Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Planet der Radler
Leider ist ja statt des Weltfriedens eine Pandemie ausgebrochen. Aber nicht nur das: Die neue Wirklichkeit hat Nebeneffekte, mit denen weder Wissenschaftler noch Pseudowissenschaftler gerechnet haben. Nur jene, die es hinterher schon immer gewusst haben wollen, behaupten jetzt, gewusst zu haben, dass das Fahrradfahren dieser Tage eine Einfesselung biblischen Ausmaßes erlebt. Als könne man dem Virus durch saftiges Treten in die Pedale davonstrampeln.
Krisen, so sagt man, bringen im Menschen bisweilen das Schlimmste hervor. Dass an dieser These etwas dran ist, erleben wir dieser Tage auf unseren Straßen, die zum Nahkampf-Revier auf zwei Rädern mutiert sind. Wie die Tataren weiland auf ihren Rössern, erstürmt nun der wie eine Wespe in gelb-schwarze Gummianzüge eingenähte Radsportler den Asphalt – mit Verachtung die für ihn extra gebaute Radspur rechts liegen lassend. Immer weniger Fußgänger sind unterwegs. Denn wie schon in den Reiterkriegen, sind es die auf wackligen Beinen gehenden Knappen des Straßenverkehrs, die den scharfen Lenkmanövern der
Zweirad-Samurai als erste zum Opfer fallen.
Straßenverkehr – nie warst Du so voll wie heute! Um das kaum mehr unter Kontrolle zu kriegende Chaos wieder zu beherrschen, schlagen wir je nach Fortbewegungsmittel einen separaten Planeten vor: einen für Radler, Fußgänger, Autofahrer und so weiter. Und auf der Erde, die dann ja zur verkehrsberuhigten Zone wird? Vielleicht noch ein bisschen Einradfahren oder Sackhüpfen. Alles andere hat sich nicht bewährt. (nyf)