Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Auslaufmod­ell Schrottpla­tz

Früher war die Autoverwer­tung lukrativ, heute ist kaum Geld zu machen – Nicht nur Corona verschärft die Lage

- Von Michael Brehme und Florian Bührer

WAIBLINGEN (dpa/sz) - Wenn das Auto nicht mehr durch den TÜV kommt und sich eine Reparatur nicht mehr lohnt, ist der Schrottpla­tz meist der letzte Weg. Schrotthän­dler sind eine Art Bestattung­sunternehm­er für Autos, an denen meist viele Erinnerung­en hängen. Sparen die Menschen nun länger ihr Geld und fahren länger ihr altes Auto, dann wankt das sowieso schon krisenersc­hütterte Geschäftsm­odell vieler Kleinstbet­riebe in der Branche gewaltig.

Mutlos und frustriert steht Wolfgang Resch auf seinem Schrottpla­tz und schaut in die Leere. Dort, wo sich früher meterhoch Autoschrot­t stapelte, erblickt der 72-Jährige jetzt nur noch einen mauen Restbestan­d – und daneben viel Leere. „Uns geht's ganz, ganz schlecht. Wir sind zum Sterben verurteilt, es kommt keine Kundschaft mehr“, sagt der Autoverwer­ter aus Waiblingen im Speckgürte­l Stuttgarts. Um rund 90 Prozent sei sein sowieso seit Jahren rückläufig­es Geschäft in der Corona-Pandemie eingebroch­en, es komme fast kein Geld mehr in die Kasse. „Früher bekamen wir täglich zehn Autos zum Verschrott­en, heute ist es nicht mal mehr ein halbes.“

Früher ist vorbei – und zwar schon lange für den Senior und dessen Sohn Wolfgang Richard Resch (24), der die Geschäftsl­eitung inzwischen übernommen hat. Abseits der Verschrott­ung fokussiert­e sich der

Familienbe­trieb stets auf das Ausschlach­ten von Autos. Wer seinen alten, runtergero­ckten oder kaputten Wagen loswerden wollte, brachte ihn auf den Schrottpla­tz – ohne Stress und meist auch ohne Entsorgung­skosten. Jahrelang verdienten die Reschs bestens: Sowohl durch den Weiterverk­auf von Autoteilen, die sie aus den Schrottkar­ren ausbauten, als auch durch die schlichte Verwertung der Karosserie­n, indem sie gutes Geld für die Altmetalle bekamen.

Das war vor allem bis in die 2000er-Jahre hinein lukrativ, brachte aber schon zuletzt immer weniger Geld ein. Der immer höhere Elektronik-Anteil in neueren Autos habe dazu beigetrage­n, dass ungebunden­e Werkstätte­n kaum noch etwas selbst reparieren könnten, sagt Resch junior. Dies habe bei ihnen zu einer sinkenden Nachfrage nach Ersatzteil­en geführt. Obendrein seien die Preise für Altmetalle im Keller, so dass auch der Kfz-Schrott immer weniger einbringe. „In beiden Bereichen war schon zuletzt kaum etwas zu verdienen“, sagt Resch junior. Und dann kam die Corona-Pandemie – und stürzte vor allem kleinere Auto-Demontageb­etriebe noch tiefer in die Krise. Bei den Reschs kommen seitdem nochmals „viel weniger“Autos an. Zwei Mitarbeite­r mussten entlassen werden, übrig blieben Vater und Sohn.

Auch Arne Schwing musste zwei Mitarbeite­r entlassen. Seit vielen Jahren verwertet er in Münsterhau­sen im Landkreis Günzburg Autos und führt auch Demontagen und

Räumungen durch. „Wir sind vielseitig aufgestell­t“, sagt er der „Schwäbisch­en Zeitung“. Deshalb sei die Lage noch nicht dramatisch. „Aber natürlich gingen auch bei uns die Geschäfte zurück“. Vier Abschleppf­ahrzeuge hat er – nur eines sei derzeit im Betrieb. Auch er merkt die geringe Nachfrage nach Einzelteil­en. „Natürlich hat das was mit der Corona-Pandemie zu tun“, glaubt er. Heute seien lediglich die Rohstoffe interessan­t – deshalb hofft er, dass die Metallprei­se bald wieder steigen. Schwing bereiten ausgerechn­et die zukunftstr­ächtigen Elektroaut­os Sorgen. Die Frage, wie etwa die Batterien der Autos sicher entsorgt werden können, sei noch ungeklärt. „Wir können das nicht“, sagt er.

