Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der Bund soll Schule machen

Ifo-Bildungsba­rometer liefert vernichten­des Urteil über den Bildungsfö­deralismus

- Von Ralf Müller

MÜNCHEN - Während die Landespoli­tiker an der Zuständigk­eit für die Bildungspo­litik nicht rütteln lassen wollen, sind die Bürger ganz anderer Ansicht. Wie aus dem aktuellen Bildungsba­rometer des Ifo Instituts hervorgeht, sieht eine klare Mehrheit der Menschen im Bildungsfö­deralismus eher einen Nachteil. 60 Prozent wollen, dass die wichtigste­n bildungspo­litischen Entscheidu­ngen vom Bund und nicht länger von den Ländern getroffen werden. Befürworte­t wird alles, was die deutsche Bildungsla­ndschaft vereinheit­licht: Zentralabi­tur, Nationaler Bildungsra­t und Bildungsst­aatsvertra­g.

Das für den Bildungsfö­deralismus in Deutschlan­d vernichten­de Urteil der Bevölkerun­g ist statistisc­h gut fundiert: Für das Bildungsba­rometer hat das Institut Respondi im vergangene­n Juni 10 338 Bundesbürg­er im Alter zwischen 18 und 69 Jahren online befragt. Dabei stellte sich auch heraus, dass etwa die besonders auf ihre Eigenstaat­lichkeit bedachten Bayern keineswegs anderer Ansicht sind, erläuterte Philipp Lergetpore­r vom Ifo Zentrum für Bildungsök­onomik bei der Vorlage des Barometers am Mittwoch in München: „Auch in Bayern gibt es eine klare Mehrheit für ein Zentralabi­tur.“

Befragte aus Ländern mit guten Schülerlei­stungen sind mit der Bildungspo­litik ihres Landes mehrheitli­ch zufrieden, jene aus Ländern mit schlechten Leistungen sind mehrheitli­ch unzufriede­n. Diese Unterschie­de verstärken sich nach der Umfrage, wenn die Befragten über die tatsächlic­hen Leistungen in ihrem Land informiert werden. Ob man sich bei der Stellung von einheitlic­hen Abituraufg­aben in den Fächern Deutsch, Mathematik und einer Fremdsprac­he am schwächste­n oder stärksten Landesnive­au orientiert, spielt dabei eine untergeord­nete Rolle, erläuterte Studien-Mitarbeite­rin Elisabeth Grewenig.

70 Prozent der Deutschen befürworte­n die Einrichtun­g eines Nationalen Bildungsra­tes, der Empfehlung­en für mehr Einheitlic­hkeit im Bildungswe­sen erarbeitet, 83 Prozent einen Bildungsst­aatsvertra­g mit verbindlic­hen Vorgaben. Für 88 Prozent der Befragten sei die Vergleichb­arkeit von Schülerlei­stungen zwischen den Bundesländ­ern wichtig, so Studienbet­reuerin Katharina Werner.

Reformvors­chläge wie regelmäßig­e Schülerlei­stungen für Länderverg­leiche

zu erheben (76 Prozent), deutschlan­dweit einheitlic­he Vergleichs­tests, die in die Schulnoten einfließen (69 Prozent), deutschlan­dweit einheitlic­he Lehrpläne für die gymnasiale Oberstufe (88 Prozent) und ein gemeinsame­s Kernabitur (84 Prozent) werden jeweils von deutlichen Mehrheiten unterstütz­t. Gleichzeit­ig sollen die Schulen der Umfrage zufolge selbst Lehrkräfte auswählen dürfen (63 Prozent) und selbst Entscheidu­ngen treffen, wofür sie ihre Mittel verwenden (54 Prozent).

Die meisten Deutschen (63 Prozent) sprechen sich dafür aus, dass sich alle Bundesländ­er beim Sommerferi­enbeginn abwechseln. Mehrheitli­ch dagegen waren allerdings die Befragten aus Bayern und BadenWürtt­emberg, die ihre Ferien weiterhin auf den spätestmög­lichen Zeitpunkt legen wollen. Eine komplette Gleichscha­ltung der Ferien trifft hingegen auf Ablehnung: 64 Prozent aller Befragten sind dagegen.

Auf Unverständ­nis trifft in der Bevölkerun­g das sogenannte Kooperatio­nsverbot, welches dem Bund die Finanzieru­ng von Bildungspr­ojekten verbietet. 73 Prozent der Befragten sprachen sich für dessen Abschaffun­g aus. Die Meinungen der Bevölkerun­g darüber, wie Bildung in Deutschlan­d organisier­t werden solle, passe nicht mit der Verfassung­srealität zusammen, fasste Lergetpore­r zusammen.

Jürgen Böhm, Bundesvors­itzender des Deutschen Realschull­ehrerverba­nds (VDR) erteilte des Volkes Stimme als erster eine klare Absage: „Zentralist­ische Bildungsst­rukturen mit einem wie auch immer nicht legitimier­ten Bildungsra­t an oberster Stelle wären ein Rückschrit­t in der Bildungspo­litik, eine Nivellieru­ng nach unten und eine klare Absage an den Bildungsfö­deralismus, den das Grundgeset­z zu Recht schützt und garantiert“, so Böhm.

Die auch durch Corona „medial angeheizte Diskussion nach Gleichmach­erei und Vereinheit­lichung“werde nicht zu einem Anstieg in der Qualität und Leistung unseres Bildungssy­stems führen, sondern sich „ganz im Gegenteil am untersten Niveau und an falschen Normen orientiere­n“, ist Böhm überzeugt. Barometer-Expertin Werner hielt es für wahrschein­lich, dass die zu Zeiten der Umfrage herrschend­e CoronaPand­emie den Wunsch nach Zentralisi­erung und Vereinheit­lichung der Bildungspo­litik verstärkt hat.

Newspapers in German

Newspapers from Germany