Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Wahlkampf in Kenosha
Nach US-Präsident Trump besucht sein Herausforderer Joe Biden die von Unruhen erschütterte Stadt
WASHINGTON - Schüsse auf einen schwarzen Familienvater bei einem Polizeieinsatz stürzten die US-Stadt Kenosha ins Chaos. Präsident Trump spricht dort nun mit Sicherheitskräften, nennt Krawalle anti-amerikanisch – und findet nur spärliche Worte des Mitgefühls für den Schwerverletzten.
In Kenosha exerzierte Trump vor, wie er sich einen Wahlkampf vorstellt, der nach seinem Willen ganz im Zeichen von Recht und Ordnung stehen soll. Ein Treffen mit der Familie des 29-Jährigen lehnte er ab. Die habe nur im Beisein von Anwälten mit ihm reden wollen, begründete er die Absage. Über den verletzten Afroamerikaner Jacob Blake sagte er nur das Allernötigste: Er fühle mit jedem, der so etwas durchmachen müsse. Umso mehr Zeit verwandte er darauf, die Polizei in Schutz zu nehmen.
In den Straßen wurde der Konvoi des Präsidenten von seinen Anhängern empfangen, aber auch von Demonstranten, die gegen Rassismus und Polizeigewalt protestierten. Trump sah sich unter massiven Sicherheitsvorkehrungen ein abgebranntes Geschäft an und traf sich mit Vertretern von Sicherheitskräften und einigen örtlichen Unternehmern.
Die Beamten, so Trump bei einem Runden-Tisch-Gespräch, hätten einen schweren Job zu erledigen. Unter dem Druck, manchmal in einer Viertelsekunde entscheiden zu müssen, versagten eben bisweilen die Nerven, sage er und wiederholte damit, was er zuvor bereits einem Fernsehsender gesagt hatte. In einem Interview mit Fox News verglich er Polizisten, die womöglich unbedacht die Waffe ziehen, mit Golfspielern, denen drei Fuß vor dem Loch, in dem sie den Ball versenken müssen, die Nerven einen Streich spielen. Trump versprach zugleich eine Million Dollar Unterstützung für die örtliche Polizei und vier Millionen Dollar für den Wiederaufbau von Geschäften in Kenosha.
Vor der Reise hatten sich der Bürgermeister der Stadt und der Gouverneur des Bundesstaates Wisconsin, beides Demokraten, gegen einen Besuch des Präsidenten ausgesprochen. Sie warnten, dass Trumps Anwesenheit die Spannungen verstärken könnte. Beide fehlten bei dem Auftritt des Republikaners in der Stadt.
Bei den Ausschreitungen in Kenosha handle es sich um inländischen Terrorismus. Die Reporterfrage, ob nicht systemischer Rassismus ein Problem in den USA sei, beantwortete Trump mit Medienschelte. Man habe es mit Plünderern, Randalierern, Aufwieglern zu tun, „und das ist es, worauf Sie sich in Ihrer Frage konzentrieren sollten“. Über Kyle Rittenhouse, einen 17-Jährigen, der zwei Protestierende getötet und einen weiteren verletzt hatte, verlor er kein Wort. Der Teenager war bewaffnet mit einem Sturmgewehr aus dem Nachbarstaat Illinois nach Wisconsin gefahren, um „Geschäfte vor Plünderern zu schützen“. Trump hatte ihn verteidigt, indem er dem Teenager bescheinigte, in Notwehr gehandelt zu haben.
Der Präsident schrieb am Mittwoch auf Twitter, seine Reise nach Kenosha sei „sehr erfolgreich“gewesen. Mit Blick auf die Gewalt fügte er hinzu: „Wir haben das Problem schnell gelöst, und die Menschen in Wisconsin haben es sehr geschätzt.“Seinem Herausforderer Joe Biden warf er vor, nicht auf der Seite der Sicherheitskräfte zu stehen.
Biden kündigte derweil an, an diesem Donnerstag zusammen mit seiner Frau Jill nach Kenosha zu reisen. Dabei solle es ein Treffen mit Bewohnern geben, um „zu heilen und die Herausforderungen, vor denen wir stehen, zu thematisieren“.