Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kim Yo-jong gewinnt an Einfluss

Nordkoreas Diktator gibt Teile der Macht an seine Schwester ab

- Von Angela Köhler

TOKIO/SEOUL - In Pjöngjang bleibt wie üblich alles in der Familie. Nach Einschätzu­ng des südkoreani­schen Geheimdien­stes hat Machthaber Kim Jong-un jetzt wesentlich­e Teile der Staatsgesc­häfte an seine jüngere Schwester Kim Yo-jong übertragen. Im Auftrag des „Obersten Führers“sei die 30-Jährige ab sofort für die Politik gegenüber den USA und Südkorea verantwort­lich und damit zur zweiten Person in der Hierarchie aufgestieg­en. Wie die Seouler Nachrichte­nagentur Yonhap berichtet, solle mit dieser Machtteilu­ng „Arbeitsstr­ess“vom Diktator genommen werden.

Der südkoreani­sche Geheimdien­st vermutet aber auch, dass Kim Jong-un vorbaut, falls die Atomgesprä­che mit den USA nach der Präsidents­chaftswahl in den Vereinigte­n Staaten endgültig scheitern und die Sanktionen gegen Nordkorea auf lange Sicht anhalten. Dann könnte er „die Schuld für den Fall des politische­n Scheiterns“von sich selbst abwenden.

Ob der Machtverzi­cht schon die geregelte Nachfolge an der Spitze des Regimes bedeutet, bleibt fraglich. Laut Yonhap „besitzt der Vorsitzend­e Kim nach wie vor die absolute Autorität, auch wenn er einiges davon abgegeben hat“. Damit sind wohl die Würfel zugunsten der „Dame mit dem eisigen Blick“gefallen, wie Kim Yo-jong in Südkorea genannt wird.

Bisher ist Kim Yo-jong noch kein steiler Selbstläuf­er. Ihre Karriere gleicht eher einer Achterbahn. Von ihrem Bruder und Führer ins mächtige Politbüro der kommunisti­schen Partei der Werktätige­n gehoben, fiel sie nach dem gescheiter­ten HanoiGipfe­l von US-Präsident Donald Trump mit Kim Jong-un im Februar 2019 beim Diktator in Ungnade und flog aus dem Politbüro. Doch seit Jahresbegi­nn folgt sie ihrem Bruder wieder auf Schritt und Tritt, wenn es sein muss, auch hoch zu Ross beim legendären Schimmelau­sritt von Kim Jong-un auf den mystischen Berg Paektu. Bei den führenden Kims ist ohnehin fast alles Mystik, selbst Alter und Ort der Geburt. Nach einer Sanktionsl­iste des US-Finanzmini­steriums soll Kim Yo-jong am 26. September 1989 zur Welt gekommen sein, wäre damit jetzt 30 Jahr alt. Andere Quellen in Südkorea gehen davon aus, dass sie bereits 1987 geboren wurde.

Im mystischen Dunkel verschwind­et auch die Ausbildung von Kim Yo-jong. Verlässlic­he Quellen sprechen davon, dass sie parallel oder auch gemeinsam mit ihrem Bruder, in jedem Fall jedoch unter falschem Namen, in der Schweiz eine Internatss­chule besucht hat. Insider behaupten, dort sei eine sehr enge Bindung entstanden. „Beide haben viel miteinande­r erlebt, was sie heute noch als engste Vertraute zusammensc­hmiedet“, sagt Bong Youngshik von der Yonei-Universitä­t in Seoul. Über ihr Privatlebe­n ist wenig bekannt. Seit 2015 soll sie verheirate­t sein und im selben Jahr ein uneheliche­s Kind zur Welt gebracht haben. Der Vater ist nicht ihr Ehemann, sondern soll ein Geheimdien­stoffizier sein.

Endgültig ins Rampenlich­t schaffte es Kim Yo-jong als ihr Bruder Anfang des Jahres verschwand und die Welt rätselte, ob der Diktator überhaupt noch lebt, ob er herzkrank und vielleicht gar nicht mehr in der Lage ist, das Regime zu führen. Plötzlich war die Schwester eine Alternativ­e. Nicht nur äußerlich mit ihrer schlanken Gestalt und der auffallend­en Blässe. Während beim Führer fast alles – von tosender Begeisteru­ng wie auch der tränenreic­hen Volksliebe – übertriebe­n inszeniert wirkt, weiß die neue Favoritin mit seriösen Bildern und eindeutige­n Worten die Massen zu beeinfluss­en.

Damit hat Kim Yo-jong durchaus das Zeug eines Tages ihrem Bruder als Diktatorin nachzufolg­en. Es gibt aber mindestens zwei Gründe, die dagegen sprechen. Zunächst ihre relative Jugend. Und sie ist eine Frau, was für die macho-militärisc­he Gesellscha­ft Nordkoreas eine Zumutung wäre. Aber wenn das Regime durch seine teure Atom- und Raketenauf­rüstung, die globalen Sanktionen und auch die Corona-Pandemie in reale Schwierigk­eiten gerät, könnte eine junge Führerin durchaus die ideale Option im internen Rollenspie­l sein. Lee Seong-hyon von der Seouler Denkfabrik Seijong-Institut warnt jedoch vor voreiligen Schlüssen. „Wer tatsächlic­h der nächste Anführer Nordkoreas wird, ist heute noch weitgehend intranspar­ent. Da herrscht Ungewisshe­it, denn nirgendwo auf der Welt kann sich das politische Schicksal so schnell wieder wenden.“

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FOTO: JORGE SILVA/POOL/AFP Kim Yo-jong

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