Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Rund 1400 von Missbrauch Betroffene melden sich bei den katholischen Orden
Ergebnisse einer Befragung von 392 Gemeinschaften vorgestellt – Kritiker sprechen von schleppender Aufarbeitung
BONN (KNA/epd/mö) - In den vergangenen Jahrzehnten hat es Missbrauchsvorwürfe gegen mindestens 654 katholische Ordensleute in Deutschland gegeben sowie gegen weitere 58 Angestellte von Orden. Nach den am Mittwoch in Bonn veröffentlichten Ergebnissen einer Befragung von 392 Gemeinschaften waren wenigstens 1412 Kinder, Jugendliche oder Schutzbefohlene von sexuellen Übergriffen betroffen. Von ihnen waren rund 80 Prozent männlich und etwa 20 Prozent weiblich.
Die Vorsitzende der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK), Katharina Kluitmann, sprach zudem von einer nicht näher bestimmbaren Dunkelziffer. Die meisten Beschuldigten – 522 oder knapp 80 Prozent – seien bereits tot. 37 Beschuldigte seien aus ihrem Orden ausgetreten.
Die Vorfälle reichen den Angaben zufolge teilweise bis in die 1950erund 60er-Jahre zurück, als noch viele Schulen und Internate von Patern oder Nonnen geführt wurden. Die DOK betonte, dass die Angaben nicht auf eine wissenschaftliche Studie zurückgingen. Es handele sich lediglich um eine interne Umfrage. Daran hatten sich 291 von 392 Ordensgemeinschaften in Deutschland beteiligt.
Bereits im Herbst 2018 hatten die katholischen Bischöfe eine Studie für die 27 deutschen Diözesen vorgestellt: Mindestens 3677 Minderjährige wurden zwischen 1946 und 2014 in Deutschland von 1670 Klerikern missbraucht.
Nach der Vorstellung der Untersuchung mehren sich die Rufe nach einem einheitlichen Vorgehen in der katholischen Kirche in Deutschland. Das erwarteten vor allem die Betroffenen, erklärte der Missbrauchsbeauftragte
der Deutschen Bischofskonferenz, Stephan Ackermann. Der Bischof von Trier begrüßte die „deutliche Willensbekundung der Orden“zur weiteren Zusammenarbeit mit der Bischofskonferenz und sicherte seitens der Bischöfe zu, bereits praktizierte Kooperationen „wo immer möglich“fortzusetzen, zu verstärken und auch die Orden zu unterstützen.
Auch der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, signalisierte Unterstützung für einen „strukturierten Aufarbeitungsprozess“. Er hoffe zugleich, „dass die DOK dabei zusätzlich starke Unterstützung aus dem Kreis der Orden und Diözesen erhält“.
Die Betroffenen-Initiative „Eckiger Tisch“forderte, alle Aktenbestände der Ordensgemeinschaften zu sichern und sie den Staatsanwaltschaften
zur Verfügung zu stellen, sofern es einen Verdacht auf Missbrauch gebe. Sofern es sich um verjährte Fälle handle, „müssen die so gesicherten Unterlagen einer baldigst einzurichtenden zentralen Aufarbeitungskommission zugeleitet werden“. Keinesfalls dürfe mit Hinweis auf verarmte Gemeinschaften den Opfern eine angemessene Entschädigung verweigert werden.
Kritiker werfen den Orden vor, eine allgemein nachvollziehbare Aufarbeitung zu verzögern. Anders als die 27 deutschen Bistümer unterscheiden sich Strukturen und Verantwortlichkeiten bei den Orden mitunter erheblich voneinander. Einige werden beispielsweise aus dem Ausland geleitet. Manche Gemeinschaften sind zudem inzwischen so klein, dass sie Schwierigkeiten haben dürften, Entschädigungen zu leisten.