Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Runter mit dem Blutzucker!
Wie Sport den Stoffwechsel ankurbelt, den Insulinbedarf senkt und beim Abnehmen hilft
MÜNCHEN - In diesem Sommer lockt uns nicht nur die Sonne ins Freie. Auch die Corona-Beschränkungen treiben uns dieses Jahr fürs Training eher nach draußen als ins Fitnessstudio. Sport im Freien ist gut für alle – aber ganz besonders für Menschen mit Typ-2-Diabetes: Von der Bewegung profitieren nicht nur Körper und Seele, sondern auch der Blutzucker. Ausdauersportarten mit längeren Trainingseinheiten sind dabei besonders wirksam.
Es ist wichtig, dass Diabetiker regelmäßig ins Schwitzen kommen. Denn sie haben gute Chancen, ihren Blutzuckerspiegel durch Bewegung so weit zu senken, dass sie ganz auf Diabetes-Medikamente verzichten können. „Sport aktiviert den gesamten Stoffwechsel, auch den Glukosestoffwechsel“, erklärt Andreas Weigel. Der Facharzt für Diabetologie, der eine eigene Praxis in Augsburg hat und seit Jahren als Mannschaftsarzt den Fußball-Bundesligisten FC Augsburg betreut, ist ein ausgewiesener Experte für Blutzucker und Bewegung. „Bei Typ-2-Diabetes führt regelmäßiges Training zu einem höheren Kalorienverbrauch, der eine Gewichtsabnahme und einen verbesserten Stoffwechsel nach sich zieht“, erklärt Weigel. Darüber hinaus wirkt Sport der Insulinresistenz entgegen, sodass das eigene Insulin wieder wirken kann.
Körperliche Aktivität steigert die Durchblutung und beugt DiabetesFolgeerkrankungen vor – etwa dem diabetischen Fußsyndrom oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Diabetologe Weigel ist überzeugt: „Vor allem in den ersten Jahren, wenn die Bauchspeicheldrüse noch eigenes Insulin produziert, könnten viele Typ-2-Diabetiker ihren Blutzuckerspiegel durch Sport in den grünen Bereich schieben. Allerdings muss die Energiebilanz dafür negativ sein.“Sprich: Jeden Tag muss der Körper mehr Kalorien verbrennen, als er durch die Nahrung aufnimmt. „Ein paar Kniebeugen helfen da nicht“, sagt Weigel und rät stattdessen zu vier Stunden Ausdauersport pro Woche.
Ausdauersportarten bieten sich im Sommer regelrecht an: Rudern beispielsweise stärkt den ganzen Körper und die Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention empfiehlt es als Sportart, die Typ-2-Diabetes vorbeugt. Wer regelmäßig im Boot sitzt, verbessert Kraft und Ausdauer, trainiert Arme, Beine, Rumpf und Rücken. Zudem schont Rudern die Gelenke und schult die Koordination. Diabetiker sollten ihr Blutzuckermessgerät und Insulin – wasserdicht verpackt – mit ins Boot nehmen und bei längeren Touren daran denken, etwas zu essen und zu trinken einzupacken.
Gerade total in ist Wandern. Im Gegensatz zum Joggen schont es bei Übergewicht die Gelenke und ist körperlich dennoch anspruchsvoll.
Studien zufolge tut die Bewegung in der freien Natur der Seele gut. In den Rucksack von Diabetikern gehören das Blutzuckermessgerät, genügend Verpflegung sowie bei Bedarf das Insulin. Menschen mit diabetischer Neuropathie sollten sich beim Kauf der Wanderschuhe gut beraten lassen.
Oder wie wäre es mit Tanzen? In vielen Städten bieten Trainer gerade Kurse im Freien an. Das macht nicht nur Spaß, sondern beugt Typ-2-Diabetes vor und senkt den Blutzuckerspiegel, wenn die Erkrankung bereits vorhanden ist. Je nach Tanzstil kann es dabei ganz schön schweißtreibend werden. Diabetiker sollten ihre Tanzpartner aber über die Erkrankung informieren, damit sie im Notfall helfen können und das Richtige tun.
Bei sommerlicher Hitze bietet Wassergymnastik eine willkommene Abwechslung. Die Sportart ist gelenkschonend und viel anstrengender, als viele meinen. Sie erfordert Koordination, Ausdauer und Kraft – schließlich muss man ständig gegen den Wasserwiderstand arbeiten. Wer an diabetischer Neuropathie leidet, sollte im Schwimmbad Badelatschen tragen, um Verletzungen und Pilzinfektionen an den Füßen zu verhindern.
Wichtig: Wenn es gelingt, den Blutzucker durch Bewegung zu senken, sollten Menschen mit Typ-2-Diabetes, die bereits Medikamente nehmen, diese nicht auf eigene Faust reduzieren oder absetzen, sondern unbedingt mit ihrem Hausarzt oder Diabetologen sprechen. Wer schon länger Diabetes hat und jetzt erst mit Sport beginnt, sollte sich zuvor von einem Sportmediziner untersuchen lassen. „Nach langer Diabetes-Dauer könnten bereits Schäden an den Blutgefäßen bestehen, die das Herzinfarktrisiko erhöhen“, so Facharzt Weigel.
Menschen mit Diabetes sollten ihre Werte vor und nach jedem Training
Diabetologe Andreas Weigel aus Augsburg
kontrollieren. Bei längeren Belastungen seien Blutzuckermessungen auch zwischendurch sinnvoll, empfiehlt der Experte. „Das gilt vor allem, wenn während des Sports Unwohlsein oder Schwindel auftritt.“Diabetiker sollten beim Sport schnell wirksame Kohlenhydrate in flüssiger oder fester Form griffbereit haben, da es zu Unterzuckerung kommen kann. Das können zum Beispiel Traubenzuckertäfelchen, Saftschorlen oder Glukose-Gels sein.
Wer unsicher ist, auf eigene Faust mehr Sport zu treiben, kann sich speziellen Sportgruppen für Diabetiker anschließen. Unter Anleitung geschulter Trainer schwitzen hier alle gemeinsam. Kontakte in ganz Deutschland listet die Arbeitsgemeinschaft „Diabetes Sport und Bewegung“der Deutschen Diabetes Gesellschaft (www.diabetes-bewegung.de).
Das Beste am Sport ist, dass er sogar noch wirkt, wenn man längst wieder auf dem Sofa sitzt. Mannschaftsarzt Weigel erklärt: „Nach dem Training kommt es zu einem Muskelauffüll-Effekt. Das bedeutet, die Muskulatur versorgt sich aus dem Blut mit Zucker, um ihre Speicher wieder aufzufüllen.“Bis zu 48 Stunden nach dem Training kann dieser Effekt anhalten.
„Vor allem in den ersten Jahren könnten viele Typ-2-Diabetiker ihren Blutzuckerspiegel durch Sport in den grünen Bereich schieben.“