Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Von Trommlergruppen und Knabenchören – deutsche Männerbastionen
In manchen Bereichen unserer Gesellschaft kommen Frauen bis heute nicht vor
MEMMINGEN - Den 24. Juli 2021 wird die Memminger Tierärztin Christiane Renz sich rot im Kalender markieren und notieren: „Ausfischen“. Zum ersten Mal seit Jahrhunderten könnte an jenem Samstag beim traditionellen Memminger Fischertag die Gleichberechtigung Einzug halten, denn bisher dürfen Frauen nicht beim Ausfischen mitmachen. Doch damit könnte Schluss sein: Der Ausschluss von Frauen aus der Gruppe der Stadtbachfischer durch den veranstaltenden Verein sei eine unzulässige Diskriminierung, urteilte das Amtsgericht in Memmingen am Montag und gab Renz, die gegen die Tradition geklagt hatte, recht.
Dass Renz mit weiteren Frauen und rund 1200 anderen (männlichen) Stadtbachfischern schon 2021 die Forellen an Land zieht, ist aber keineswegs sicher. Denn ob der Verein das noch nicht rechtskräftige Urteil akzeptiert, ist fraglich (Az. 21C952/ 19). Der Fischertagsverein hält sich die Möglichkeit offen, die nächsthöhere juristische Instanz, das Landgericht, anzurufen.
Zum Fischertag kommen jedes Jahr Zehntausende Besucher in die Stadt im Allgäu. Hunderte Männer springen dabei in den Stadtbach, um mit Keschern den schwersten Fisch zu fangen und „Fischerkönig“zu werden. Teilnehmen dürfen laut Satzung des Fischertagsvereins aber nur Männer und Jungen ab sechs Jahren, die seit mindestens fünf Jahren in Memmingen wohnen und eine Prüfung ablegen. Frauen blieb bisher die Rolle vorbehalten, als „Kübelmädle“am Rand Wasserkübel für die gefangenen Fische zu bewachen.
Christiane Renz, die seit 30 Jahren Vereinsmitglied ist, hatte vor dem Prozess zweimal beantragt, durch eine Änderung der Vereinssatzung auch Frauen die Teilnahme am Stadtbachfischen zu ermöglichen. Beide Male stimmte eine große Mehrheit der Delegiertenversammlung dagegen. Der Fischertagsverein hatte den Ausschluss von Frauen vom Höhepunkt des Volksfests mit der Wahrung eines jahrhundertealten Brauchtums begründet und sich auf die Vereinsfreiheit berufen. Das Ausfischen des Stadtbachs sei stets Männern vorbehalten gewesen, Frauen könnten sich in jeder anderen Untergruppe des Vereins engagieren.
Mit dieser Argumentation scheiterte der Verein vor Gericht krachend. „Die Klägerin darf nicht ausgeschlossen werden“: So bringt es Richterin Katharina Erdt am Montagmorgen bei der mündlichen Urteilsverkündung auf den Punkt. Der Fischertagsverein müsse nun auch Frauen und Mädchen in die Gruppe der Stadtbachfischer aufnehmen, selbst wenn die Vereinssatzung dort bisher nur Männer und Buben erlaube. An dieser Stelle kollidiert jedoch das Vereinsrecht mit dem Grundgesetz, das die Gleichstellung von Frauen und Männern regelt, sagt die Richterin. Eine männliche Tradition allein sei bei einer Veranstaltung mit herausragender Bedeutung kein zulässiger Grund für Diskriminierung. Der Fischertagsverein mit rund 4500 Mitgliedern müsse sich an den Grundsatz der Gleichbehandlung im Grundgesetz halten.
Weiter argumentiert sie, der Fischertagsverein dürfe seine „Monopolstellung“nicht ausnutzen, die er aus ihrer Sicht beim jährlich im Juli stattfindenden Fischertag hat. Die Einschränkung der Vereinsfreiheit sei möglich, wenn dem Verein eine „besondere soziale Bedeutung“zukomme. „Monopolstellung“und „besondere soziale Bedeutung“: Beides sieht die Richterin beim Fischertagsverein gegeben.
