Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Auslaufmodell Schrottplatz
Früher war die Autoverwertung lukrativ, heute ist kaum Geld zu machen – Nicht nur Corona verschärft die Lage
WAIBLINGEN (dpa/sz) - Wenn das Auto nicht mehr durch den TÜV kommt und sich eine Reparatur nicht mehr lohnt, ist der Schrottplatz meist der letzte Weg. Schrotthändler sind eine Art Bestattungsunternehmer für Autos, an denen meist viele Erinnerungen hängen. Sparen die Menschen nun länger ihr Geld und fahren länger ihr altes Auto, dann wankt das sowieso schon krisenerschütterte Geschäftsmodell vieler Kleinstbetriebe in der Branche gewaltig.
Mutlos und frustriert steht Wolfgang Resch auf seinem Schrottplatz und schaut in die Leere. Dort, wo sich früher meterhoch Autoschrott stapelte, erblickt der 72-Jährige jetzt nur noch einen mauen Restbestand – und daneben viel Leere. „Uns geht's ganz, ganz schlecht. Wir sind zum Sterben verurteilt, es kommt keine Kundschaft mehr“, sagt der Autoverwerter aus Waiblingen im Speckgürtel Stuttgarts. Um rund 90 Prozent sei sein sowieso seit Jahren rückläufiges Geschäft in der Corona-Pandemie eingebrochen, es komme fast kein Geld mehr in die Kasse. „Früher bekamen wir täglich zehn Autos zum Verschrotten, heute ist es nicht mal mehr ein halbes.“
Früher ist vorbei – und zwar schon lange für den Senior und dessen Sohn Wolfgang Richard Resch (24), der die Geschäftsleitung inzwischen übernommen hat. Abseits der Verschrottung fokussierte sich der
Familienbetrieb stets auf das Ausschlachten von Autos. Wer seinen alten, runtergerockten oder kaputten Wagen loswerden wollte, brachte ihn auf den Schrottplatz – ohne Stress und meist auch ohne Entsorgungskosten. Jahrelang verdienten die Reschs bestens: Sowohl durch den Weiterverkauf von Autoteilen, die sie aus den Schrottkarren ausbauten, als auch durch die schlichte Verwertung der Karosserien, indem sie gutes Geld für die Altmetalle bekamen.
Das war vor allem bis in die 2000er-Jahre hinein lukrativ, brachte aber schon zuletzt immer weniger Geld ein. Der immer höhere Elektronik-Anteil in neueren Autos habe dazu beigetragen, dass ungebundene Werkstätten kaum noch etwas selbst reparieren könnten, sagt Resch junior. Dies habe bei ihnen zu einer sinkenden Nachfrage nach Ersatzteilen geführt. Obendrein seien die Preise für Altmetalle im Keller, so dass auch der Kfz-Schrott immer weniger einbringe. „In beiden Bereichen war schon zuletzt kaum etwas zu verdienen“, sagt Resch junior. Und dann kam die Corona-Pandemie – und stürzte vor allem kleinere Auto-Demontagebetriebe noch tiefer in die Krise. Bei den Reschs kommen seitdem nochmals „viel weniger“Autos an. Zwei Mitarbeiter mussten entlassen werden, übrig blieben Vater und Sohn.
Auch Arne Schwing musste zwei Mitarbeiter entlassen. Seit vielen Jahren verwertet er in Münsterhausen im Landkreis Günzburg Autos und führt auch Demontagen und
Räumungen durch. „Wir sind vielseitig aufgestellt“, sagt er der „Schwäbischen Zeitung“. Deshalb sei die Lage noch nicht dramatisch. „Aber natürlich gingen auch bei uns die Geschäfte zurück“. Vier Abschleppfahrzeuge hat er – nur eines sei derzeit im Betrieb. Auch er merkt die geringe Nachfrage nach Einzelteilen. „Natürlich hat das was mit der Corona-Pandemie zu tun“, glaubt er. Heute seien lediglich die Rohstoffe interessant – deshalb hofft er, dass die Metallpreise bald wieder steigen. Schwing bereiten ausgerechnet die zukunftsträchtigen Elektroautos Sorgen. Die Frage, wie etwa die Batterien der Autos sicher entsorgt werden können, sei noch ungeklärt. „Wir können das nicht“, sagt er.
