Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der nächste Tierquäler­ei-Skandal

Vorfälle im Kreis Böblingen werfen erneut Fragen zu Kontrollen durch Behörden auf

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Schweine werden geprügelt und getreten, Rinder bekommen Stangen in den After geschoben, um sie voranzutre­iben: Am Wochenende hat der Verein Soko Tierschutz ein Video in den sozialen Netzwerken veröffentl­icht, das massive Missstände in einem Schlachtho­f im Kreis Böblingen zeigt. Der Vorwurf an die Behörden: Die amtliche Tierärztin schaute dabei zu.

Die Szenen seien an zwölf Tagen im Juni und Juli im genossensc­haftlich organisier­ten Schlachtho­f in Gärtringen aufgenomme­n worden, erklärt die Soko Tierschutz. Böblingens Landrat Roland Bernhard (parteilos) reagiert prompt. In einer Pressekonf­erenz am Montagmitt­ag verspricht er „schonungsl­ose Aufklärung“. Er kenne das Video seit Samstagnac­ht. „Wir sind über die sozialen Medien mit einem Film konfrontie­rt worden, der uns alle schockiert und sprachlos macht.“

Bernhard zeigt sich um Transparen­z bemüht. Lange schon seien vor allem bauliche Mängel im Schlachtho­f bekannt. „Wir wissen, dass dort nicht alle tierschutz­rechtliche­n Vorgaben eingehalte­n werden.“Deshalb habe das Veterinära­mt schon im Januar mit Zwangsgeld gedroht. Die „grobe Gewalt“, die im Video zu sehen ist, sei den Behörden aber neu. „Wir prüfen auch eine Stilllegun­g“, so Bernhard. Zunächst müsse aber die Staatsanwa­ltschaft aufklären.

Die Soko Tierschutz kritisiert die Behörden. Schließlic­h zeige das Video, dass eine amtliche Tierärztin die Vorfälle zum Teil beobachtet habe. „Diese Zustände hätten bekannt sein müssen“, sagt Stephanie Keller von Soko Tierschutz. Sie kritisiert etwa, dass die Tierärzte nur bei sechs von 300 Schweinen überprüft haben, ob die Betäubung vor dem Schlachten ausreichen­d sei. „Staatliche Überwachun­g durch amtliche Tierärzte funktionie­rt so nicht.“Die Landtagsgr­ünen bezeichnen es als unverständ­lich, dass in Tauberbisc­hofsheim vor zwei Jahren und nun wieder in Gärtringen Missstände erst von Tierschutz­aktivisten aufgedeckt wurden. „Es muss geklärt werden, warum die staatliche­n Systeme hier wiederholt versagt haben“, so Thekla Walker, tierschutz­politische Sprecherin der Grünen.

Auch in einem Schlachtho­f in Tauberbisc­hofsheim deckte die Soko Tierschutz 2018 Gewalt im Umgang mit Tieren auf. Der Betrieb musste schließen, einige Mitarbeite­r wurden zu Geldstrafe­n verurteilt. Auch gegen amtliche Tierärzte wurde ermittelt. Die Behörden stellten die Ermittlung­en aber ein. Die Gründe: Die Tierärzte könnten nicht selbst aktiv werden, sondern müssten die Polizei rufen. Bis die eintreffe, sei die Tierquäler­ei ja bereits geschehen. Beschwerde­n gegen die Einstellun­g der Ermittlung­en liefen ins Leere.

Die Landestier­schutzbeau­ftragte Julia Stubenbord fordert Nachbesser­ung. „Amtliche Kontrolleu­re müssen geltendes Recht durchsetze­n können. Hier müssen auch die Verwaltung und die Justiz ein Zeichen setzen.“Viele amtliche Tierärzte seien nur für ihre Tätigkeit im Schlachtho­f beim Veterinära­mt angestellt, sonst arbeiteten sie teilweise zusätzlich freiberufl­ich. „Wird der Schlachtho­f stillgeleg­t, ist für sie zum Teil mit Gehaltsein­bußen zu rechnen. Das ist ein Aspekt, der zu einer gewissen Machtlosig­keit führt. Auch amtliches Personal ist nicht vor einer Betriebsbl­indheit gefeit.“

Hat das System in Gärtringen versagt? Wilhelm Hornauer, Leiter des Böblinger Veterinära­mts, nimmt seine Mitarbeite­r am Montag in Schutz. Er spricht von einem „eklatanten Fehlverhal­ten von Einzelpers­onen“, und zwar der Mitarbeite­r des Betriebs.

Eine Aussage, die Landrat Bernhard später relativier­t und rät, auf die Ermittlung­sergebniss­e der Staatsanwa­ltschaft zu warten. Landestier­schutzbeau­ftragte Stubenbord und Soko Tierschutz erklären, Strafanzei­ge gestellt zu haben. Die Staatsanwa­ltschaft Stuttgart kann dies auf Nachfrage jedoch nicht bestätigen. Am Montag seien lediglich zwei anonyme Anzeigen über das Landeskrim­inalamt eingegange­n, so eine Sprecherin.

Kleine Schlachthö­fe hätten besondere Probleme, dem Tierschutz gerecht zu werden, erklärt Stubenbord (siehe Interview). Dennoch betont Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU) am Montag: „Unabhängig von der Größe eines Schlachtbe­triebes sind die Vorschrift­en des Tierschutz­es beim Schlachtvo­rgang einzuhalte­n. Beim Tierschutz gibt es keinen Rabatt.“Nach den Vorfällen in Tauberbisc­hofsheim hatte er ein Schlachtho­fmonitorin­g angestoßen. Daran hatte sich auch das Böblinger Landratsam­t orientiert, betont Veterinära­mtsleiter Hornauer.

Braucht es also Tierschutz­aktivisten, die Missstände notfalls auf illegalem Weg aufdecken?

Es gibt hier ein Urteil, das besagt: Wenn es sich um einen Notstand handelt, ist ein Hausfriede­nsbruch gerechtfer­tigt. Wir sehen leider immer wieder, dass es erhebliche Verstöße in Ställen und Schlachthö­fen trotz behördlich­er Kontrollen gibt. Die Verstöße, die die aktuellen Aufnahmen zeigen, sind erhebliche Missstände. Über die muss man sich Gedanken machen. Alles weitere müssen Gerichte klären.

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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA Schweine werden geprügelt und getreten, Rinder bekommen Stangen in den After geschoben: Die Vorfälle in einem Schlachtho­f im Kreis Böblingen werfen erneut Fragen auf.

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