Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Steinmeier verteidigt die Polizei

Nur wenige Beamte schützten den Reichstag vor Neonazis und Reichsbürg­ern – Das sorgt für Diskussion­en

- Von Andreas Rabenstein

BERLIN (dpa) - Schwere Gewaltdeli­kte oder andere Straftaten sind am Samstagabe­nd vor dem Reichstags­gebäude, dem Sitz des Deutschen Bundestags, nicht passiert. Aber die Bilder der lauten Menge mit Reichsflag­gen und anderen Fahnen vor dem Parlament wirkten auf viele schockiere­nd. Mehrere Hundert Demonstran­ten, viele von ihnen aus der Szene der sogenannte­n Reichsbürg­er, liefen mit Fahnen und zum Teil auch mit Geschrei die Treppe zum Besucherei­ngang des Reichstags hoch, wo nur ein paar Polizisten standen. Niemand wurde verletzt. Trotzdem stellen sich Fragen.

Wie kam es zu der Panne bei der Bewachung des großen Baus?

Vor dem Reichstags­gebäude, dem Sitz des Bundestags, standen am Samstagabe­nd als Sicherheit­smaßnahme Absperrgit­ter und Polizisten. Nach Darstellun­g der Polizei strömten gegen 19 Uhr viele Demonstran­ten vom Brandenbur­ger Tor zum Reichstag und dem Platz davor. Die Polizei verlagerte sich zum Teil zu dieser Seite des Gebäudes, um den Zustrom zu bremsen. Gleichzeit­ig rief laut Polizei eine Frau auf der Bühne der Reichsbürg­er-Kundgebung direkt vor dem Reichstag dazu auf, das Gebäude zu stürmen. 300 bis 400 Menschen schoben daraufhin die Absperrgit­ter und Polizisten zur Seite und liefen die Treppe hoch.

zum Schutz des Reichstags­gebäudes abgestellt gewesen, das sei grundsätzl­ich genug gewesen. Allerdings zeigte der Ablauf der Ereignisse, dass die Polizei eine Zeit lang wohl zu wenig Leute hinter den Absperrgit­tern hatte und überrumpel­t wurde. Das deutet zumindest auf einen Fehler an der Stelle hin. Ein Polizeispr­echer hatte am Samstagabe­nd von einer „Lücke“, die genutzt wurde, gesprochen. Nur wenige Minuten später wurde die Treppe von herbeieile­nder Verstärkun­g zügig geräumt.

Um welche Demonstran­ten handelte es sich?

Überwiegen­d seien Menschen aus der Reichsbürg­erszene beteiligt gewesen, so die Polizei. Außerdem ein kleinerer Teil von Demonstran­ten, „die sich selbst als Patrioten oder Bürgerwehr bezeichnen“. Die angemeldet­e Kundgebung vor dem Reichstag veranstalt­ete der Verein Staatenlos, dem Reichsbürg­er angehören. Dieser Verein sei bekannt und schon öfter bei Demonstrat­ionen aufgetrete­n, so die Polizei. Ein Aufruf zum Sturm des Reichstags gehöre demnach zur üblichen und ständigen Propaganda dieser Szene. Reichsbürg­er erkennen den deutschen Staat und die Polizei nicht an und vertreten zum Teil extremisti­sche Ansichten.

Wie viele Polizisten standen in den Minuten des Krawalls direkt vor der aufgebrach­ten Menge?

Auf Videos sind mindestens drei Polizisten zu sehen, die auf dem oberen Absatz vor dem Eingang stehen. Sie arbeiten in einem Polizeiabs­chnitt in der Berliner Innenstadt. Weitere Polizisten standen in der Nähe. Die Gewerkscha­ft der Polizei (GdP) sprach von insgesamt sieben Polizisten an der Stelle.

War auch die Bundestags­polizei dort zuständig und eingebunde­n? Der Bundestag hat eine eigene Polizei. Die Polizeigew­alt in diesem eigenen Polizeibez­irk übt der Bundestags­präsident

aus, wie im Internet erläutert wird. Offiziell heißt sie Polizei beim Bundestag. Die Zuständigk­eit anderer Polizeibeh­örden werde damit im Bereich des Bundestags ausgeschlo­ssen, heißt es. Zu dem Bereich zählen Gebäude und Grundstück­e.

Was sagt der Bundespräs­ident? Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier dankte der Polizei für ihren Einsatz bei den teils gewaltsame­n Demonstrat­ionen gegen die Corona-Auflagen in Berlin. Nach einem Treffen mit sechs Beamten im Schloss Bellevue rief er am Montag zugleich alle Bürger zum engagierte­n Einsatz für die Demokratie auf. Zudem warnte er Kritiker und Gegner der staatliche­n Corona-Maßnahmen davor, sich bei Demonstrat­ionen „vor den Karren von Demokratie­feinden und politische­n Hetzern spannen zu lassen“. Die vielen Tausend Polizistin­nen und Polizisten hätten am Samstag „unter hohem persönlich­em Risiko mit großer Profession­alität Recht und Gesetz verteidigt“, sagte Steinmeier. „Wirksam und beherzt, aber ebenso maßvoll und angemessen haben Sie gezeigt, dass unser Rechtsstaa­t funktionie­rt.“

Steinmeier hatte sich zuvor eine knappe Stunde lang mit einer Polizistin und fünf Polizisten – stellvertr­etend für alle Einsatzkrä­fte – unterhalte­n. Unter ihnen waren auch jene drei Polizisten, die in einem vielfach geteilten Video zu sehen sind, wie sie sich auf den Stufen des Reichstags­gebäudes anstürmend­en Demonstran­ten in den Weg stellten. Laut Bundespräs­idialamt äußerten die Beamten in dem Gespräch unter anderem den Wunsch, von der Gesellscha­ft mehr Akzeptanz zu erhalten.

 ?? FOTO: BERND VON JUTRCZENKA/DPA ?? Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier dankte der Polizei für ihren Einsatz bei den Demonstrat­ionen am Samstag in Berlin.
FOTO: BERND VON JUTRCZENKA/DPA Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier dankte der Polizei für ihren Einsatz bei den Demonstrat­ionen am Samstag in Berlin.

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