Erdt verwirft die weitere Argumentation des Vereins. Der hatte auf eine jahrhundertealte Tradition verwiesen, nach der seit dem Mittelalter nur Männer den Stadtbach ausfischten, damit dieser dann vom Dreck gereinigt werden konnte. Zudem beschränke sich der Frauenausschluss
bei dem Fest nicht nur auf die rund 20 Minuten des Ausfischens, sagt Erdt. „Das Ausfischen beginnt eigentlich schon am Vorabend des Fischertags und geht bis zum Krönungsfrühschoppen. Das eigentliche Ausfischen ist das Hauptereignis.“Dazu seien Frauen durchaus auch körperlich in der Lage, so die Richterin. Das Argument der Tradition greife auch nicht, weil der Fischertagsverein seit der ersten Satzung 1902 diese immer wieder selbst verändert und „aufgeweicht“habe.
Zudem sehe die Satzung durchaus Ausnahmeregelungen vor. So kann auch jemand in den Stadtbach springen, der nicht mehr in Memmingen lebt – wenn der Vorstand das genehmigt. Richterin Erdt schlägt auch einen Bogen zum Historienspektakel „Wallenstein“, das der Fischertagsverein alle vier Jahre in Memmingen veranstaltet. Dort dürfen Frauen verkleidet auch Männerrollen einnehmen. „Warum soll das nicht auch beim Fischertag möglich sein?“
Die Richterin nimmt weiter Bezug zur Organisation des Vereins, der gemeinnützig aufgestellt sei und steuerlich begünstigt werde. Weil er von Steuern und Mitgliedsbeiträgen
profitiere, die ja nicht nur von Männern gezahlt würden, dürfe der Verein Frauen nicht ausschließen und müsse sie in allen Bereichen gleich behandeln.
Mit dem Urteil folgt das Amtsgericht Memmingen der Argumentation der Klägerin auf der ganzen Linie.
Als Christiane Renz den Gerichtssaal verlässt, reckt sie die Fäuste in die Höhe, umarmt ihre Anwältin Susann Bräcklein und jubelt: „Endlich gibt es einen Tick mehr Gleichberechtigung in Memmingen.“Das Amtsgericht habe bestätigt, was längst klar sein sollte: „Tradition kann einen Ausschluss von Frauen nicht rechtfertigen. Sonst stünden wir Frauen heute immer noch hinter dem Herd.“Renz kündigt an, beim nächsten Fischertag im Juli 2021 den Stadtbach mit ausfischen zu wollen. Sie erwarte jedoch nicht Hunderte von Frauen. Sie freue sich, dass ihr Verein damit im 21. Jahrhundert ankomme.
Das Urteil habe eine grundsätzliche Bedeutung, betont Anwältin Bräcklein und ergänzt, „dass das Grundgesetz nun endlich auch für das Vereinsrecht gültig ist“. Vereine seien damit ans Diskriminierungsverbot gebunden. „Wir hoffen auf eine Ausstrahlungswirkung auf andere Vereine und gesellschaftliche Bereiche“, sagt Bräcklein, denn auch in anderen Vereinen würden Frauen immer noch diskriminiert. Es gehe um mehr als um die bloße Teilnahme von Frauen an einem Traditionsfest, erklärt Bräcklein später: „Vielfach sind Vereine wie der beklagte wirkmächtig, in kommunale Strukturen eingebunden, spielen bei der politischen Meinungsbildung eine Rolle und werden steuerlich privilegiert. So auch hier beim beklagten Fischertagsverein.“Und fügt hinzu: „Der Weg war sehr lang, der Widerstand sehr groß.“
Dass das Memminger Urteil bundesweit Beachtung finden wird, gilt unter Fachleuten als sicher: „Die heutige Entscheidung ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Gleichberechtigung. Auch in Vereinen hat willkürliche Geschlechterdiskriminierung keinen Platz“, sagt Sarah Lincoln, Juristin und Verfahrenskoordinatorin bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte. „Das Urteil ist auch ein Signal an viele andere Vereine, die Frauen weiterhin ohne plausiblen Grund ausschließen.“
„Wir sind überrascht und enttäuscht“, sagt Michael Ruppert, Vorsitzender des Fischertagsvereins, „die Autonomie von Vereinen sehen wir dadurch deutlich eingeschränkt.“Er fände es schade, dass sein familienfreundlicher Verein so schlecht dargestellt würde. Ruppert sagt weiter, er könne schon verstehen, dass Frauen beim Fischen mitmachen wollten: „Aber es gehen eben nicht immer alle Wünsche in Erfüllung. Das ist in meinem Leben ja nicht anders.“Gerade die Gemeinnützigkeit habe mit der Sache nichts zu tun. Der Verein wolle nun das schriftliche Urteil des Amtsgerichts Memmingen abwarten und dann im etwa 60köpfigen Vereinsausschuss entscheiden, ob juristische Mittel gegen das Urteil eingelegt werden. Dazu hat der Verein vier Wochen Zeit.
