Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Süden kann bei Kita-Qualität punkten
Baden-Württemberg liegt laut Studie weiter vorne – Bayern schneidet auch recht gut ab
STUTTGART - Die Corona-Pandemie hat den Betrieb in Kitas und Kindergärten auf den Kopf gestellt. Jenseits der Krise ist die Entwicklung der Qualität in den Bildungseinrichtungen aber weiter erfreulich. Baden-Württemberg landet im Ländervergleich erneut ganz vorne. Die Bertelsmann Stiftung hat am Dienstag ihr jährliches Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme mit Zahlen vom März 2019 vorgestellt. Das Wichtigste im Überblick:
Woran lässt sich Qualität in der frühkindlichen Bildung erkennen? Experten nennen verschiedene Faktoren. Ein wichtiger Gradmesser ist der Personalschlüssel: also die Anzahl der Kinder, für die eine Erzieherin zuständig ist. Bedeutsam dabei ist auch, wie eingespannt die Kita-Leiterin ist: Sie braucht Leitungszeit für Organisatorisches und zur inhaltlichen Entwicklung der Einrichtung. Zur frühkindlichen Bildung gehört auch eine entsprechende Ausbildung des Personals. Relevant ist zudem die Gruppengröße, denn je mehr Kinder zusammen betreut werden, desto lauter und weniger konzentriert geht es zu.
Wie gut ist der Personalschlüssel? Im Südwesten betreute zum März vergangenes Jahr eine Erzieherin 3,1 Kinder unter drei Jahren. Das ist nach Bremen (3,0) der beste Wert im Bundesländervergleich. In Bayern liegt der Schlüssel bei 3,7 Kindern, der Bundesschnitt beträgt 4,2. Damit verpasst Baden-Württemberg die von der Bertelsmann Stiftung empfohlene Relation von drei Kindern pro Erzieherin nur ganz knapp.
Deutlich übererfüllt ist indes der Betreuungsschlüssel bei den Kindern über drei Jahren. Die Stiftung empfiehlt eine Erzieherin für 7,5 Kinder, in Baden-Württemberg sind es im Schnitt 6,9 Kinder. Damit führt das Land im Bundesvergleich. In Bayern sind es 8,3, im Bundesschnitt 8,8 Kinder pro Erzieherin.
Innerhalb der Bundesländer gibt es jedoch große Unterschiede. So heißt es in der Studie auch: Die Qualität der frühkindlichen Bildung hängt vom Wohnort ab. Während etwa im Kreis Sigmaringen eine Fachkraft 8,1 Kinder über drei Jahre betreut, sind es im Alb-Donau-Kreis 6,8 Kinder. Bei den Kindern unter drei Jahren reicht die Spanne von 3,2 Kindern in den Kreisen Bodensee und Sigmaringen bis 2,8 Kinder in den Kreisen Ravensburg und Biberach. Im Kreis Lindau ist im Schnitt eine Erzieherin für 8,7 Kinder über und für 3,4 Kinder unter drei Jahren zuständig.
Wie groß sind die Gruppen?
Die Wissenschaft empfiehlt nicht mehr als zwölf jüngere sowie 18 ältere Kinder pro Gruppe, wie die Bertelsmann Stiftung erklärt. Bundesweit ist laut Ländermonitoring weiter mehr als die Hälfte aller Gruppen zu groß. Das bedeute Stress – etwa wegen der Lautstärke. Auch könnten die Kinder dann nicht mehr ausreichend gefördert werden. Im Südwesten sind drei Viertel der Gruppen mit Kindern über drei Jahren größer als empfohlen. Bei kleineren Kindern sind es lediglich acht Prozent. Damit steht der Südwesten noch besser da als Bayern. Im Freistaat sind demnach 89 Prozent der älteren Kinder in zu großen Gruppen, bei den kleineren Kindern ist mehr als jede dritte Gruppe betroffen.