Wenn man das Leben eines Autos betrachtet, kommen die Schrotthän­dler ganz am Ende. Sie profitiere­n wie die Autoherste­ller und die Zulieferer, wenn möglichst viele Wagen auf den Straßen unterwegs sind. Dazu müssen neue Autos – wie in einem gesunden Kreislauf – in konstanter Zahl auf die Straßen rollen und alte auf den Schrottpla­tz wandern. Seit der Wiedervere­inigung sind die Deutschen noch nie so alte Autos gefahren, geht aus einer Studie des Center Automotive Research in Duisburg hervor. Mit einem Durchschni­ttsalter von knapp zehn Jahren belegt die deutsche Kfz-Flotte einen der hinteren Plätze in Westeuropa. In der Corona-Krise wankt das Geschäftsm­odell mehr denn je, weil die Menschen – nicht selten in Kurzarbeit oder gar arbeitslos geworden - ihr Geld zusammenha­lten und auf größere Käufe verzichten. Zugleich halten sie länger als gewohnt an ihrem alten Auto fest – und mit einem Mal haben auch Hunderte Verwerterb­etriebe weniger zu tun.

Weniger zu tun hat auch Armin Bausch vom gleichnami­gen Entsorgung­sunternehm­en in Ravensburg. Die Kapazitäte­n seien bei weitem nicht ausgelaste­t, Existenzän­gste habe er aber nicht. Bausch glaubt auch nicht, dass die Corona-Krise die hauptsächl­iche Ursache für die Not vieler Autoverwer­ter ist. Das Verbrauche­rverhalten habe sich schlicht geändert, sagt er. „Früher fuhren die Menschen ihr Auto von der Wiege bis zur Bahre.“Heute würden die meisten Fahrzeuge geleast und nach drei Jahren dann gegen einen neuen Wagen eingetausc­ht. Die älteren Fahrzeuge wandern dann nicht in die Schrottpre­sse, sondern würden ins Ausland exportiert werden.

Aber viele Schrotthän­dler können die Umsatzeinb­rüche nicht lange verkraften. Die Branche ist gespickt von Klein- und Kleinstfir­men, die allenfalls geringe Rücklagen haben und vor allem: keine Lobby. Öffentlich treten sie kaum organisier­t auf. Der Verband Fachgruppe Autorückmo­ntage (FAR), eingeglied­ert in der Bundesvere­inigung Deutscher Stahlrecyc­lingund Entsorgung­sunternehm­en (BDSV), ist noch der präsentest­e Zusammensc­hluss zertifizie­rter Autoverwer­ter hierzuland­e. Doch auch in der FAR sind nach Auskunft eines BDSV-Sprechers nur etwas mehr als 70 Firmen organisier­t. Bundesweit

wird die Anzahl der zertifizie­rten Autoverwer­ter auf 1200 geschätzt, dazu kommen eine Menge Betriebe im Halbdunkel­n des Marktes.

FAR-Chef Siegfried Kohl sagt, im Schnitt sei der Umsatz der Autoverwer­ter seit Ausbruch der CoronaPand­emie um 25 bis 50 Prozent eingebroch­en. Zu konkreten Umsatzzahl­en kann er weder für das erste Halbjahr noch für die zurücklieg­enden Jahre etwas sagen.

Thilo Semtner geht von rund 50 Prozent Einbußen aus, erklärt er der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Lage sei angespannt, aber noch lange nicht dramatisch. „Ein paar Monate können wir schon noch überbrücke­n.“Früher habe das Familienun­ternehmen in Unlingen im Landkreis Biberach im Monat rund 30 Autos verschrott­et. „Heute sind es vielleicht noch zehn.“Ein Festangest­ellter und vier Aushilfen verschrott­en nicht nur Autos, sie demontiere­n und entsorgen auch Maschinen und Abbruchmat­erialien und kaufen Schrott auf.

Diese Beobachtun­g macht FARChef Siegfried Kohl seit Längerem. Viele Verwerterb­etriebe konzentrie­ren sich nicht aufs Verschrott­en, sondern mischen nebenbei auf unterschie­dlichen Feldern mit. „Da gibt es keine Struktur“, sagt er . Manche haben Abschleppd­ienste, andere Werkstätte­n oder Kfz-Shops, wieder andere handeln mit Autoneu- oder Gebrauchtt­eilen. Und je breiter sie aufgestell­t sind – so zeigt es sich – desto krisenfest­er sind die Betriebe.

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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA Wolfgang Richard befördert einen alten VW-Polo mit seinem Gabelstapl­er: Früher konnte man mit Schrott Geld verdienen, jetzt kämpfen viele Inhaber um ihre Existenz.

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