Frauenquote, Gender Pay Gap und gendergerechte Sprache: Die Gleichstellung von Frauen ist ein präsentes Thema. Dennoch gibt es noch immer Bereiche unserer Gesellschaft, in denen Frauen gar nicht vorkommen.
Das Ravenburger Rutenfest: Kurz vor den Sommerferien – sofern kein Virus grassiert – versetzt das Rutenfest die oberschwäbische Stadt Ravensburg in den Ausnahmezustand. Auf öffentlichen Plätzen und Hunderten privaten Feiern treten die traditionellen Trommlergruppen auf. Viele von ihnen akzeptieren nur junge Männer in ihren Reihen. 2019 hatten zwei ehemalige Trommler in der „Schwäbischen Zeitung“über die Diskriminierung von Frauen durch diese Tradition gesprochen und eine hitzige öffentliche Debatte ausgelöst. Verändert hat sich seither aber nichts. Die Stadt Ravensburg kündigte am Montag bezüglich der Entscheidung des Memminger Gerichts an: „Wir werden das Urteil, sobald es schriftlich vorliegt, sehr genau anschauen. Vor allem die Trommlergruppen und die Rutenfestkommission werden dies sicher auch tun und sich damit befassen.“Die Kommission ist ein Verein, der das Fest organisiert.
Der Blutritt in Weingarten: Am Freitag nach Christi Himmelfahrt wird bei einer Reiterprozession die Heilig-Blut-Reliquie aus der Basilika in Weingarten durch die Flur getragen. Auf den Pferden sitzen bei der katholischen Traditionsveranstaltung nur Männer. Einzige Ausnahme: Ministrantinnen dürfen
Umstellen muss sich auch Memmingens OB Manfred Schilder, der sich noch 2017 festgelegt hatte: „Solange ich Oberbürgermeister bin, juckt kei’ Frau in den Stadtbach.“Am Montag bezeichnet er das Urteil als „richtungsweisende Entscheidung“und kommentiert: „Das Thema wurde in den vergangenen Jahren in Memmingen emotional diskutiert und hat die Menschen in der Stadt gespalten.“Glücklicherweise sei diese Diskussion nun beendet – das Heimatfest werde sich verändern. Wie, wolle er aber nicht bewerten. mitreiten. Während der Dekan Ekkehard Schmid eine Öffnung für Frauen nicht ausschließt, steht das Thema für viele Reitergruppen nicht auf der Agenda – obwohl die Teilnehmerzahl zurückgeht.
Die Bremer Eiswette: Auch das Eiswettfest in Bremen ist noch frauenfrei. Dabei wird traditionell die Frage geklärt, ob die Weser zugefroren ist oder nicht. Die Eiswett-Genossen und ihre Gäste kommen dann am dritten Samstag im Januar zum Eiswettfest zusammen. Als eine Frau einen Mann in der Runde ersetzen sollte, erhitzte das die männlichen Gemüter.
Die damalige Bürgermeisterin Karoline Linnert (Grüne) konnte den damaligen Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) nicht offiziell vertreten.
Jungs unter sich: Auch im Knabenchor haben Mädchen schlechte Chancen: Im Sommer vergangenen Jahres scheiterte die Klage einer Rechtsanwältin, mit der sie ihre Tochter in den Staats- und Domchor Berlin bringen wollte. Das Recht auf Kunstfreiheit überwiege bei der Entscheidung des Chors, das Mädchen abzulehnen, befand das Gericht.
Männer Gottes: Der hartnäckigste Männerberuf – nicht nur in Deutschland – ist wohl noch immer das katholische Priesteramt. „Jesus hat bewusst nur Männer als Apostel berufen, als Stammväter des neuen Israel“, sagt der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer. Protestbewegungen sprechen sich immer wieder für eine Gleichstellung aus. (len/dpa)