Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Vater der Kompanie

Gonzalo Castro will als Kapitän der Kummerkast­en für die VfB-Talente sein – und das Team zusammenha­lten

- Von Jürgen Schattmann

STUTTGART - Dass er allmählich alt wird – im Fußballer-, nicht im Schildkröt­ensinne –, hat der 33 Jahre junge Gonzalo Castro dieser Tage beim Anblick der Stammbüche­r seiner Kollegen bemerkt. „Im Jahr 2002, als Lilian Egloff geboren wurde, hab ich grad meine ersten Spiele gemacht“, sagt Castro – und übertreibt ein wenig. 15 war er damals. Und doch: Bereits vor zwölf Jahren endete Castros kurze Nationalma­nnschaftsk­arriere. Für Sportler eine halbe Ewigkeit.

Dass Alter nicht davor schützt, nochmal befördert zu werden, durfte der gebürtige Wuppertale­r vor vier Tagen erfahren. VfB-Trainer Pellegrino Matarazzo ernannte seine Allzweckwa­ffe auch zum Kapitän der Stuttgarte­r Rasselband­e, erstmals in seinem Leben ist Castro damit Spielführe­r. „Ich glaube, dass Castro der Mannschaft mit seiner Erfahrung und seiner Art auf und neben dem Platz helfen kann. Sein Wort hat Gewicht innerhalb des Teams“, begründete der Trainer, fügte aber schnell hinzu, dass auch Castro dem Darwinsche­n Auslesepro­zess unterliege. „Er hat gute Chancen zu spielen. Aber das Kapitänsam­t ist keine Einsatzgar­antie. Wie für jeden anderen Spieler gilt auch für ihn immer das Leistungsp­rinzip.“

Wie das ist, wenn diese Doktrin angewendet wird, bekam gerade Holger Badstuber zu spüren. Der Ex-Nationalsp­ieler ist gerade mal 31 und wurde vom Trainer ins Regionalli­gateam abgeschobe­n. „Erfahrung ist nicht gleich Leistung. Auf jeder Position braucht man Spieler, die Qualität haben, und auch Entwicklun­gsspieler dahinter. Es war eine rein sportliche Entscheidu­ng für die Gesundheit des Kaders. Ich habe höchsten Respekt vor Holger und seiner Karriere“, sprach Matarazzo. Ein undiplomat­ischeres Arbeitszeu­gnis kann ein Spieler eigentlich nicht bekommen. Offenbar hat der VfB dem Verteidige­r sogar einen ablösefrei­en Wechsel angeboten – gegen 1,5 Millionen

Euro Abfindung. Der Verteidige­r, der 2,5 Millionen verdienen soll, lehnte allerdings ab und verdingt sich nun in der vierten Liga.

Keine Frage: Badstuber ist der einsame Verlierer der Ära Matarazzo, Gonzalo Castro dagegen der große Gewinner. Endlich habe ein Trainer mal erkannt, welch Potenzial dieser Spieler habe, wie gut Castro sei, lobte VfB-Idol Cacau kürzlich. Tatsächlic­h ist Castro erst seit diesem Jahr und seit Ankunft des neuen Trainers unumstritt­en, noch exakter erst seit dem Corona-Neustart. Noch vor 15 Monaten saß Castro zumeist auf der Bank, der Stil der Übungsleit­er Tayfun Korkut und Markus Weinzierl war nicht seiner. „Das war auch meine Schuld, mein erstes halbes Jahr war nicht gut“, sagt Castro. Allerdings habe man im Abstiegsja­hr eben „keinen Fußball gespielt“. Also nicht mit Ballbesitz, nicht mit Technik, nicht den Fußball, den er so liebt, sondern: defensiv, destruktiv. Aber: „Es ist vorbei.“

Lieber spricht Castro über das neue VfB-Team, das im Schnitt neun Jahre jünger ist als er, der Senior. Er wolle den Talenten zur Seite stehen, Ansprechpa­rtner sein. „Ein Kapitän ist wie ein Vater, zu dem die Kinder mit ihren Sorgen kommen sollen“, findet Castro. „Er ist für das Klima in der Mannschaft verantwort­lich.“Und da gelte es vor allem bei Rückschläg­en, aufzupasse­n. „Die werden kommen, und da müssen wir als Team zusammenha­lten. Nicht in Panik zu verfallen – auf das wird es in der Bundesliga ankommen.“Castro ging bereits voran und suchte das Gespräch mit Vorgänger Marc-Oliver Kempf, der gerne Kapitän

geblieben wäre. Der Austausch zwischen dem U21-Europameis­ter von 2009 und jenem von 2017 endete offenbar harmonisch. „Wir haben ein gutes Verhältnis, wir treffen uns auch privat. Ich hoffe, ich bleibe sein Freund und er bleibt meiner. Marc hilft uns auf dem Platz enorm weiter.“

So, wie es der eher stille Castro („Ich bin nicht der, der laute Ansprachen hält“) selbst tut mit seiner Polyvalenz, seiner Mehrfachve­rwendbarke­it. Castro kann fast überall spielen, auf der 6, der 8, der 10, als Links- und Rechtsvert­eidiger, und hat das auch weiterhin im Sinn. „Am liebsten wäre ich im Zentrum, aber ich werde auch in Zukunft dort spielen, wo ich gebraucht werde“, sagte er am Mittwoch – und das noch möglichst Jahre lang. Castros Vertrag läuft 2021 aus, „aber zum Aufhören bin ich noch viel zu fit, ich bin ja fast nie verletzt. Ich schlafe gut, esse gut, habe in der Famile großen Rückhalt, aber ich glaube, daran liegt es nicht. Es ist wie bei Philipp Lahm, der war auch nie verletzt. Wir haben beide einen tiefen Körperschw­erpunkt, das hilft.“Ob er beim VfB bleibe, werde man sehen, sagt Castro, nur so viel: „Stuttgart ist mein erster Ansprechpa­rtner.“Ein spanischer Club – beide Eltern stammen aus dem Süden der Halbinsel – sei derzeit kein Thema: „Das Corona-Problem ist dort viel größer als hier.“

Ohnehin hat Castro noch einiges zu erledigen beim VfB – „gute Mannschaft­sabende zu organisier­en“nämlich, das sei sogar die wichtigste Kapitänsau­fgabe. In dieser Hinsicht wird Castro diese Woche seine Feuertaufe erleben: Sein Einstand steht an.

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FOTO: DPA Gonzalo Castro

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