Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Echte Hilfe oder teure Beruhigungspille?
Ein verlängertes Kurzarbeitergeld soll die Corona-Folgen abmildern, doch es gibt Kritik
BERLIN - Die Signale waren schon vor Wochen deutlich: Die Bundesregierung will das Kurzarbeitergeld auf maximal zwei Jahre verlängern. So soll die Wirtschaft in der Corona-Krise stabilisiert und Massenarbeitslosigkeit verhindert werden. Doch es gibt Kritik.
Was will die Regierung? Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte bereits vor Wochen durchblicken lassen, dass er die reguläre Höchstbezugsdauer für das Kurzarbeitergeld von zwölf auf 24 Monate verlängern will. Damit könnten Unternehmen, die zu Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 in Kurzarbeit gegangen sind, die staatliche Unterstützung bis maximal März 2022 in Anspruch nehmen. Umstritten war bis zuletzt, wie lange der Staat die Sozialversicherungsbeiträge der Betroffenen übernehmen soll. Allein die Sozialabgabenerstattung könnte die Bundesagentur für Arbeit (BA) in diesem Jahr zehn Milliarden Euro kosten. Die Kosten für das eigentliche Kurzarbeitergeld werden auf 13,5 Milliarden Euro geschätzt.
Wirkt Kurzarbeit?
Zumindest in der Wirtschaftskrise 2009, als etwa eine Million Beschäftigte zeitweise konjunkturelles Kurzarbeitergeld bekamen, blieben nach BA-Schätzungen etwa 300 000 Jobs erhalten. Diese Stabilität zahlte sich nach der Krise aus: Während Unternehmen in anderen Ländern beim Wiederanspringen der Wirtschaft ihr vorher entlassenes Personal wieder zurückholen mussten, hatten deutsche Unternehmen ihre eingespielten Teams noch an Bord und konnten direkt wieder loslegen.
Und wie ist es jetzt?
Auch in der Corona-Krise stieg die Arbeitslosigkeit in Deutschland bisher nur schwach (im Juli um 0,1 Prozentpunkte) an. Im Mai lag die Zahl der Kurzarbeiter bei 6,7 Millionen Menschen, neuere Zahlen hat die BA nicht. Allerdings gehen Schätzungen davon aus, dass die Kurzarbeit langsam zurückgeht.
Was spricht gegen die Verlängerung?
Zunächst einmal die enormen Kosten für die BA, die am Ende der Steuerzahler übernehmen muss. Schon in diesem Jahr könnten die BA-Rücklagen coronabedingt verbraucht sein. Zudem warnen Wirtschaftswissenschaftler, dass mit der Förderung auch Unternehmen und Strukturen am Leben gehalten werden, die selbst ohne Krise nicht zukunftsfähig wären. „Unternehmen, die im Strukturwandel an der Kante stehen, bleiben dort und werden nicht über die Kante gestoßen“, sagte der Chef der Wirtschaftsweisen, Lars Feld. Weil zudem die Pflicht zur Insolvenzanmeldung gelockert wurde, gehen Experten von Hunderttausenden Firmen aus, die ohne Staatshilfe nicht überlebensfähig wären: die Auskunftei „Creditreform“geht auf Anfrage der „Welt am Sonntag“sogar von 550 000 überschuldeten Zombieunternehmen aus. Fällt die Förderung weg, stünden diese plötzlich vor dem Aus.
Was spricht für die Verlängerung?
Vor allem, dass die coronabedingten Probleme anhalten. „Bei aller Freude, dass wir im internationalen Vergleich
in Deutschland bisher auch dank Kurzarbeit gut durch die Krise gekommen sind, wird diese kaum am 1. Januar 2021 vorbei sein“, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Ob Automobilbau, Industrie oder Gastronomie: Viele Branchen sind von Normalität noch weit entfernt.
Nutzt längere Kurzarbeit der Wirtschaft?
Die Linkspartei und Forscher im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung fordern sogar ein höheres Kurzarbeitergeld. Eine Aufstockung durch den Arbeitgeber habe den Konsum der Betroffenen deutlich weniger einbrechen lassen, heißt es in einer Studie. Ein höheres Kurzarbeitergeld ist den Autoren zufolge eine bessere Konjunkturspritze als die Mehrwertsteuersenkung.
Nutzt eine längere Kurzarbeit der Politik?
Die FDP wirft der Koalition vor, beim Kurzarbeitergeld vor allem die Bundestagswahl im Herbst 2021 sowie die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz im kommenden März im Kopf zu haben. Denn für wirtschaftspolitische Entscheidungen, die bis tief ins Jahr 2022 reichten, sei es noch zu früh. Niemand könne prognostizieren, wie schnell sich die Konjunktur weiter erhole. FDP-Fraktionsvize Michael Theurer forderte Impulse für neues Wirtschaftswachstum: „Die pauschale Verlängerung und Erhöhung des Kurzarbeitergeldes dient nur der Symptombekämpfung, die kein vorgezogener Wahlkampf werden darf “, sagte er. Die Überforderung der Sozialkassen nutze am Ende nichts, wenn „der Strukturwandel dadurch nur verschleppt wird“, warnte er.