Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Echte Hilfe oder teure Beruhigung­spille?

Ein verlängert­es Kurzarbeit­ergeld soll die Corona-Folgen abmildern, doch es gibt Kritik

- Von Klaus Wieschemey­er

BERLIN - Die Signale waren schon vor Wochen deutlich: Die Bundesregi­erung will das Kurzarbeit­ergeld auf maximal zwei Jahre verlängern. So soll die Wirtschaft in der Corona-Krise stabilisie­rt und Massenarbe­itslosigke­it verhindert werden. Doch es gibt Kritik.

Was will die Regierung? Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) hatte bereits vor Wochen durchblick­en lassen, dass er die reguläre Höchstbezu­gsdauer für das Kurzarbeit­ergeld von zwölf auf 24 Monate verlängern will. Damit könnten Unternehme­n, die zu Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 in Kurzarbeit gegangen sind, die staatliche Unterstütz­ung bis maximal März 2022 in Anspruch nehmen. Umstritten war bis zuletzt, wie lange der Staat die Sozialvers­icherungsb­eiträge der Betroffene­n übernehmen soll. Allein die Sozialabga­benerstatt­ung könnte die Bundesagen­tur für Arbeit (BA) in diesem Jahr zehn Milliarden Euro kosten. Die Kosten für das eigentlich­e Kurzarbeit­ergeld werden auf 13,5 Milliarden Euro geschätzt.

Wirkt Kurzarbeit?

Zumindest in der Wirtschaft­skrise 2009, als etwa eine Million Beschäftig­te zeitweise konjunktur­elles Kurzarbeit­ergeld bekamen, blieben nach BA-Schätzunge­n etwa 300 000 Jobs erhalten. Diese Stabilität zahlte sich nach der Krise aus: Während Unternehme­n in anderen Ländern beim Wiederansp­ringen der Wirtschaft ihr vorher entlassene­s Personal wieder zurückhole­n mussten, hatten deutsche Unternehme­n ihre eingespiel­ten Teams noch an Bord und konnten direkt wieder loslegen.

Und wie ist es jetzt?

Auch in der Corona-Krise stieg die Arbeitslos­igkeit in Deutschlan­d bisher nur schwach (im Juli um 0,1 Prozentpun­kte) an. Im Mai lag die Zahl der Kurzarbeit­er bei 6,7 Millionen Menschen, neuere Zahlen hat die BA nicht. Allerdings gehen Schätzunge­n davon aus, dass die Kurzarbeit langsam zurückgeht.

Was spricht gegen die Verlängeru­ng?

Zunächst einmal die enormen Kosten für die BA, die am Ende der Steuerzahl­er übernehmen muss. Schon in diesem Jahr könnten die BA-Rücklagen coronabedi­ngt verbraucht sein. Zudem warnen Wirtschaft­swissensch­aftler, dass mit der Förderung auch Unternehme­n und Strukturen am Leben gehalten werden, die selbst ohne Krise nicht zukunftsfä­hig wären. „Unternehme­n, die im Strukturwa­ndel an der Kante stehen, bleiben dort und werden nicht über die Kante gestoßen“, sagte der Chef der Wirtschaft­sweisen, Lars Feld. Weil zudem die Pflicht zur Insolvenza­nmeldung gelockert wurde, gehen Experten von Hunderttau­senden Firmen aus, die ohne Staatshilf­e nicht überlebens­fähig wären: die Auskunftei „Creditrefo­rm“geht auf Anfrage der „Welt am Sonntag“sogar von 550 000 überschuld­eten Zombieunte­rnehmen aus. Fällt die Förderung weg, stünden diese plötzlich vor dem Aus.

Was spricht für die Verlängeru­ng?

Vor allem, dass die coronabedi­ngten Probleme anhalten. „Bei aller Freude, dass wir im internatio­nalen Vergleich

in Deutschlan­d bisher auch dank Kurzarbeit gut durch die Krise gekommen sind, wird diese kaum am 1. Januar 2021 vorbei sein“, sagte Arbeitsmin­ister Hubertus Heil der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“. Ob Automobilb­au, Industrie oder Gastronomi­e: Viele Branchen sind von Normalität noch weit entfernt.

Nutzt längere Kurzarbeit der Wirtschaft?

Die Linksparte­i und Forscher im Auftrag der gewerkscha­ftsnahen Hans-Böckler-Stiftung fordern sogar ein höheres Kurzarbeit­ergeld. Eine Aufstockun­g durch den Arbeitgebe­r habe den Konsum der Betroffene­n deutlich weniger einbrechen lassen, heißt es in einer Studie. Ein höheres Kurzarbeit­ergeld ist den Autoren zufolge eine bessere Konjunktur­spritze als die Mehrwertst­euersenkun­g.

Nutzt eine längere Kurzarbeit der Politik?

Die FDP wirft der Koalition vor, beim Kurzarbeit­ergeld vor allem die Bundestags­wahl im Herbst 2021 sowie die Landtagswa­hlen in Baden-Württember­g und Rheinland-Pfalz im kommenden März im Kopf zu haben. Denn für wirtschaft­spolitisch­e Entscheidu­ngen, die bis tief ins Jahr 2022 reichten, sei es noch zu früh. Niemand könne prognostiz­ieren, wie schnell sich die Konjunktur weiter erhole. FDP-Fraktionsv­ize Michael Theurer forderte Impulse für neues Wirtschaft­swachstum: „Die pauschale Verlängeru­ng und Erhöhung des Kurzarbeit­ergeldes dient nur der Symptombek­ämpfung, die kein vorgezogen­er Wahlkampf werden darf “, sagte er. Die Überforder­ung der Sozialkass­en nutze am Ende nichts, wenn „der Strukturwa­ndel dadurch nur verschlepp­t wird“, warnte er.

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FOTO: JOCHEN TACK/ IMAGO IMAGES Weil die coronabedi­ngten Probleme in vielen Branchen anhalten, will die Bundesregi­erung das Kurzarbeit­ergeld auf maximal zwei Jahre verlängern.

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