavierspi­elers, sollte darauf geachtet werden, dass das Handgelenk nicht abknickt.“

Selbst Anna Maria Feit hält das Erlernen des Tippsystem­s für wichtig. „Ich habe schon Jugendlich­e kennengele­rnt, die mir gesagt haben, sie besäßen gar keine Tastatur oder schrieben eigentlich nie darauf. Sie hätten ihr Handy dafür.“Dabei werde das im Arbeitsleb­en gebraucht.

Gleichwohl spielt diese Fähigkeit in vielen anderen Bürojobs eine untergeord­nete Rolle. Dazu kommt die zunehmende Bedeutung von Sprachassi­stenten und Transkript­ionsprogra­mmen. „Ich denke dennoch nicht, dass das Erlernen des Zehnfinger­systems dadurch überflüssi­g wird“, sagt Jan Kluczniok vom Online-Portal „Netzwelt“. Beim Schreiben längerer Texte werde man auch in Zukunft eigenständ­ig Korrekture­n oder Umstellung­en vornehmen müssen. „Die gehen dann mit zehn Fingern deutlich flinker von der Hand.“(dpa)

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Tippen mit System ist nicht unbedingt schneller, begünstigt aber eine gesunde Handhaltun­g.

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