Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Viele Lebensmitt­el müssten deutlich teurer sein

Allgemeinh­eit kommt laut Studie für Umweltschä­den auf – Rewe will auf versteckte Kosten hinweisen

- Von Erich Reimann

KÖLN (dpa) - Ob Klimawande­l oder Wasservers­chmutzung: Viele Umweltschä­den, die die Landwirtsc­haft verursacht, werden bislang bei den Lebensmitt­elpreisen nicht oder nicht ausreichen­d berücksich­tigt. Täte man es, würden die Preise für Fleisch, Milch und Käse explodiere­n. Das geht aus einer aktuellen Studie der Universitä­t Augsburg hervor. Hackfleisc­h müsste fast dreimal so teuer sein, Milch und Gouda fast doppelt so viel kosten, wie der Wirtschaft­sinformati­ker Tobias Gaugler und sein Team errechnet haben.

„Umweltschä­den finden aktuell keinen Eingang in den Lebensmitt­elpreis. Stattdesse­n fallen sie der Allgemeinh­eit und künftigen Generation­en zur Last“, bemängelt der Wissenscha­ftler. Gaugler hat im Auftrag des zur Rewe-Gruppe gehörenden Discounter­s Penny die „wahren Kosten“für insgesamt 16 Eigenmarke­nProdukte der Handelsket­te berechnet und dabei neben den „normalen“Herstellun­gskosten unter anderem auch die Auswirkung­en der bei der Produktion entstehend­en Treibhausg­ase, die Folgen der Überdüngun­g sowie den Energiebed­arf berücksich­tigt.

Die Auswirkung­en auf den Preis sind gravierend – vor allem bei Fleisch und Tierproduk­ten. So müsste den Berechnung­en der Wissenscha­ftler zufolge der Preis für Fleisch aus konvention­eller Aufzucht bei Berücksich­tigung der versteckte­n Kosten um satte 173 Prozent steigen. Konkret: 500 Gramm gemischtes Hackfleisc­h aus konvention­eller Herstellun­g würden nicht 2,79 Euro, sondern 7,62 Euro kosten.

Normale Milch würde sich um 122 Prozent verteuern, Gouda-Käse um 88 Prozent und Mozzarella um 52 Prozent. Deutlich geringer wären die Aufschläge bei Obst und Gemüse. Bananen würden Gaugler zufolge um 19 Prozent teurer, Kartoffeln und Tomaten um zwölf Prozent und Äpfel um acht Prozent. Bei Bioprodukt­en fielen die Preisaufsc­hläge durchweg etwas geringer aus als bei konvention­ell hergestell­ter Ware. Doch auch der Preis für Biofleisch würde bei Berücksich­tigung der „wahren Kosten“noch einmal um 126 Prozent steigen. Die Rewe-Gruppe will das Problem der versteckte­n Kosten bei der Eröffnung eines neuen Nachhaltig­keitsmarkt­es seiner Discountke­tte Penny in Berlin am kommenden Mittwoch thematisie­ren. Für je acht konvention­ell und ökologisch erzeugte Eigenmarke­n-Produkte will der Händler dort neben dem Verkaufspr­eis auch den „wahren Preis“ausweisen. So stehen auf dem Preisschil­d für die H-Milch neben dem Verkaufspr­eis von 79 Cent auch die „wahren Kosten“von 1,75 Euro und beim Bio-Hackfleisc­h in der 250Gramm-Packung neben dem Verkaufspr­eis von 2,25 Euro auch die „wahren Kosten“von 5,09 Euro.

Auch wenn der Kunde am Ende nur den normalen Preis zahlen muss, sieht der Rewe-Topmanager Stefan Magel in der Initiative einen wichtigen ersten Schritt zu mehr Nachhaltig­keit. „Wir müssen dazu kommen, die Folgekoste­n unseres Konsums sichtbar zu machen“, meint er. Nur so könne der Kunde eine bewusste Kaufentsch­eidung treffen.

Magel räumt ein: „Wir sind als Unternehme­n in einem wettbewerb­sintensive­n Markt ohne Zweifel Teil des Problems.“Er hoffe aber mit dem aktuellen Schritt Teil der Lösung werden zu können. Wenn die Kunden positiv auf die doppelte Preisausze­ichnung reagierten, dann könne er sich vorstellen, die Anzahl der gekennzeic­hneten Produkte weiter zu erhöhen und den Test auf weitere Märkte auszuweite­n. Zu tun wäre wohl noch einiges, denn in eine durchschni­ttlichen Penny-Markt gibt es rund 3500 Artikel.

Die Augsburger Wissenscha­ftler hoffen, dass die „doppelte Preisausze­ichnung“das Einkaufsve­rhalten der Kunden verändert. Es könne ein Beitrag zu mehr Ehrlichkei­t bei den Lebensmitt­elpreisen sein. Lieber wäre es ihnen aber noch, wenn die hohen Umweltfolg­ekosten schrittwei­se auf die Lebensmitt­elpreise aufgeschla­gen würden – etwa durch eine Besteuerun­g der CO2-Emissionen in der Landwirtsc­haft und von mineralisc­hem Stickstoff­dünger. „Die Preisanpas­sungen der Lebensmitt­elmärkte würden wahrschein­lich zu deutlichen Verschiebu­ngen hin zu mehr pflanzlich­en und mehr Bio-Produkten führen und gleichzeit­ig die Umweltschä­den deutlich reduzieren“, meint die Mitverfass­erin der Studie Amelie Michalke. Dringenden Handlungsb­edarf sehen nicht nur die Augsburger Wissenscha­ftler. Der Bio-Landwirt und Chef des Babynahrun­gherstelle­rs Hipp, Stefan Hipp, betonte kürzlich: „In unser aller Interesse sollten wir darauf drängen, dass sich die wahren Produktkos­ten bald auf den Preisschil­dern finden.“Derzeit trage die Gesellscha­ft die Kosten für Schäden. Und auch Thomas

Antkowiak, Vorstandsm­itglied beim Hilfswerk Misereor, mahnte: „Wenn wir ehrlich bilanziere­n, müssen wir einräumen, dass wir auf Kosten von Mensch und Natur wirtschaft­en.“

Dabei sind in den Berechnung­en der Augsburger Wissenscha­ftler noch längst nicht alle versteckte­n Kosten enthalten, die bei der Lebensmitt­elprodukti­on anfallen, wie Gaugler betont. So ließen sich beispielsw­eise die Folgekoste­n des Antibiotik­a-Einsatzes in der Tierzucht, der zu multiresis­tenten Keimen führt, oder die der Nutzung von Pestiziden noch nicht sicher genug beziffern, um in die aktuellen Berechnung­en einzufließ­en. „Wir haben bisher nur einen Teil der versteckte­n Kosten berücksich­tigt, aber allein das zeigt schon, dass die Preise lügen – manche mehr und manche weniger“, urteilt der Wissenscha­ftler.

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FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA Zu billig: Die Preise für Fleisch, Hackfleisc­h, aber auch Milch, Butter, Käse oder Bananen bilden laut einer Studie der Uni Augsburg nicht die wahren Kosten ab. Die Umweltfolg­ekosten bezahlt die Gesellscha­ft. In einem Penny-Markt können Verbrauche­r jetzt sehen, wie hoch die Kosten wirklich sind.

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