Ist das Personal gut ausgebildet? Hier sollten sich die Bundesländer im Westen Deutschlands eine Scheibe von denen im Osten abschneiden, so ein Ergebnis der Studie. Im Südwesten sind 68 Prozent des Kita-Personals ausgebildete Erzieher – immerhin zwei Prozent mehr als im westdeutschen Durchschnitt. In Ostdeutschland liegt der Schnitt indes bei 82 Prozent. Schlusslicht bildet Bayern, wo lediglich knapp die Hälfte des pädagogischen Personals in Kitas Erzieherinnen sind. Die meisten anderen Mitarbeiter sind als Assistentinnen tätig, etwa als Kinderpflegerin oder Sozialassistentin.
Haben die Leiterinnen genügen Zeit zur Entwicklung ihrer Kitas? Nach den Zahlen der Bertelsmann Stiftung bei Weitem nicht. Sie empfiehlt 20 Wochenstunden als Grundausstattung und einen weiteren Zuschlag von 21 Minuten pro ganztags betreutem Kind. Tatsächlich hat eine Kita-Leiterin im Südwesten im Schnitt insgesamt 22, in Bayern 18 Minuten pro Kind zur Verfügung.
Gibt es ausreichend Kitaplätze? Eltern haben das Recht auf einen Kitaplatz, sobald ihr Kind ein Jahr alt ist. Davon machen im Süden der Republik immer noch deutlich weniger Familien Gebrauch als in anderen
Ländern. Die niedrigste Quote der betreuten Ein- und Zweijährigen liegt zwar im Stadtstaat Bremen bei 28 Prozent. Es folgt Bayern mit 29 Prozent und Baden-Württemberg mit 30 Prozent. Laut Erhebung des Deutschen Jugendinstituts in München gibt es noch immer eine Kluft zwischen dem Bedarf an Kitaplätzen und dem Angebot – trotz Rechtsanspruchs. So wünschten sich 43 Prozent der Eltern sowohl in BadenWürttemberg als auch in Bayern einen Betreuungsplatz für ihr Kind.
Ist die Entwicklung nun eher gut oder schlecht?
Der Trend sei grundsätzlich positiv, sagt Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung. „Der Kitaausbau der letzten Jahre war beachtlich.“Er mahnt: „Aber die Personalschlüssel und Gruppengrößen sind vielerorts nicht kindgerecht, es gibt keine bundeseinheitlichen Qualifikationsstandards für das Personal. Kitas können deshalb ihren Bildungsauftrag teilweise nicht wahrnehmen.“
Was sagen die Südländer zur Studie?
Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) sieht sich durch die Studie in ihrem Kurs zur Stärkung der Qualität in Kitas bestätigt. „Das ist aber kein Grund, uns auf den bisherigen Erfolgen auszuruhen“, sagt sie und verweist unter anderem auf den Pakt für gute Bildung und Betreuung des Landes sowie auf Bundesgeld, das über das Gute-Kita-Gesetz fließt. Erstmals bekommen Kita-Leiterinnen seit Januar einen Grundsockel an Leitungszeit. Der beträgt zwar nicht wie empfohlen 20 Stunden, sondern sechs, bei mehreren Gruppen acht Stunden pro Woche. Alles darüber hinaus sei in Verantwortung der Träger vor Ort, so eine Sprecherin Eisenmanns. Eigentlich sollten zum vergangenen September auch 1000 zusätzliche praxisintergrierte Ausbildungsplätze (kurz: Pia) geschaffen werden. So viele Anträge seien von den Trägern aber nicht gestellt worden, so Eisenmanns Sprecherin. Letztlich waren es lediglich 426 Plätze. Kommenden Monat sollen 661 weitere folgen.
Bayerns Familienministerin Carolina Trautner (CSU) übt indes scharfe Kritik an der Studie. „Seit Jahren beurteilt die Bertelsmann Stiftung die Qualität der Kindertagesbetreuung anhand von ihr selbst willkürlich zum Qualitätsmesser erhobenen Zahlen.“Dass in den Kitas etwa auch Sozial- oder Kindheitspädagogen arbeiteten, ziehe die Studie nicht in Betracht.