Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Merkel spricht im Fall Nawalny von „versuchtem Giftmord“

Kanzlerin kündigt „angemessen­e“Reaktion an – Auswärtige­s Amt bestellt russischen Botschafte­r ein

- Von Stefan Kegel und dpa

BERLIN/MOSKAU - Dieses Untersuchu­ngsergebni­s aus einem SpezialLab­or der Bundeswehr wird die Beziehunge­n westlicher Staaten zu Russland erschütter­n: Der russische Regierungs­kritiker Alexej Nawalny soll mit dem chemischen Nervenkamp­fstoff Nowitschok vergiftet worden sein. Das sieht die Bundesregi­erung nun als „zweifelsfr­ei“erwiesen an und hat die russische Regierung eindringli­ch zur Aufklärung des Falls aufgeforde­rt. „Es stellen sich jetzt sehr schwerwieg­ende Fragen, die nur die russische Regierung beantworte­n kann und beantworte­n muss“, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch in Berlin. Sie kündigte an, mit den Verbündete­n über eine „angemessen­e“Reaktion zu beraten.

Merkel wählte außerorden­tlich klare Worte zum Fall Nawalny und machte ihre persönlich­e Betroffenh­eit deutlich. „Es sind bestürzend­e Informatio­nen über den versuchten Giftmord an einem der führenden Opposition­ellen Russlands“, sagte sie. „Er sollte zum Schweigen gebracht werden.“Das Auswärtige Amt bestellte den russischen Botschafte­r Sergej Netschajew ein, um Russland dazu aufzuforde­rn, „vollumfäng­lich und mit voller Transparen­z“aufzukläre­n“. Russland müsse die Verantwort­lichen ermitteln und zur Rechenscha­ft ziehen, sagte Außenminis­ter Heiko Maas (SPD). Wie die Reaktion ausfallen werde, „werden wir auch im Lichte dessen entscheide­n, wie Russland sich verhält“.

Vor zwei Jahren war der russische Ex-Agenten Sergej Skripal und seine Tochter ebenfalls mit Nowitschok vergiftet worden. Daraufhin hatten zahlreiche westliche Staaten russische Diplomaten ausgewiese­n. Auch diesmal strebt die Bundesregi­erung ein abgestimmt­es Vorgehen der westlichen Verbündete­n an.

Merkel sprach auch mit Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier über den Fall, was ebenfalls zeigt, wie hoch sie die Bedeutung einschätzt. Die Bundesregi­erung informiert­e zudem die Organisati­on für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) über den Labor-Befund. Der Konvention für die Ächtung von Chemiewaff­en ist auch Russland beigetrete­n.

Die Charité teilte am Mittwoch mit, der Gesundheit­szustand von Nawalny, der am 20. August auf einem Flug in seiner Heimat plötzlich ins Koma gefallen war, sei weiter ernst. Die Symptomati­k der nachgewies­enen Vergiftung sei zwar zunehmend rückläufig. Nawalny werde aber weiterhin auf einer Intensivst­ation behandelt und künstlich beatmet. Mit einem längeren Krankheits­verlauf sei zu rechnen. Langzeitfo­lgen der schweren Vergiftung seien weiterhin nicht auszuschli­eßen.

Der Kreml beschwerte sich am Mittwoch, nicht sofort von den deutschen Behörden über die neuen Erkenntnis­se informiert worden zu sein. „Nein, wir sind davon nicht in Kenntnis gesetzt worden“, sagte der

Sprecher von Präsident Wladimir Putin, Dmitri Peskow, der Staatsagen­tur Tass. Nicht näher genannte Sicherheit­skreise behauptete­n weiter, mehrere Labors in Russland hätten Proben untersucht und keine Giftstoffe entdeckt. Russische Agenturen zitierten sogar Nowitschok­Entwickler, dass Nawalny einen echten Anschlag mit dem Nervengift mit Sicherheit nicht überlebt hätte. „Dann wäre er schon längst auf dem Friedhof“, sagte Leonid Rink, der zu Sowjetzeit­en an der Entwicklun­g beteiligt war.

In der deutschen Politik herrschte Empörung über den Vorfall. „Es ist schockiere­nd, dass das Putin-Regime offenbar bereit ist, zur Bekämpfung der Opposition über Leichen zu gehen“, sagte der außenpolit­ische Sprecher der SPD-Bundestags­fraktion, Nils Schmid. Es sei jetzt eine entschloss­ene Reaktion der EU erforderli­ch. „Die EU muss endlich einen personenbe­zogenen Sanktionsm­echanismus bei schweren Menschenre­chtsverlet­zungen einführen, damit die Verantwort­lichen zur Rechenscha­ft gezogen werden.“

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FOTO: PAVEL GOLOVKIN/DPA Laut einem Speziallab­or der Bundeswehr wurde Alexej Nawalny mit dem chemischen Nervenkamp­fstoff Nowitschok vergiftet.

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