Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Wieder reif für die Insel
John Grisham rührt in „Das Manuskript“eine beachtliche Menge an Zutaten zusammen
Nicht nur Anwälte, auch Autoren von Justizthrillern müssen mal raus aus dem Gerichtssaal. Das muss sich auch Bestsellerautor John Grisham gedacht haben und verlegte vor knapp zwei Jahren die Handlung seines Romans „Das Original“auf den entspannten Ferienort Camino Island vor der Küste Floridas. Noch mehr als dem sonnigen Strandleben war der Thriller aber der Welt der Bücher gewidmet – bevölkerte Grisham die Insel doch mit einer ganzen Schar exzentrischer Autoren, deren Gravitationszentrum eine mit viel Leidenschaft geführte Buchhandlung war.
Bei vielen Lesern kam das bunte Ensemble gut an und auch der Autor scheint sich auf Camino Island so wohlgefühlt haben, dass er bereits eine Fortsetzung am Start hat. Fast alle Figuren sind wieder dabei, doch anstelle der im Verborgenen ermittelnden jungen Autorin Mercer Mann steht dieses Mal Buchhändler Bruce
Cable im Mittelpunkt. Ebenfalls von Bedeutung ist ein gewisser Leo – denn der Hurrikan steuert mit enormer Wucht auf die Insel zu. Bruce und einige Bekannte weigern sich jedoch, ihre Heimat zu evakuieren und sitzen den Sturm aus. Als dieser weitergezogen ist, gibt es einige Tote, darunter Thrillerautor Nelson Kerr.
Ein tragischer, wenn auch nicht ganz überraschender Unfall – oder doch nicht? Denn Bruces Aushilfskraft Nick Sutton fallen doch einige Unregelmäßigkeiten auf. Hat der junge Student schlicht zu viele Thriller gelesen oder ist er tatsächlich einem Verbrechen auf die Spur gekommen?
Diese Vermutungen bestimmen den weiteren Verlauf des Buches, schließlich hat der in seinem früheren Leben als Anwalt tätige Verstorbene noch ein brisantes unveröffentlichtes Manuskript hinterlassen. Was dort thematisiert wird, führt über das überschaubare Inselleben hinaus, und so findet man sich insbesondere in der zweiten Hälfte dann doch wieder im bewährten Grisham-Kosmos aus verschachtelten Firmenstrukturen, skrupellosen Kriminellen und verdeckten Ermittlungen wieder.
Mit dem Wechsel zu Bruce hat sich Grisham für eine charismatische Hauptfigur entschieden, die zusammen mit Student Nick und dem zum Autor gewandelten Ex-Sträfling Bob ein amüsantes Trio bildet. Dafür dominiert hier wieder eine strikt männliche Perspektive. Zwar kann Grisham durchaus auch starke Frauenfiguren schaffen – neben Mercer Mann im ersten Camino-Roman etwa Reggie Love. Hier wimmelt es dagegen oft recht platt von Wesen in knappen Shorts, denen man hinterherschaut, oder Eroberungen, von deren athletischem Körper geschwärmt wird.
Überzeugender gerät da schon der Hintergrund des Kriminalfalls, bei dem der Autor einmal mehr sein Talent
zeigt, im Thrillerformat auf profitgetriebene gesellschaftliche Fehlentwicklungen aufmerksam zu machen. Mögen die USA hier oft auch Vorreiter sein, haben die Themen natürlich auch für ein internationales Publikum Relevanz.
Somit rührt „Das Manuskript“in seiner recht knappen Seitenzahl eine beachtliche Menge an Zutaten zusammen – Inselatmosphäre, Naturkatastrophe, Autorendasein, Mordaufklärung, skrupellose Konzerne. Dass sich der Roman dennoch gewohnt flüssig liest, ist dem so routinierten Schreibstil des Autors geschuldet, auch wenn dieser gelegentlich zu holzschnittartigen Figurenzeichnungen führt. Das macht den neuen Grisham einmal mehr zu einer guten Strandlektüre – oder derzeit, auch aufgrund des Settings, zumindest zu einem passenden Ersatz für eine solche.