Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Zank über Umgang mit Temposünde­rn

Verkehrspo­litiker von Bund und Ländern haben sich in eine Sackgasse manövriert

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Erst kamen höhere Strafen für zu schnelles Fahren, kurz darauf wurden sie wieder einkassier­t. Nun stecken Politiker von Bund und Ländern in einer Sackgasse: Die Grünen wollen an der ursprüngli­chen Reform festhalten, so ziemlich alle anderen streben Korrekture­n an. Was Autofahrer jetzt wissen müssen.

Welche Regeln gelten gerade?

Es gilt die alte Straßenver­kehrsordnu­ng mit entspreche­nden Bußgeldern. Konkret heißt das zum Beispiel: Wer das Geschwindi­gkeitslimi­t im Ort um 31 Kilometer pro Stunde überschrei­tet, muss den Führersche­in abgeben. Gleiches gilt außerhalb von Ortschafte­n bei einer Überschrei­tung erst ab 41 Stundenkil­ometern.

Was ist die Alternativ­e?

Die Länder und der Bund haben die Straßenver­kehrsordnu­ng überarbeit­et und den Bußgeldkat­alog angepasst. Die Reform ist im April in Kraft getreten – seit Juli gilt sie aber schon nicht mehr. Der Grund: Das Bundesverk­ehrsminist­erium beging im Gesetzeste­xt einen Formfehler. Der muss behoben werden. Das will vor allem die Union zum Anlass nehmen, um auch den Inhalt zu verändern. Denn die neue Regelung sah vor, dass der Führersche­in schon bei Tempoübers­chreitunge­n von 21 Studenkilo­metern im Ort und von 31 Stundenkil­ometern außerhalb für einen Monat weg sein soll. Auch das Bußgeld wurde angehoben. CDU und CSU finden den schnellen Führersche­inentzug zu hart und äußern zudem verfassung­srechtlich­e Bedenken.

Was bedeutet das Hin und Her für Autofahrer?

Wer in der Zeit zwischen April und Juli seinen Führersche­in abgeben musste, hat ihn wieder zurückbeko­mmen. Wer das höhere Bußgeld, das in dieser Zeit galt, anstandslo­s bezahlte, hat Pech gehabt. Nur wer Widerspruc­h gegen das Knöllchen eingelegt hat, kann mit einer Erstattung rechnen.

Wie geht es nun weiter?

Am Mittwochfr­üh hat der Verkehrsau­sschuss des Bundesrats getagt. Einen Kompromiss gab es nicht. Die Grünen-Verkehrsmi­nister aus Baden-Württember­g, Hessen, Bremen, Berlin und Hamburg wollen lediglich den Formfehler in der Reform beseitigen. Unterstütz­ung dafür bekamen sie laut Südwest-Minister

Winfried Hermann, der die GrünenMini­ster koordinier­t, aber nur von Thüringens Minister Benjamin-Immanuel Hoff von den Linken. Die Minister von CDU, CSU und SPD der anderen zehn Länder einigten sich auf eine Reform der Reform.

Was wollen die Minister von Union und SPD? Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) und seine Unionskoll­egen der Länder halten vor allem den schnellen Führersche­inverlust für überzogen. Sie argumentie­ren auch damit, dass die Verhältnis­mäßigkeit gewahrt bleiben muss. Südwest-Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) hatte der „Schwäbisch­en Zeitung“dazu gesagt: „Es ist äußerst zweifelhaf­t, dass die Härte der Sanktion in einem Verhältnis zum Verstoß steht.“Die SPD-geführten Ländermini­ster haben sich dem Kompromiss der Union angeschlos­sen, sagte die verkehrspo­litische Sprecherin der SPD im Bundestag, Kirsten Lühmann, der Deutschen PresseAgen­tur. Er sieht vor, dass Fahrverbot­e ab 21 Stundenkil­ometern nur vor Schulen und Kindergärt­en drohen sollen – nach dem Wunsch der SPD zudem vor Seniorenhe­imen. An anderen Stellen soll der Raser seinen Führersche­in für zwölf Monate „auf Bewährung“behalten dürfen. Der Kompromiss sieht zudem höhere Bußgelder für Temposünde­r vor als die Summen, die im alten Bußgeldkat­alog verankert sind. SüwdwestMi­nister Hermann kritisiert die Erhöhung „in homöopathi­schem Maße“als nicht ausreichen­d.

Was also wollen die Grünen-Verkehrsmi­nister?

Ihre Haltung ist klar: „Ich will nicht blockieren, aber ich habe auch keine Lust, einen mühsam gefundenen Kompromiss einfach wieder herzugeben“, so Hermann am Mittwoch in einer Telefonkon­ferenz. Die Grünen-Minister wollen an der Regelung festhalten, wie sie im April in Kraft getreten ist. Allein der Formfehler soll beseitigt werden. Ein Jahr lang hätten die Länder miteinande­r und mit dem Bund um die Novelle der Straßenver­kehrsordnu­ng gerungen und schließlic­h im Februar einen Kompromiss gefunden. „Was ich nicht verstehe, ist, dass so viele Verkehrsmi­nister der Länder ihren eigenen Entschluss korrigiere­n, als ob sie den geistig umnachtet getroffen hätten“, sagt Hermann. Vor allem von den SPD-Kollegen sei er enttäuscht. Schließlic­h gehe es um Verkehrssi­cherheit. Nach Erkenntnis­sen der Beratungss­telle für Unfallverh­ütung überlebten drei von zehn Fußgängern, wenn sie mit Tempo 50 angefahren werden. Bei Tempo 30 überlebten neun von zehn.

Wie sehr zankt sich die grünschwar­ze Koalition in BadenWürtt­emberg?

„Da gibt es natürlich einen Streit“, sagt Hermann. Vize-Regierungs­chef und Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) hatte der dpa gesagt: „Es gibt eine Blockade und Verweigeru­ngshaltung der Grünen.“Hermann habe es bislang nicht für notwendig gehalten, seine Position in der Landesregi­erung und der Koalition abzustimme­n. Das müsse er auch nicht, entgegnet Hermann. „Es gibt zu der Position, die ich vertrete, einen Kabinettsb­eschluss. Ich vertrete nichts Neues oder Radikalere­s.“Es sei Strobl, der davon nun abweiche, um Bundesverk­ehrsminist­er Scheuer beizusprin­gen.

Wann soll sich der Streit entscheide­n?

Eigentlich sollte bis zur Bundesrats­sitzung am 18. September eine Lösung her. Danach sieht es aber nicht aus. Das liegt auch an der Logik der Länderkamm­er. In der Regel enthalten sich Länder bei einer Abstimmung, wenn sie sich nicht einigen können. Das ist etwa für die grünschwar­ze Koalition in Baden-Württember­g sehr wahrschein­lich. Enthaltung­en zählen hier aber so, als hätte das Land gegen einen Antrag gestimmt. Für eine Mehrheit für einen Antrag brauche es die Zustimmung von elf Ländern, sagte Minister Hermann am Mittwoch. Die ist in weiter Ferne. Alles läuft auf ein Patt hinaus.

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FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA Ab welcher Geschwindi­gkeitsüber­schreitung soll der Führersche­in weg sein? Darüber streiten Verkehrspo­litiker von Bund und Ländern seit Monaten.

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