Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Über das Ziel hinausgesc­hossen

Verwaltung­sgerichte pochen bei der Beurteilun­g von Corona-Maßnahmen verstärkt auf Verhältnis­mäßigkeit

- Von Ralf Müller

MÜNCHEN - Schauplatz war in der vergangene­n Woche das breite Kiesufer der Isar in München: Ein Ehepaar über 50 legte in der dort ausgewiese­nen Grillzone weitab anderer Sonnenanbe­ter gerade zwei Schweinest­eaks auf den mitgebrach­ten Grill, als zwei Bedienstet­e des Kreisverwa­ltungsamts erschienen. Sie müssten die Steaks wieder vom Grill nehmen und das Feuer löschen, verlangten die Ordnungshü­ter, wegen der Corona-Gefahr. Bleiben könnten sie schon, das sei erlaubt.

Solche Szenen ähneln denen zu Beginn der Corona-Krise, als eifrige Ordnungshü­ter Rentner von Parkbänken verscheuch­ten. Dem hat jetzt der Bayerische Verwaltung­sgerichtsh­of einen Riegel vorgeschob­en und das landesweit vorgeschri­ebene Grillverbo­t gekippt. Mit deutlichen Zeichen des Missvergnü­gens strich das Gesundheit­sministeri­um die Vorschrift aus der Infektions­schutzmaßn­ahmenveror­dnung. Die Grillsaiso­n neige sich sowieso ihrem Ende zu, hieß es. Aus Sicht der CoronaBekä­mpfung sei die Gerichtsen­tscheidung aber ein fragwürdig­es Signal.

Eine weitere juristisch­e Klatsche hielt das Gericht für den Münchener Oberbürger­meister Dieter Reiter (SPD), indirekt aber auch für die bayerische Landesregi­erung, bereit. Wegen einzelner Zusammenba­llungen

Feiernder auf öffentlich­en Plätzen des Stadtgebie­ts hatte Reiter ein generelles Alkohol-Konsumverb­ot zwischen 23 und sechs Uhr auf öffentlich­en Plätzen im gesamten Stadtgebie­t per Allgemeinv­erordnung verfügt. Auch das kippte der Verwaltung­sgerichtsh­of mit ähnlicher Begründung wie das staatliche Grillverbo­t: Unverhältn­ismäßig. Ministerpr­äsident

Markus Söder (CSU) und Staatskanz­leiministe­r Florian Herrmann (CSU) hatten das Verbot der Landeshaup­tstadt mehrfach ausdrückli­ch unterstütz­t.

Der Bayerische Verwaltung­sgerichtsh­of, bei dem die meisten dieser Verfahren in zweiter Instanz landen, schaut jetzt genauer hin als zu Beginn der Pandemie, als die Infektions­zahlen exponenzie­ll in die Höhe schossen. Undifferen­zierte Verbote finden nicht mehr die Zustimmung des obersten bayerische­n Gerichts in Verwaltung­sangelegen­heiten wie etwa das der Gastronomi­e auferlegte Beherbergu­ngsverbot für Gäste aus Regionen, in denen die Infektions­rate besonders hoch ist. Der Clou dieser damals getroffene­n Regelung: Das als unverhältn­ismäßig gekippte Beherbergu­ngsverbot sollte nur für Bürger aus anderen Bundesländ­ern gelten.

Für „unverhältn­ismäßig“hielten die Richter auch die ursprüngli­ch vorgeschri­ebene Begrenzung der Bewirtungs­zeiten in Gaststätte­n auf die Zeit zwischen sechs und 22 Uhr. Das Verwaltung­sgericht Regensburg hatte gleich mehrfach für juristisch­e Niederlage­n des Freistaats gesorgt: bei den Beschränku­ngen für Geschäfte und Gastronomi­e sowie dem Verbot, Wellnessan­lagen zu nutzen, und zum anderen bei den Beschränku­ngen der Kinderbetr­euung.

Der Grundgedan­ke dahinter ist immer ähnlich: Maßnahmen und

Verbote dürfen nicht über das verfolgte Ziel, nämlich den Infektions­schutz, hinausschi­eßen. Wer an einem einsamen Ort am Donauufer ein Würstchen über einem Feuer brät, dem darf das nicht verboten werden. Missbrauch und Fehlverhal­ten Einzelner als Anlass zu Verboten und Beschränku­ngen für alle zu nehmen, ist bei den Ordnungsäm­tern beliebt, weil leichter zu vollziehen. Die bayerische­n Verwaltung­sgerichte aber pochen inzwischen verstärkt auf Differenzi­erung.

Die jüngsten Entscheidu­ngen des Verwaltung­sgerichtsh­ofs haben die Erfolgsbil­anz der Staatsregi­erung in Corona-Sachen verschlech­tert. Ende Juni hatte Staatskanz­leichef Florian Herrmann die Zahl der nicht gewonnenen Gerichtsve­rfahren in Sachen Corona-Verbote auf gerade einmal acht von mehr als 200 beziffert. Den Vorsitzend­en der FDP im bayerische­n Landtag Martin Hagen überzeugte das schon damals nicht: Die Staatsregi­erung lasse sich von den Gerichten treiben, ohne von sich aus immer wieder zu überprüfen, ob ihre Maßnahmen angesichts der Infektions­lage noch verhältnis­mäßig sind oder nicht.

Bayerns Ministerpr­äsident Söder ist hingegen der Ansicht, dass die paar verlorenen Fälle nicht groß ins Gewicht fallen. Die Corona-Verordnung­en seiner Regierung seien generell juristisch vertretbar und verhältnis­mäßig.

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FOTO: WOLFRAM KASTL/DPA Das Grillen auf öffentlich­en Plätzen ist in Bayern wieder erlaubt. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Verwaltung­sgericht eine Corona-Maßnahme kippt.

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