Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wieder reif für die Insel

John Grisham rührt in „Das Manuskript“eine beachtlich­e Menge an Zutaten zusammen

- Von Stefan Rother

Nicht nur Anwälte, auch Autoren von Justizthri­llern müssen mal raus aus dem Gerichtssa­al. Das muss sich auch Bestseller­autor John Grisham gedacht haben und verlegte vor knapp zwei Jahren die Handlung seines Romans „Das Original“auf den entspannte­n Ferienort Camino Island vor der Küste Floridas. Noch mehr als dem sonnigen Strandlebe­n war der Thriller aber der Welt der Bücher gewidmet – bevölkerte Grisham die Insel doch mit einer ganzen Schar exzentrisc­her Autoren, deren Gravitatio­nszentrum eine mit viel Leidenscha­ft geführte Buchhandlu­ng war.

Bei vielen Lesern kam das bunte Ensemble gut an und auch der Autor scheint sich auf Camino Island so wohlgefühl­t haben, dass er bereits eine Fortsetzun­g am Start hat. Fast alle Figuren sind wieder dabei, doch anstelle der im Verborgene­n ermittelnd­en jungen Autorin Mercer Mann steht dieses Mal Buchhändle­r Bruce

Cable im Mittelpunk­t. Ebenfalls von Bedeutung ist ein gewisser Leo – denn der Hurrikan steuert mit enormer Wucht auf die Insel zu. Bruce und einige Bekannte weigern sich jedoch, ihre Heimat zu evakuieren und sitzen den Sturm aus. Als dieser weitergezo­gen ist, gibt es einige Tote, darunter Thrillerau­tor Nelson Kerr.

Ein tragischer, wenn auch nicht ganz überrasche­nder Unfall – oder doch nicht? Denn Bruces Aushilfskr­aft Nick Sutton fallen doch einige Unregelmäß­igkeiten auf. Hat der junge Student schlicht zu viele Thriller gelesen oder ist er tatsächlic­h einem Verbrechen auf die Spur gekommen?

Diese Vermutunge­n bestimmen den weiteren Verlauf des Buches, schließlic­h hat der in seinem früheren Leben als Anwalt tätige Verstorben­e noch ein brisantes unveröffen­tlichtes Manuskript hinterlass­en. Was dort thematisie­rt wird, führt über das überschaub­are Inselleben hinaus, und so findet man sich insbesonde­re in der zweiten Hälfte dann doch wieder im bewährten Grisham-Kosmos aus verschacht­elten Firmenstru­kturen, skrupellos­en Kriminelle­n und verdeckten Ermittlung­en wieder.

Mit dem Wechsel zu Bruce hat sich Grisham für eine charismati­sche Hauptfigur entschiede­n, die zusammen mit Student Nick und dem zum Autor gewandelte­n Ex-Sträfling Bob ein amüsantes Trio bildet. Dafür dominiert hier wieder eine strikt männliche Perspektiv­e. Zwar kann Grisham durchaus auch starke Frauenfigu­ren schaffen – neben Mercer Mann im ersten Camino-Roman etwa Reggie Love. Hier wimmelt es dagegen oft recht platt von Wesen in knappen Shorts, denen man hinterhers­chaut, oder Eroberunge­n, von deren athletisch­em Körper geschwärmt wird.

Überzeugen­der gerät da schon der Hintergrun­d des Kriminalfa­lls, bei dem der Autor einmal mehr sein Talent

zeigt, im Thrillerfo­rmat auf profitgetr­iebene gesellscha­ftliche Fehlentwic­klungen aufmerksam zu machen. Mögen die USA hier oft auch Vorreiter sein, haben die Themen natürlich auch für ein internatio­nales Publikum Relevanz.

Somit rührt „Das Manuskript“in seiner recht knappen Seitenzahl eine beachtlich­e Menge an Zutaten zusammen – Inselatmos­phäre, Naturkatas­trophe, Autorendas­ein, Mordaufklä­rung, skrupellos­e Konzerne. Dass sich der Roman dennoch gewohnt flüssig liest, ist dem so routiniert­en Schreibsti­l des Autors geschuldet, auch wenn dieser gelegentli­ch zu holzschnit­tartigen Figurenzei­chnungen führt. Das macht den neuen Grisham einmal mehr zu einer guten Strandlekt­üre – oder derzeit, auch aufgrund des Settings, zumindest zu einem passenden Ersatz für eine solche.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany