Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ein Team schottet sich ab
Nationalmannschaft bleibt in ihrer Blase, nichts soll den Start in die EM-Saison gefährden
STUTTGART (SID) - Joachim Löw hatte seine nervige weiße CoronaMaske nach den erleichternden negativen Tests im Teamhotel abgelegt, rund zehn Minuten redete er zum Start in die EM-Saison beim ersten Training heftig gestikulierend auf seine Spieler ein. Der Bundestrainer machte klar: Die Umstände der auch für ihn „geschichtsträchtigen“Zusammenkunft vor dem Nations-League-Spiel in Stuttgart gegen Spanien mögen völlig ungewohnt sein, die Ziele bleiben dieselben. Bis zum kommenden Sommer will Löw aus seiner jungen Nationalmannschaft einen Titelkandidaten formen – Corona hin oder her.
Dabei war beim Treffen im WaldHotel im noblen Stuttgarter Stadtteil Degerloch nichts wie gewohnt. Löw und die Nationalspieler um Ersatzkapitän Toni Kroos zogen ohne ein Wort und mit Mund-Nase-Schutz ins Quartier ein, wo sie sich als Erstes ihre Hände desinfizierten. Danach unterzogen sie sich „einem Abstrich“, wie Teamarzt Tim Meyer berichtete, und verbrachten die Zeit bis zum Ergebnis alleine auf dem Zimmer.
Erst als alle grünes Licht erhalten hatten, bat Löw seine Auswahl zum Training im ADM-Sportpark der Stuttgarter Kickers. Nicht dabei waren der Dortmunder Nico Schulz, der wegen Wadenproblemen direkt wieder abreisen musste, und Luca Waldschmidt. Der Ex-Freiburger durfte nach einem Testspiel mit seinem neuen Klub Benfica Lissabon am Vortag kürzertreten.
Das DFB-Team startet aus einer „Blase“heraus in die EM-Saison, wie Oliver Bierhoff betonte. Nichts soll den Auftakt in der Nations League mit den Spielen gegen Spanien und drei Tage später in Basel gegen die Schweiz (beide 20.45 Uhr/ZDF) gefährden. Das Leben in der „Bubble“sei der Nationalmannschaft „ja schon mal vorgeworfen“worden, scherzte Bierhoff, „aber in diesem Fall ist es unter dem medizinischen Aspekt zu sehen.“
Bei der Begrüßung in der HotelLobby verzichtete er auf Umarmungen und streckte den Kickern stattdessen die Faust entgegen. Der DFBTross werde laut Bierhoff bis auf Training und Spiel „im Hotel bleiben, keine Besuche empfangen, keine Zahnpasta kaufen“. Die Partie gegen Spanien findet zudem ohne Zuschauer statt. Doch obwohl die von der Außenwelt abgeschotteten Stars alle erdenklichen Sicherheitsmaßnahmen einhalten, weiß auch Doc Meyer: „Eine absolute Sicherheit gibt's bei Corona nicht. Wir können lediglich versuchen, dass wir die Sicherheit so weit wie irgend möglich hochschrauben.“
Für Löw ist es trotz der besonderen Umstände „schön, dass wir uns wieder der Normalität annähern“. Der 60-Jährige sprüht nach der mit dann 288 Tagen längsten Länderspielpause seit 70 Jahren vor Tatendrang. Er kann es „kaum erwarten, wieder mit den Spielern auf dem Platz zu stehen und zu arbeiten“, sagte er vor der ersten Einheit. Assistent Marcus Sorg gab die Marschroute vor: „Der maximale Erfolg muss unser Anspruch sein.“
Viel Aufmerksamkeit wird das Trainerteam den Rückkehrern Leroy
Sane und Niklas Süle widmen. Die Bayern-Profis sind nach ihren schweren Kreuzbandverletzungen wieder fit, müssen aber „in einen Trainings- und Wettkampfrhythmus kommen“, so Löw. Das Mantra des Bundestrainers gilt auch hier: „Die oberste Priorität hat die EM im nächsten Jahr.“
Der anstehende LänderspielDoppelpack mit den Neulingen Robin Gosens, Florian Neuhaus und Oliver Baumann hat aber nicht nur Test-Charakter. Für das DFB-Team gilt es, anders als im Premierenjahr den sportlichen Abstieg aus der Nations League zu verhindern. Außerdem haben die Ergebnisse direkten Einfluss darauf, ob Deutschland bei der Auslosung zur WM-Qualifikation in Lostopf 1 oder 2 landet.
Trotzdem verzichtet Löw zum Start auf die vielbelasteten Münchner
Triple-Sieger Manuel Neuer, Serge Gnabry, Leon Goretzka und Joshua Kimmich. Auch den Leipziger Königsklassen- Halbfinalisten Lukas Klostermann und Marcel Halstenberg schenkt er eine Pause. „Niemand hat mich darum gebeten“, betonte Löw. Der Bundestrainer weiß, dass er es sich in der Termin-Hatz nicht mit den Clubs verscherzen darf. Schließlich stehen bis zum Gruppenfinale der Nations League am 17. November in Spanien acht Länderspiele auf dem Plan. Selbst für Löw ist das ein „grenzwertiges“Mammutprogramm, er persönlich hätte stattdessen gerne „zwei, drei Trainingseinheiten mehr“gehabt. Doch der DFB braucht die Einnahmen aus diesen Länderspielen dringend, Generalsekretär Friedrich Curtius nannte sie zuletzt „unsere Lebensversicherung“.