Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Unfaires Virus
Corona könnte den Fair-Trade-Boom der Vergangenheit stoppen – Unternehmen Weltpartner aus Ravensburg mit zehn Prozent weniger Umsatz
BERLIN/RAVENSBURG (epd/sz) Der Faire Handel befürchtet wegen der Corona-Krise deutliche Umsatzeinbußen. Aufgrund der Schließung vieler Weltläden im Frühjahr, steigender Lieferkosten und Transportschwierigkeiten im globalen Süden sei für 2020 in vielen Handelsbereichen mit Rückgängen zu rechnen, erklärte das Forum Fairer Handel (FFF) am Mittwoch in Berlin. So würden im Handwerk Einbußen von zehn bis 20 Prozent erwartet. Im Lebensmittelbereich bleibe die Lage prekär.
Vor der Krise hatte der Faire Handel dagegen erneut kräftig zugelegt. So gaben im Geschäftsjahr 2019 die Verbraucher in Deutschland den Angaben zufolge insgesamt 1,85 Milliarden Euro für fair gehandelte Produkte aus. Das sei ein Zuwachs von neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr gewesen. Innerhalb der vergangenen sieben Jahre habe sich der Umsatz fast verdreifacht. Durchschnittlich gab jeder Verbraucher in Deutschland im vergangenen Jahr 22,23 Euro für fair gehandelte Lebensmittel und Handwerksprodukte aus, wie der Verein in Berlin weiter mitteilte.
Der größte Teil des Umsatzes mit mehr als 80 Prozent sei mit Fairtrade-gesiegelten Produkten (1,49 Milliarden Euro, plus 9,7 Prozent) erzielt worden. Die anerkannten FairHandels-Unternehmen wie Gepa, BanaFair oder Globo hätten Waren im Wert von 226 Millionen Euro (plus acht Prozent) vertrieben. In den Weltläden seien Produkte im Wert von 83 Millionen Euro (plus sechs Prozent) verkauft worden. Fair gehandelte Produkte aus Europa wie „Naturland Fair“-zertifizierte Milch und Brot hätten einen Umsatz von rund 120 Millionen Euro (plus 6,5 Prozent) erreicht.
Die Ravensburger Genossenschaft Weltpartner, früher DritteWelt-Partner (DWP), gehört ebenfalls zu den führenden Fair-TradeUnternehmen in Deutschland und ist Baden-Württembergs größter Händler von Fair-Trade-Produkten. „Als im März der Lockdown kam, lag unser Umsatz erst einmal nahe Null, was aber auch damit zu tun hatte, dass wir genau in der Zeit mit unserer Zentrale umgezogen sind“, erklärt Weltpartner-Vorstand Rainer Ziesel im Gespräch mit der „Schwäbischen
Zeitung“. In der Folge habe Weltpartner mit einer Online-Offensive auf geschlossene Läden und eingeschränkte Öffnungszeiten reagiert. „Wir haben an die Weltläden
Plakate für die Schaufenster geschickt, mit denen wir auf unseren Online-Shop hingewiesen und die Läden dann über individuelle Links am Umsatz beteiligt haben“, erläutert Zisel weiter. „Wir haben schon einige Leute erreicht, aber natürlich nicht mit den Raten, mit denen das der Herr Amazon in der Zeit gemacht hat.“Der August habe dann wieder auf Vorjahresniveau gelegen. Insgesamt ist das Unternehmen aber wegen der Umsatzrückgänge knapp in die Verlustzone gerutscht – Weltpartner erlöste nach Angaben Ziesels im Ende Juni zu Ende gegangenen Geschäftsjahr rund zehn Prozent weniger und kam auf einen Umsatz von 10,6 Millionen Euro.
Die Vorstandsvorsitzende des Forums Fairer Handel, Andrea Fütterer, verwies in Berlin allerdings darauf, dass die Covid-19-Krise die Handelspartner der deutschen FairTrade-Unternehmen in aller Welt und vor allem im globalen Süden besonders hart treffe. Dort gebe es nicht wie in Deutschland von der Politik Wirtschaftshilfen, auch seien die Gesundheitssysteme nicht so robust. Der Verein versuche seinen Produzenten in der Krise zu helfen, indem auf Stornierungen oder Strafzahlungen bei Lieferverzögerungen verzichtet werde. Es werde auch versucht, die Vorfinanzierung auszuweiten, sagte Fütterer.
Das Forum Fairer Handel sprach sich zudem für einen „fairen Neustart“nach der Covid-19-Krise aus, der sich an sozialen und ökologischen Kriterien ausrichten müsse. „Für eine zukunftsfähige Weltwirtschaft muss das Prinzip ,Menschen und Umwelt vor Profit’ zum Standard werden“, forderte Fütterer. Geschäftsführer Matthias Fiedler kritisierte einen „grundlegenden Missstand im Welthandel“. Unternehmen, die sich solidarisch mit ihren Produzenten und Handelspartnern in aller Welt zeigten, hätten „im bestehenden Wirtschaftssystem das Nachsehen“.
Fair gehandelte Produkte werden in Deutschland demnach an mehr als 60 000 Orten angeboten, darunter in Weltläden, Bioläden, Supermärkten, aber auch Kantinen, Restaurants, Schulen, auf Messen und Märkten. Die meisten fair gehandelten Produkte würden in Supermärkten und Discountern vermarktet. Die größte Auswahl an fair gehandelten Produkten gebe es in den rund 800 Weltläden in Deutschland. Nach Angaben des Vereins ist der Begriff „fair“im Gegensatz zu „bio“rechtlich nicht geschützt. Anerkannte Fair-Handels-Unternehmen und entsprechende Produktsiegel sind unter anderem auf der Webseite des Forums zu finden.