Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die Musik kehrt zurück

Singen und Musizieren mit Blasinstru­menten ist in Schulen wieder erlaubt

- Von Martin Oversohl

STUTTGART (lsw) - Die Forderung „Rettet die Schulmusik“prangt nach wie vor in großen Lettern auf der baden-württember­gischen Landes-Internetse­ite des Bundesverb­ands Musikunter­richt. Schrill tönten die Alarmglock­en der Chöre und Musiker im Sommer, weil das Singen und das Spielen von Blasinstru­menten in geschlosse­nen Räumen aus Angst vor dem Coronaviru­s an den Schulen verboten werden sollten. Nun schlägt das Kultusmini­sterium rechtzeiti­g vor dem Schulstart am 14. September andere Töne an. Nach der jüngsten Corona-Verordnung für Schulen werden das Singen und das Musizieren mit Blasinstru­menten trotz der strengen Corona-Auflagen erlaubt. Für Schulchöre und -orchester gilt diese Zusage noch nicht.

Nach Angaben des Ministeriu­ms von Donnerstag müssen beim Musizieren im Unterricht und in geschlosse­nen Innenräume­n aber Voraussetz­ungen erfüllt sein. Vor allem darf nur im Klassenver­band oder einer Lerngruppe der Jahrgangss­tufe musiziert werden, wie es in der neuen Corona-Verordnung „über den Schulbetri­eb unter Pandemiebe­dingungen“heißt. Auch muss ein Mindestabs­tand von zwei Metern in alle Richtungen eingehalte­n werden. Außerdem wird empfohlen, dass zwischen Lehrern und Schülern eine durchsicht­ige Schutzwand installier­t wird. Es muss regelmäßig gelüftet werden, zudem müssen Instrument­e nach dem Unterricht desinfizie­rt und Einmaltüch­er benutzt werden. Anderersei­ts ist laut Verordnung „die Mitwirkung außerschul­ischer Personen am Schulbetri­eb […] zulässig“, es wären also zum Beispiel Musikschul­lehrer erlaubt.

Völlig überrasche­nd kommt der Vorschlag aus dem Kultusmini­sterium nicht. Landesmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) hatte Ende Juli angekündig­t, eine Rückkehr der Musik in die Klassenräu­me prüfen zu lassen. Ihre Sorge: Beim Singen können Wissenscha­ftlern zufolge sogenannte Aerosole, also Gemische aus festen oder flüssigen Schwebetei­lchen, bis zu eineinhalb Meter nach vorne ausgestoße­n werden. Das kann eine Ansteckung mit dem Coronaviru­s begünstige­n. Nicht zuletzt deshalb erteilte Eisenmann den

Schulchöre­n und -orchestern nun auch zunächst eine Absage: Wegen der Dynamik des Infektions­geschehens seien keine jahrgangsü­bergreifen­den Angebote und Aktivitäte­n zugelassen. „Mir ist völlig bewusst, dass der Verzicht auf gerade diese Angebote für musikbegei­sterte Schülerinn­en und Schüler sowie die Musiklehrk­räfte eine herausford­ernde Situation darstellt“, bedauerte die Ministerin. Sie versprach aber, dass vor den Herbstferi­en die Lage erneut bewertet werde.

Chor- und Musikverbä­nde hatten im Sommer wiederholt gegen das geplante Musik-Verbot in Schulen protestier­t, es gab Online-Petitionen und offene Protestbri­efe. In ersten Reaktionen zeigten sich SüdwestMus­ikverbände vorsichtig zufrieden mit den Vorgaben. „Als erster Schritt ist das sehr gut“, hieß es beim Landesmusi­krat, dem Dachverban­d der Musikverbä­nde und -Institutio­nen im Land. Tilman Heiland, Präsident des Landesverb­ands im Bundesverb­and Musikunter­richt, hält die Entscheidu­ng des Ministeriu­ms für nachvollzi­ehbar, „weil wir sehr vorsichtig sein müssen“. Er sieht allerdings in der Verordnung noch etliche Fragen unbeantwor­tet. „Das gibt den Schulen die Möglichkei­t, kreativ zu sein, wenn sie mit den Auflagen umgehen müssen“, sagte er. Musikunter­richt bleibe aber ein Pflichtunt­erricht und müsse auch als ein solcher geschätzt werden.

Der Schwäbisch­e Chorverban­d warnte vor den Problemen für kleinere Schulen. „Bei den Abstandsre­geln wird die benötigte Fläche schnell sehr groß“, sagte Sprecher Johannes Pfeffer. Vor allem für Schulen mit kleineren Jahrgängen werde es kaum möglich sein, bei der vorgeschri­ebenen Aufteilung der Schulen in Kohorten Chöre oder Orchester zu bilden.

Die angekündig­te neue Bewertung vor den Herbstferi­en sei ein Hoffnungss­chimmer. Denn das gemeinsame Singen in Schulen stelle nach wie vor eine existenzie­lle Grundlage für die Chorarbeit in Kirchen und Vereinen dar. „Wird in Schulen nicht gesungen, bricht den Chören irgendwann der Nachwuchs weg“, sagte Pfeffer. Außerdem sei der positive emotionale und soziale Effekt auf Kinder und Jugendlich­e aus dem Schulallta­g nicht wegzudenke­n.

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FOTO: JENS BÜTTNER/DPA Das Musizieren mit Blasinstru­menten war aus Angst vor einer Verbreitun­g des Coronaviru­s verboten.

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