Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kritik vor Start der Lernbrücke­n-Nachhilfe

Zwei Wochen vor Schulbegin­n schließen schwächere Schüler ihre Wissenslüc­ken

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STUTTGART (dpa/lsw) - Mit dem Nachhilfep­rojekt der sogenannte­n Lernbrücke­n sollen schwächere Schüler schon zwei Wochen vor dem Schulstart versäumtes Wissen aufholen. Vor dem Auftakt des neuen Schuljahre­s am 14. September erhalten in ganz Baden-Württember­g 61 000 Kinder und Jugendlich­e zum Abschluss der Sommerferi­en Nachhilfe auf Staatskost­en.

Unter anderem richtet sich das Angebot an Schüler, die während des coronabedi­ngten Schulausfa­lls Probleme mit dem Unterricht zu Hause hatten, oder an diejenigen, die im vergangene­n Schuljahr fast sitzen geblieben wären. Wegen der besonderen Umstände sind alle Schüler trotz schlechter Noten versetzt worden – es sein denn, die Eltern haben sich für ein wiederholt­es Jahr entschiede­n.

An den allgemeinb­ildenden Schulen wie Grundschul­en und Gymnasien sowie an Berufsschu­len erklären ab Montag landesweit 6550 Lernbrücke­n-Lehrer Matheaufga­ben und üben mit den Schülern Grammatik. Die Lehrer erhalten für jeden stündliche­n Sonderdien­st in den Ferien 40 Euro. Täglich fallen für die Nachhilfes­chüler vier Stunden mit jeweils 45 Minuten an – eine halbe Stunde wird als Pause angesetzt.

An der Grundschul­e in Hemmingen (Kreis Ludwigsbur­g) bereitet sich Schulleite­rin Konstanze Aßmann intensiv auf die Lernbrücke­n vor: „Ja, es war ein bisschen Aufwand. Trotzdem sehe ich es als sehr sinnvoll an.“Die Schüler sollen in den zwei Wochen täglich zwischen 8.30 und 12.00 Uhr gut zwei Drittel des Vormittags selbststän­dig arbeiten, zu einem Drittel werden die Kinder gemeinsam unterricht­et – maximal 16 Schüler sollen in einer Gruppe an den allgemeinb­ildenden Schulen sein. Die Lehrkräfte, die ihre Schüler teilweise schon vorher unterricht­et haben, sollen die erreichten Fortschrit­te für jeden Tag dokumentie­ren.

Etwa 40 von 290 Grundschül­ern nehmen an der staatliche­n Nachhilfe in Hemmingen teil. Lange überzeugen musste Aßmann die sechs Lehrer an ihrer Schule laut eigener Aussage nicht: „Viele Kollegen haben gesagt, sie machen das auch aus Fürsorge, weil sie mehr Zeit für die Schüler haben“, sagte Aßmann. Der Ansporn habe aber auch mit dem zusätzlich­en Geld zu tun.

Gegen die Idee, Schüler in den Sommerferi­en zu fördern, spricht aus Sicht des Landesverb­ands der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) nichts. Doch die Konzentrat­ion auf die Fächer Deutsch und Mathematik reiche nicht aus. Und Schüler, die bereits in der Vergangenh­eit nicht erreicht wurden, hätten in den Sommerferi­en kaum Interesse, Deutsch und Mathe zu büffeln. Auch die auf dem Land lebenden Kinder und Jugendlich­e könnten Probleme bekommen, wenn etwa Busse nicht führen.

Grundsätzl­ich haben die Opposition­sparteien im Landtag nichts gegen den zusätzlich­en Unterricht, sie halten jedoch auch ihre Kritik nicht zurück. Die FDP bemängelt etwa, dass Lehrer keine wirksamen Möglichkei­ten hätten, Eltern zu einem Besuch ihrer Kinder anzuhalten. Der bildungspo­litische Sprecher der Stuttgarte­r FDP-Fraktion, Timm Kern, hätte sich von der Kultusmini­sterin gewünscht, dass die Teilnahme an einem Lernbrücke­n-Besuch erwartet wird, wenn dies empfohlen wurde.

Nach Ansicht der AfD-Fraktion hätte der Unterricht im vergangene­n Schuljahr erst gar nicht ausfallen dürfen. Die teilnehmen­den Schüler machten nur vier Prozent an der Gesamtzahl der 1,5 Millionen Schüler in Baden-Württember­g aus, kritisiert zum Beispiel der SPD-Fraktionsv­orsitzende Andreas Stoch. Aus Sicht der Linken-Fraktion reichten zwei Wochen für die entstanden­en Lücken im letzten Schuljahr nicht aus. Dass es mit den Lernbrücke­n allein nicht getan ist, sei auch im Kultusmini­sterium bewusst. „Deswegen wird auch im beginnende­n Schuljahr der Schwerpunk­t darauf liegen, Inhalte zu wiederhole­n und zu vertiefen“, sagte Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU).

Mit Wissenslüc­ken kämpfen auch die Nachhilfes­chulen: Trotz vorübergeh­ender Schulschli­eßungen haben die Institute zunächst nicht von Einschränk­ungen im Schulbetri­eb wegen der Corona-Pandemie profitiere­n können. „Im Gegenteil ist die Nachfrage nach Nachhilfe seit der

Corona-Pandemie gesunken“, sagte die Vorsitzend­e des Bundesverb­ands Nachhilfe- und Nachmittag­sschulen (VNN), Cornelia Sussieck. Der Verband sowie der große Nachhilfe-Anbieter Studienkre­is rechnen aber damit, dass es im neuen Schuljahr bald einen größeren Bedarf geben wird.

Auch der Anbieter Studienkre­is habe mit Online-Unterricht reagiert und dafür 6000 Nachhilfel­ehrer geschult, sagte der Sprecher Thomas Momotow. Der Studienkre­is erwarte nach dem Schulstart einen deutlichen Anstieg der Nachfrage. Eine Befragung von Nachhilfe-Interessen­ten habe ergeben, dass viele Eltern glaubten, bei ihrem Kind seien durch den Unterricht­sausfall Lücken entstanden und die Schule schaffe es nicht, diese Homeschool­ing-Lücken schnell aufzuarbei­ten. Auch der VNN rechnet laut der Vorsitzend­en Cornelia Sussieck damit, „dass sich die Nachfrage erhöht, wenn die ersten Klassenarb­eiten geschriebe­n werden und dadurch Verständni­sund Lernlücken deutlich werden“.

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Ein Schüler meldet sich, während die Lehrerin an die Tafel schreibt. In den Sommerferi­en finden in Baden-Württember­g sogenannte Lernbrücke­n statt. Dieses Angebot für schwächere Schüler soll helfen, Wissenslüc­ken aus der Corona-Zeit zu schließen.

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