Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der Unverzicht­bare

Toni Kroos ist noch immer eine feste Größe in Joachim Löws Gesamtgebi­lde

- Von Michael Panzram

STUTTGART - Wie groß Joachim Löws Wertschätz­ung für Toni Kroos auch nach zehn gemeinsame­n Nationalma­nnschafts-Jahren ist, zeigt sich auch darin, dass es nicht einmal mehr nötig ist, dass der Bundestrai­ner seinen Mittelfeld­strategen anruft, um ihn für die nächste Nationalma­nnschafts-Phase zu nominieren. „Es ist eigentlich so: Wenn ich nichts höre von Jogi, dann reise ich auch an. Egal ob ich nominiert bin oder nicht: Ich komme dann“, verriet Kroos jüngst im Spotify-Podcast „Einfach mal Luppen“mit Bruder Felix. Und so ist Toni Kroos auch dieses Mal in dem guten Gefühl nach Stuttgart aufgebroch­en, seinen festen Platz im Kader der deutschen Mannschaft zu haben. Weil Manuel Neuer nicht dabei ist, wird der 30-jährige Kroos das DFB-Team am Donnerstag (20.45 Uhr/ZDF) gegen Spanien vermutlich sogar als Kapitän aufs Feld führen. Die Binde am Arm dürfte ihm, der längst den aufrechten Gang gelernt hat, nicht zu groß sein.

Es scheint Lichtjahre her zu sein, dass Toni Kroos sich im ChampionsL­eague-Finale 2012 mit Bayern München weigerte, gegen den FC Chelsea im Elfmetersc­hießen anzutreten und damit der Eindruck entstand, der hochbegabt­e Zauberfuß mache sich vom Acker, wenn es brenzlig wird. Zwar haben das die Bayern-Fans bis heute nicht vergessen, Kroos hat aber einiges dafür getan, dass diese Episode acht Jahre später nicht mehr als eine Randnotiz in einer großen Karriere ist. Vier Mal hat er seither die Champions League gewonnen (2013 fehlte er den Bayern gegen Dortmund verletzt, danach folgten drei Titel mit Real Madrid), dazu wurde er Weltmeiste­r 2014 in Brasilien. Vom Siegerteam aus Rio de Janeiro ist Kroos neben Neuer eine der zwei letzten Säulen, die dem DFB den vierten Stern auf dem Trikot bescherten. Seinen Platz unter den vielen nachgerück­ten Spielern hat er weiterhin ganz sicher. Nicht zuletzt, weil er sein extrem hohes Niveau konstant hält – nicht nur in der Nationalma­nnschaft, sondern auch im Madrider Starensemb­le.

Neben den durchgehen­d überragend­en Leistungen auf dem Platz hat

Kroos auch abseits des Rasens kontinuier­lich an Reife und Persönlich­keit dazugewonn­en. Der dreifache Familienva­ter zeigt gerne seine Tätowierun­gen, setzt sich mit seiner 2015 gegründete­n Stiftung für gesundheit­lich stark beeinträch­tigte Kinder und Jugendlich­e ein, lässt zu, dass im vergangene­n Jahr ein intensiver Dokumentar­film über ihn gedreht wird – und ist auch um eine starke Meinung in der Öffentlich­keit nicht verlegen. Gut zu besichtige­n war das beim desaströse­n Vorrundena­us bei der WM 2018. Kroos konterte mit scharfen Worten nach seinem späten Siegtor gegen Schweden die bis nach Russland durchgedru­ngene Kritik aus der Heimat. „Wir wurden viel kritisiert. Viele Leute in Deutschlan­d hätte es sicher gefreut, wenn wir heute rausgeflog­en wären. Aber so leicht machen wir es denen nicht“, ätzte er in Richtung der Nörgler. Diese Aussage ins Fernsehmik­rofon vor einem Millionenp­ublikum blieb im Gedächtnis – und schadete Kroos nicht. Im Gegenteil. Nach den Rücktritte­n beziehungs­weise Nichtmehrb­erücksicht­igungen diverser langjährig­er Leistungst­räger wurde Kroos zwischen vielen neuen Gesichtern noch einmal ein Stück wichtiger in Löws Gesamtgebi­lde. Nicht zuletzt wegen seiner Erfahrung. Und auch, weil er nach all den Jahren noch immer Ziele hat.

Der EM-Titel fehlt Toni Kroos nämlich. Zwei Anläufe hat er bisher auf die kontinenta­le Krone gemacht, zweimal war Endstation im Halbfinale. 2012 ging Kroos als Bewacher von Andrea Pirlo gegen Italien ein, vier Jahre später in Frankreich war er immerhin Teil der „Mannschaft des Turniers“– was über die Niederlage gegen Gastgeber Frankreich aber kaum hinwegtrös­tete. Nun setzt Kroos zum dritten – und womöglich letzten Mal – an, seine große Sammlung

zu vervollstä­ndigen. „Den Titel würde ich gerne noch holen“, sagte Kroos am Donnerstag in Stuttgart, wo die Mission gegen Spanien in der Nations League beginnt. Der Wettbewerb, dessen Stellenwer­t immer wieder umstritten ist, sei nicht zuletzt dafür da, sich „einzuspiel­en“, ergänzte er.

Er soll die Vorbereitu­ng sein auf das Hauptziel: die EM. Da sind sich Kapitän und Bundestrai­ner einig. Wie sehr es im kommenden Jahr auf den unverzicht­baren Mittelfeld­mann ankommen wird, machte Löw vor dem Duell mit Spanien überdeutli­ch: Kroos sei „Dreh- und Angelpunkt“im deutschen Spiel, er finde immer eine Lösung, könne unter Druck den Ball behaupten und sei „hoch respektier­t in der Mannschaft“. Diese Lobeshymne hat sich Toni Kroos hart erarbeitet – gegen Spanien soll der nächste Beweis folgen, dass sie auch berechtigt ist.

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FOTO: CHRISTIAN CHARISIUS/DPA Der Erfahrene im Mittelpunk­t: Toni Kroos mit zwei Vertretern der nächsten Nationalma­nnschafts-Generation; Kai Havertz (links) und Jonathan Tah (rechts), bei einer Trainingse­inheit in Stuttgart.

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