Wenn man das Leben eines Autos betrachtet, kommen die Schrotthändler ganz am Ende. Sie profitieren wie die Autohersteller und die Zulieferer, wenn möglichst viele Wagen auf den Straßen unterwegs sind. Dazu müssen neue Autos – wie in einem gesunden Kreislauf – in konstanter Zahl auf die Straßen rollen und alte auf den Schrottplatz wandern. Seit der Wiedervereinigung sind die Deutschen noch nie so alte Autos gefahren, geht aus einer Studie des Center Automotive Research in Duisburg hervor. Mit einem Durchschnittsalter von knapp zehn Jahren belegt die deutsche Kfz-Flotte einen der hinteren Plätze in Westeuropa. In der Corona-Krise wankt das Geschäftsmodell mehr denn je, weil die Menschen – nicht selten in Kurzarbeit oder gar arbeitslos geworden - ihr Geld zusammenhalten und auf größere Käufe verzichten. Zugleich halten sie länger als gewohnt an ihrem alten Auto fest – und mit einem Mal haben auch Hunderte Verwerterbetriebe weniger zu tun.
Weniger zu tun hat auch Armin Bausch vom gleichnamigen Entsorgungsunternehmen in Ravensburg. Die Kapazitäten seien bei weitem nicht ausgelastet, Existenzängste habe er aber nicht. Bausch glaubt auch nicht, dass die Corona-Krise die hauptsächliche Ursache für die Not vieler Autoverwerter ist. Das Verbraucherverhalten habe sich schlicht geändert, sagt er. „Früher fuhren die Menschen ihr Auto von der Wiege bis zur Bahre.“Heute würden die meisten Fahrzeuge geleast und nach drei Jahren dann gegen einen neuen Wagen eingetauscht. Die älteren Fahrzeuge wandern dann nicht in die Schrottpresse, sondern würden ins Ausland exportiert werden.
Aber viele Schrotthändler können die Umsatzeinbrüche nicht lange verkraften. Die Branche ist gespickt von Klein- und Kleinstfirmen, die allenfalls geringe Rücklagen haben und vor allem: keine Lobby. Öffentlich treten sie kaum organisiert auf. Der Verband Fachgruppe Autorückmontage (FAR), eingegliedert in der Bundesvereinigung Deutscher Stahlrecyclingund Entsorgungsunternehmen (BDSV), ist noch der präsenteste Zusammenschluss zertifizierter Autoverwerter hierzulande. Doch auch in der FAR sind nach Auskunft eines BDSV-Sprechers nur etwas mehr als 70 Firmen organisiert. Bundesweit
wird die Anzahl der zertifizierten Autoverwerter auf 1200 geschätzt, dazu kommen eine Menge Betriebe im Halbdunkeln des Marktes.
FAR-Chef Siegfried Kohl sagt, im Schnitt sei der Umsatz der Autoverwerter seit Ausbruch der CoronaPandemie um 25 bis 50 Prozent eingebrochen. Zu konkreten Umsatzzahlen kann er weder für das erste Halbjahr noch für die zurückliegenden Jahre etwas sagen.
Thilo Semtner geht von rund 50 Prozent Einbußen aus, erklärt er der „Schwäbischen Zeitung“. Die Lage sei angespannt, aber noch lange nicht dramatisch. „Ein paar Monate können wir schon noch überbrücken.“Früher habe das Familienunternehmen in Unlingen im Landkreis Biberach im Monat rund 30 Autos verschrottet. „Heute sind es vielleicht noch zehn.“Ein Festangestellter und vier Aushilfen verschrotten nicht nur Autos, sie demontieren und entsorgen auch Maschinen und Abbruchmaterialien und kaufen Schrott auf.
Diese Beobachtung macht FARChef Siegfried Kohl seit Längerem. Viele Verwerterbetriebe konzentrieren sich nicht aufs Verschrotten, sondern mischen nebenbei auf unterschiedlichen Feldern mit. „Da gibt es keine Struktur“, sagt er . Manche haben Abschleppdienste, andere Werkstätten oder Kfz-Shops, wieder andere handeln mit Autoneu- oder Gebrauchtteilen. Und je breiter sie aufgestellt sind – so zeigt es sich – desto krisenfester sind die Betriebe.