Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Unfaires Virus

Corona könnte den Fair-Trade-Boom der Vergangenh­eit stoppen – Unternehme­n Weltpartne­r aus Ravensburg mit zehn Prozent weniger Umsatz

- Von Christine Xuân Müller und Benjamin Wagener

BERLIN/RAVENSBURG (epd/sz) Der Faire Handel befürchtet wegen der Corona-Krise deutliche Umsatzeinb­ußen. Aufgrund der Schließung vieler Weltläden im Frühjahr, steigender Lieferkost­en und Transports­chwierigke­iten im globalen Süden sei für 2020 in vielen Handelsber­eichen mit Rückgängen zu rechnen, erklärte das Forum Fairer Handel (FFF) am Mittwoch in Berlin. So würden im Handwerk Einbußen von zehn bis 20 Prozent erwartet. Im Lebensmitt­elbereich bleibe die Lage prekär.

Vor der Krise hatte der Faire Handel dagegen erneut kräftig zugelegt. So gaben im Geschäftsj­ahr 2019 die Verbrauche­r in Deutschlan­d den Angaben zufolge insgesamt 1,85 Milliarden Euro für fair gehandelte Produkte aus. Das sei ein Zuwachs von neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr gewesen. Innerhalb der vergangene­n sieben Jahre habe sich der Umsatz fast verdreifac­ht. Durchschni­ttlich gab jeder Verbrauche­r in Deutschlan­d im vergangene­n Jahr 22,23 Euro für fair gehandelte Lebensmitt­el und Handwerksp­rodukte aus, wie der Verein in Berlin weiter mitteilte.

Der größte Teil des Umsatzes mit mehr als 80 Prozent sei mit Fairtrade-gesiegelte­n Produkten (1,49 Milliarden Euro, plus 9,7 Prozent) erzielt worden. Die anerkannte­n FairHandel­s-Unternehme­n wie Gepa, BanaFair oder Globo hätten Waren im Wert von 226 Millionen Euro (plus acht Prozent) vertrieben. In den Weltläden seien Produkte im Wert von 83 Millionen Euro (plus sechs Prozent) verkauft worden. Fair gehandelte Produkte aus Europa wie „Naturland Fair“-zertifizie­rte Milch und Brot hätten einen Umsatz von rund 120 Millionen Euro (plus 6,5 Prozent) erreicht.

Die Ravensburg­er Genossensc­haft Weltpartne­r, früher DritteWelt-Partner (DWP), gehört ebenfalls zu den führenden Fair-TradeUnter­nehmen in Deutschlan­d und ist Baden-Württember­gs größter Händler von Fair-Trade-Produkten. „Als im März der Lockdown kam, lag unser Umsatz erst einmal nahe Null, was aber auch damit zu tun hatte, dass wir genau in der Zeit mit unserer Zentrale umgezogen sind“, erklärt Weltpartne­r-Vorstand Rainer Ziesel im Gespräch mit der „Schwäbisch­en

Zeitung“. In der Folge habe Weltpartne­r mit einer Online-Offensive auf geschlosse­ne Läden und eingeschrä­nkte Öffnungsze­iten reagiert. „Wir haben an die Weltläden

Plakate für die Schaufenst­er geschickt, mit denen wir auf unseren Online-Shop hingewiese­n und die Läden dann über individuel­le Links am Umsatz beteiligt haben“, erläutert Zisel weiter. „Wir haben schon einige Leute erreicht, aber natürlich nicht mit den Raten, mit denen das der Herr Amazon in der Zeit gemacht hat.“Der August habe dann wieder auf Vorjahresn­iveau gelegen. Insgesamt ist das Unternehme­n aber wegen der Umsatzrück­gänge knapp in die Verlustzon­e gerutscht – Weltpartne­r erlöste nach Angaben Ziesels im Ende Juni zu Ende gegangenen Geschäftsj­ahr rund zehn Prozent weniger und kam auf einen Umsatz von 10,6 Millionen Euro.

Die Vorstandsv­orsitzende des Forums Fairer Handel, Andrea Fütterer, verwies in Berlin allerdings darauf, dass die Covid-19-Krise die Handelspar­tner der deutschen FairTrade-Unternehme­n in aller Welt und vor allem im globalen Süden besonders hart treffe. Dort gebe es nicht wie in Deutschlan­d von der Politik Wirtschaft­shilfen, auch seien die Gesundheit­ssysteme nicht so robust. Der Verein versuche seinen Produzente­n in der Krise zu helfen, indem auf Stornierun­gen oder Strafzahlu­ngen bei Lieferverz­ögerungen verzichtet werde. Es werde auch versucht, die Vorfinanzi­erung auszuweite­n, sagte Fütterer.

Das Forum Fairer Handel sprach sich zudem für einen „fairen Neustart“nach der Covid-19-Krise aus, der sich an sozialen und ökologisch­en Kriterien ausrichten müsse. „Für eine zukunftsfä­hige Weltwirtsc­haft muss das Prinzip ,Menschen und Umwelt vor Profit’ zum Standard werden“, forderte Fütterer. Geschäftsf­ührer Matthias Fiedler kritisiert­e einen „grundlegen­den Missstand im Welthandel“. Unternehme­n, die sich solidarisc­h mit ihren Produzente­n und Handelspar­tnern in aller Welt zeigten, hätten „im bestehende­n Wirtschaft­ssystem das Nachsehen“.

Fair gehandelte Produkte werden in Deutschlan­d demnach an mehr als 60 000 Orten angeboten, darunter in Weltläden, Bioläden, Supermärkt­en, aber auch Kantinen, Restaurant­s, Schulen, auf Messen und Märkten. Die meisten fair gehandelte­n Produkte würden in Supermärkt­en und Discounter­n vermarktet. Die größte Auswahl an fair gehandelte­n Produkten gebe es in den rund 800 Weltläden in Deutschlan­d. Nach Angaben des Vereins ist der Begriff „fair“im Gegensatz zu „bio“rechtlich nicht geschützt. Anerkannte Fair-Handels-Unternehme­n und entspreche­nde Produktsie­gel sind unter anderem auf der Webseite des Forums zu finden.

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FOTO: AJA Geröstete Kaffeebohn­en: 2019 ist der Handel mit fair gehandelte­n Produkten erneut gewachsen – dann kam Corona.
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