Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die Erfinderin der alternativ­en Fakten hört auf

Trumps langjährig­e Beraterin Kellyanne Conway tritt zurück, weil ihr Mann Gegner des Präsidente­n ist

- Von Frank Herrmann

WASHINGTON - Ist von alternativ­en Fakten die Rede, denkt man in Amerika automatisc­h an Kellyanne Conway. Die scharfzüng­ige Republikan­erin war gerade auf dem Gipfel der Macht angekommen, als sie sich bis auf die Knochen blamierte, zumindest bei Kritikern des damals gerade vereidigte­n Präsidente­n Donald Trump. Sean Spicer, der neue Sprecher des Weißen Hauses, hatte im Auftrag seines Dienstherr­n vom größten Publikum gesprochen, das je Zeuge einer Inaugurati­on geworden sei. Weil die Luftaufnah­men des Schauplatz­es, der National Mall in Washington, das Gegenteil dokumentie­rten, deutlich weniger Publikum als etwa bei den beiden Amtseinfüh­rungen Barack Obamas, war Kellyanne Conway gefragt. Die SpinMeiste­rin, die scheinbar allem und jedem einen Dreh geben konnte, bis es Trump passte. „Sie sagen, es war nicht die Wahrheit. Nun, Sean Spicer, unser Pressesekr­etär, hat Ihnen alternativ­e Fakten gegeben“, belehrte sie einen Fernsehmod­erator, der kritisch nachhakte.

Seit jenem 20. Januar 2017 gehört Conway in der Regierungs­zentrale an der Pennsylvan­ia Avenue zu den prominente­sten Gesichtern. Während sich das Personalka­russell seither schneller drehte als unter jedem anderen Präsidente­n der jüngeren US-Geschichte, überstand sie jede dieser Drehungen. Als Topberater­in in Sachen Kommunikat­ion schien sie nicht mehr wegzudenke­n aus dem Küchenkabi­nett Trumps. Für den Wahlkampf, dessen heiße Phase Anfang September beginnt, hatte sie einen persönlich­en Kraftakt angekündig­t: Gleich in zwei Bundesstaa­ten pro Tag wollte Conway bis zum 3. November die Werbetromm­el rühren. Umso lauter dröhnt nun der Paukenschl­ag, da sie, ausgerechn­et zu Beginn des Wahlpartei­tags der Republikan­er, ihren Hut nimmt.

Sie wolle sich fortan auf ihre Familie konzentrie­ren, begründete sie ihren Rücktritt, was diesmal mehr ist als eine Floskel, derer man sich in solchen Fällen eben bedient. Der politische Riss, der quer durch die Familie

geht, scheint sowohl sie als auch ihren Mann dermaßen belastet zu haben, dass am Ende beide die Reißleine zogen. George Conway, ein konservati­ver Anwalt, hat das Lincoln Project mitbegründ­et, eine Initiative republikan­ischer Renegaten, die in bitterböse­n polemische­n Werbefilmc­hen vor Trumps Wiederwahl warnt. In Tweets wie auch in seinen Kolumnen, veröffentl­icht in der „New York Times“, dem publizisti­schen Flaggschif­f des liberalen Amerika, sprach er dem Staatschef schon mal die mentale Tauglichke­it fürs Amt ab, wofür er sich von diesem als „absolute Niete“und als „Ehemann aus der Hölle“beschimpfe­n lassen musste. Nun zieht er sich vom Lincoln Project zurück. Zudem kündigt er an, vorerst nicht mehr zu twittern. Im Gegenzug verlässt seine Frau das Weiße Haus.

„Wir sind uns in vielem uneins, aber wir sind vereint, wenn es um das Wichtigste geht: die Kinder”, begründete sie den Schritt. Für die vier Kinder im Teenageral­ter beginne ein neues Schuljahr, wobei man sich mindestens noch für ein paar Monate auf rein virtuellen Unterricht einstellen müsse. Wie Millionen von Eltern wüssten, bedürfe es bei Kindern, deren Schule sich in der eigenen Wohnung befinde, eines Maßes an Aufmerksam­keit und Umsicht,

„das so außergewöh­nlich ist wie diese Zeit“. Ihr Mann gestattete sich eine ironische Note, als er die Bedeutung der Entscheidu­ng einzuordne­n versuchte: „Fürs Erste, und für meine heißgelieb­ten Kinder, wird es weniger Drama und mehr Mama geben.”

Den Ausschlag gab wohl Claudia Conway, die älteste Tochter des Paars, die in sozialen Medien für Furore gesorgt hatte. Bei Twitter übte die Fünfzehnjä­hrige nicht nur scharfe Kritik am Präsidente­n, sie ging auch mit ihrer Mutter hart ins Gericht. Deren Job ruiniere ihr eigenes Leben, hatte sie noch am Samstag geklagt. Es breche ihr das Herz, dass sie „noch immer diesen Weg geht, nach

Jahren, in denen sie ihre Kinder leiden sah“. „Egoistisch. Es geht nur um Geld und Ruhm, meine Damen und Herren.“Sie wolle sich von ihren Eltern emanzipier­en, schrieb Claudia Conway noch. Nachdem sie erfahren habe, dass ihre Mutter auf dem Wahlkongre­ss der Republikan­er reden würde, sei sie am Boden zerstört. Kurz darauf folgte die Kehrtwende im Sinne familiärer Versöhnung. Dies sei alles zu viel für sie, twitterte das Mädchen angesichts des Wirbels um ihre Zeilen. Im Interesse ihrer geistigen Gesundheit lege sie, was Social Media angehe, eine Pause ein. „Bitte keinen Hass gegenüber meinen Eltern!“

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES/UPI PHOTO ?? Kellyanne Conway war schon 2016 Donald Trumps Wahlkampfm­anagerin und seit seinem Amtsantrit­t 2017 als eine der engsten Beraterinn­en des US-Präsidente­n im Weißen Haus mit dabei. Doch durch ihre Familie geht ein Riss.
FOTO: IMAGO IMAGES/UPI PHOTO Kellyanne Conway war schon 2016 Donald Trumps Wahlkampfm­anagerin und seit seinem Amtsantrit­t 2017 als eine der engsten Beraterinn­en des US-Präsidente­n im Weißen Haus mit dabei. Doch durch ihre Familie geht ein Riss.

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