Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Stadttour mit Unterbrechungen
Auch in Stuttgart verkehrt jetzt ein Hopon-Hopoff-Bus auf unterschiedlichen Routen
Wer hat die Kehrwoche, den Universalmotor und die quadratische Schokoladentafel erfunden? Richtig, die Stuttgarter! Bei einer Citytour mit dem Bus lernen Touristen und Einheimische, was die Kesselstadt neben Dieselverboten und Stuttgart 21 sonst noch zu bieten hat.
Die riesengroße Baustelle des Bahnhofprojekts Stuttgart 21, die mitten im Zentrum der Stadt liegt, ist nicht sonderlich ästhetisch. Und trotzdem ist sie das Erste, das Gäste der „Blauen Tour“mit dem roten Doppeldeckerbus zu sehen bekommen. „Baustellen sind nie schön. Aber eine Stadt, die Baustellen hat, entwickelt sich auch weiter“, sagt Andrea Gehrlach. Sie ist verantwortlich für die Stuttgart-Citytour und findet, dass Stuttgart 21 auch seine schönen Seiten hat. Das Produkt, das daraus entstehe, werde schließlich schön.
Die Fahrt startet hier am Bahnhof. Aus den Kopfhörern tönt die großväterliche Stimme eines Mannes, der mit seiner Enkelin spricht. Er will ihr sein Stuttgart zeigen, sie kennt sich in der Kesselstadt als junger Mensch aber auch ganz gut aus – nur eben mit einem anderen Blickwinkel. „Sie mal hier! Das Museum der bildenden Künste. 1853 wurde es eröffnet“, sagt der Mann aus dem Off. Wie bei einer klassischen Sightseeingtour hört sich das nicht an. Das macht aber auch den Charme dieser speziellen Bustour durch Stuttgart aus. Die Texte sind leicht, die Gespräche zwischen Opa und Enkelin wie in einem Hörspiel aufgebaut.
So fährt der Bus durch die Geschichte Stuttgarts und kommt zum Beispiel vorbei am oberen Schlossgarten, so wie Herzog Karl Eugen es auch im 18. Jahrhundert mit seinem Pferd getan hat. Er gab das Neue Schloss 1746 in Auftrag. Gelebt hat er dort aber nie, die Bauarbeiten zogen sich bis ins 19. Jahrhundert hin. Am Schlossplatz bietet sich die erste Möglichkeit auszusteigen und sich das Alte und das Neue Schloss, die Concordia oder die Stauffenberg-Erinnerungsstätte genauer anzusehen.
„Wenn man Stuttgart erleben möchte, muss man aussteigen“, erklärt Gehrlach. Wer im Bus sitzen bleibt, ist rund 100 Minuten unterwegs. „Zeit ist das, was die wenigsten Menschen haben. Deshalb haben wir versucht, so viele Attraktionen wie möglich in ein kompaktes Zeitfenster zu packen“, erklärt sie.
Zur Bustour gehört auch ein Exkurs in die schwäbische Kehrwoche. Wer hat’s erfunden? Ein Stuttgarter! Im
15. Jahrhundert ging es aber noch eher um den ganzen Schweinemist und Abfall, den die Leute beseitigen sollten. „Und damit war die Stadt eine der ersten, die seuchenfrei war“, erzählt der Großvater seiner Enkelin.
Er erklärt ihr auch, warum das Leonhardsviertel auch „Bohnenvertel“ genannt wird. „Die Menschen, die dort früher gewohnt haben, waren nämlich Tagelöhner und hatten nur wenig Geld“, erklärt er, während der Bus durch die engen Straßen fährt. „Deshalb haben sie mitten im Viertel Bohnen angebaut.“Die seien billig und nahrhaft. Enkelin und Opa sprechen über den Schellenturm, in dem Gefangene mit Glöckchen an den Füßen einsaßen, die Alexanderstraße, in der die steilste Schienenstrecke Europas liegt und den Eugenplatz, auf dem ein Loriot-Denkmal steht. Währenddessen bahnt sich der Bus den Weg zu den genannten Sehenswürdigkeiten, hält an den spannendsten Stellen an.
Besonders skurril erscheint das Schweinemuseum in der Nähe des Neckars. Hier bietet es sich an, noch mal auszusteigen. Der ehemalige Schlachthof entpuppt sich als ein einziges Sammelsurium kleiner und großer Glücksschweinchen, Sparschweinen oder Kuscheltieren. In der ehemaligen Großmetzgerei lernt man alles, was
Sommerzeit man über Schweine wissen muss und kann. Schweine können zum Beispiel Glückssymbole, Gottheiten, Promis sein. Wer danach Hunger auf ein Schnitzel hat, kann den im Gasthaus nebenan stillen. Eine halbe Stunde später kommt der Citybus wieder und gabelt seine Gäste auf.
Weiter geht es zum Canstatter Wasen und zur Wilhelma. Alles hört sich so interessant an, dass man am liebsten an allen neun Haltestellen aussteigen und die Museen und Gebäude genauer ansehen möchte. So ging es auch Gehrlach, als sie diese Tour organisiert hat. „Das Weglassen ist das Schwierigste, weil wir ganz viel zeigen wollen“, sagt sie. Schlussendlich haben sie und ihr Team die wichtigsten Sehenswürdigkeiten genommen und daraus eine attraktive Route gestaltet.
Als der Bus an einem Weinberg des „Cannstatter Zuckerle“hält, wird es wieder Zeit auszusteigen. Die Steinterrassen sorgen dafür, dass die Weintrauben genügend Sonne abbekommen, der Muschelkalkboden soll besonders wertvoll für die Winzer sein. Der Wein, der aus dieser Lage gewonnen wird, ist der Trollinger. In der Vinothek des Weinfactums kann man ihn dann auch probieren. Wer trockene Tropfen bevorzugt, kommt bei einer Weinprobe auf seine Kosten.
Ab dem 28. August gibt es bei der Citytour Stuttgart sogar eine eigene Weintour. „Das ist dann ein kleiner Bus, der besser durch die Weinberge kommt“, erklärt Gehrlach. Am Wochenende können die Besucher von der Blauen Tour in die Weintour umsteigen.