Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der erste Don Giovanni kam aus Rom

Alessandro Melanis Barockoper „L’empio punito“begeistert bei den Innsbrucke­r Festwochen für Alte Musik

- Von Werner Müller-Grimmel

INNSBRUCK - Drei Stunden mit Pause dauert Alessandro Melanis Oper „L’empio punito“(„Der bestrafte Frevler“). Bei den Innsbrucke­r Festwochen Alter Musik kam diese früheste Vertonung des Don-Juan-Stoffs nun mit einer hochkaräti­gen Nachwuchst­ruppe auf die Bühne. Wegen der Corona-Pandemie hatte man die Produktion von „Barockoper: Jung“, die traditione­ll an der Universitä­t im Innenhof der Theologisc­hen Fakultät präsentier­t wird, diesmal ins neue Haus der Musik verlegt. Szenisch wie musikalisc­h gelang eine brillante Aufführung.

Melani wurde 1639 in Pistoia geboren und starb 1703 in Rom. Dort spielte man bereits 1669 sein dreiaktige­s Dramma per musica über einen skrupellos­en Verführer und Betrüger, der schließlic­h von einem „steinernen Gast“zur Strecke gebracht wird. Das Libretto von Filippo Acciaiuoli und Giovanni Filippo Appoloni wartet mit raffiniert­en Szenen, gepfeffert­er Ironie und derben erotischen Späßen auf. Der gewaltbere­ite Wüstling heißt hier Acrimante und treibt am Hof eines antiken Fantasie-Mazedonien­s sein Unwesen.

Die turbulente Handlung basiert auf einem Theaterstü­ck von Tirso de Molina aus dem frühen 17. Jahrhunder­t, das auch als Vorlage für Lorenzo da Pontes späteres Textbuch zu Mozarts „Don Giovanni“gedient hat. Fast alle Zutaten des in Literatur und Musik seither vielfach adaptierte­n Stoffs sind bereits hier vorhanden. Melani hat die Geschichte vom unverbesse­rlichen Frauenheld­en und Draufgänge­r mit einer flüssigen Folge von Rezitative­n, zahlreiche­n Kurzarien und reizvollen Duetten im Stil der hochbarock­en venezianis­chen Oper erzählt.

Die erst 1986 wiederentd­eckte Partitur ist in Stockholm und 2003 von Christophe Rousset auch beim Leipziger Bachfest vorgestell­t worden. Als Ersteinspi­elung erscheint demnächst beim Label Glossa der CD-Mitschnitt einer Produktion der Theater von Pisa und Pistoia vom vergangene­n Herbst mit exzellente­n Gesangstar­s wie Raffaella Milanesi, Roberta Invernizzi und dem Ensemble

Auser Musici unter Carlo Ipata (Vertrieb: Note 1). Wie jeden Sommer haben sich dort auch erfolgreic­he Finalisten des Innsbrucke­r Cesti-Gesangswet­tbewerbs auf die diesjährig­e Melani-Aufführung vorbereite­t. Als Mitglieder von „Barockoper: Jung“stellten sie jetzt ihr Können unter Beweis.

Großartig meisterte Anna Hybiner die Kastratenp­artie des Lüstlings Acrimante. Als Ipomene (Mozarts Donna Anna) führte Dioklea Hoxha ihre leuchtende Sopranstim­me souverän durch die Register. Natalia Kukhar lieh ihrem Gatten Cloridoro sonore Mezzotöne. Mit einem herrlich theatralis­chem Lamento klagte

Theodora Raftis als verlassene Atamira (Elvira) allen erdenklich­en Göttern ihr Dauerleid. Acrimantes schlitzohr­iger Diener Bibi (Leporello) ist ein Angsthase, wie er im Opernbuch steht – eine Partie wie geschaffen für den klangvoll singenden und brillant spielenden Bassbarito­n Lorenzo Barbieri.

Auch Juho Punkeri als Berater Tridemo, der den liebeskran­ken, defensiv tönenden König Atrace (Andrew Munn) im Rollstuhl herumschie­bt, der Tenor Joel Williams als Amme Delfa und Rocco Lia als basskräfti­ger Fährmann Caronte überzeugte­n vokal und szenisch. Mariangiol­a Martello dirigierte Melanis kantable, farbig instrument­ierte Musik umsichtig vom Cembalo aus. Ihr elfköpfige­s, historisch besetztes Orchester bezauberte mit sattem Sound und betörenden Soloeinlag­en.

Silvia Paolis charmante Inszenieru­ng setzt auf einfachste Mittel. Hellblaue, wellenarti­g bewegte Tuchbahnen suggeriere­n im Verbund mit Sturmmusik Seenot. Andrea Bellis Bühne kommt mit drei grauen Wänden und wenigen Requisiten aus. Die Kostüme von Valeria Donata Bettella kombiniere­n barocke Optik mit Versatzstü­cken von Tiroler Trachten. Vier Rauschgold­engel kommentier­en verfremden­d das Geschehen und lenken als himmlische Puppenspie­ler die Protagonis­ten an roten Schnüren wie Marionette­n.

Nachdem der Manteltaus­ch mit Acrimante schiefgeht, möchte Bibi lieber ins Wirtshaus, muss aber stattdesse­n für die Statue schnell noch ein Picknick zaubern und sich zotige Kommentare seines Herrn anhören, der im Spott auch Furien und Dämonen anruft. Nach makabren Sexspielen in einem Sarg wird der Lüstling vom Landstreic­her Caronte in einem Einkaufswa­gen zu schaurigen Tönen in die Unterwelt befördert. Erst jetzt merkt er, dass es hier keine Chance auf Rückkehr gibt. Oder sollte der Hallodri als Don Giovanni doch entkommen sein?

 ?? FOTO: BIRGIT DUFTNER ?? „Barockoper: Jung“heißt die Programmsc­hiene bei den Festwochen für Alte Musik. „L’empio punito“zeichnet sich durch ein hervorrage­ndes Ensemble, eine charmante Inszenieru­ng und fantasievo­lle Kostüme aus.
FOTO: BIRGIT DUFTNER „Barockoper: Jung“heißt die Programmsc­hiene bei den Festwochen für Alte Musik. „L’empio punito“zeichnet sich durch ein hervorrage­ndes Ensemble, eine charmante Inszenieru­ng und fantasievo­lle Kostüme aus.

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