Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Merkel hat die Samthandsc­huhe ausgezogen

Der Fall Nawalny belastet die deutsch-russischen Beziehunge­n – Kanzlerin zeigt klare Kante gegen Putin

- Von Ellen Hasenkamp und Stefan Kegel

BERLIN - Das kleine Spezialflu­gzeug mit Alexej Nawalny an Bord kam am 22. August auf dem Flughafen Tegel an – militärisc­her Teil. Der Teil also, von dem aus sonst die Flieger der Bundesregi­erung starten und wo die Staatsgäst­e aus dem Ausland ankommen. Mit der Chartermas­chine landete aber auch der gesamte Fall des vergiftete­n russischen Opposition­ellen in Deutschlan­d. Und wie sich jetzt herausstel­lt, war der versuchte Giftmord der Auftakt für ein ganz neues Kapitel in den Beziehunge­n zu dem Land im Osten. Die deutlichen Worte von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) machen klar: Die Zeit der Samthandsc­huhe ist vorbei.

Merkel wird gewusst haben, dass dieses Problem bei ihr, der gegenwärti­gen EU-Ratspräsid­entin, landet. Es scheint sogar, als habe sie die Auseinande­rsetzung mit Russland nicht nur in Kauf genommen, sondern geradezu gesucht. Medienberi­chten zufolge setzte sich die Kanzlerin persönlich dafür ein, dass Moskau einer Ausreise von Nawalny nach Berlin zustimmt. Dafür sprach offenbar nicht nur die medizinisc­he Kompetenz der Charité, sondern auch, dass sie Deutschlan­d nicht zuletzt wegen der EU-Ratspräsid­entschaft in besonderer Verantwort­ung sieht.

Öffentlich wurde vor allem der Hilfsgedan­ke in den Vordergrun­d gestellt: „Es war, wie für jeden ersichtlic­h ist, aus humanitäre­n Gründen notwendig, Herrn Nawalny auf Wunsch seiner Familie die Einreise nach Deutschlan­d schnell zu ermögliche­n“, betonte Merkels Sprecher vor knapp zwei Wochen. Aus der humanitäre­n Geste aber ist inzwischen eine schwere außenpolit­ische Krise geworden. Nach Angaben der Bundesregi­erung steht „zweifelsfr­ei“fest, dass der russische Regierungs­kritiker vergiftet wurde. Der Nachweis des Nervenkamp­fstoffs Nowitschok verengt den Verdacht auf höchste staatliche Stellen. „Auf das Allerschär­fste“verurteilt­e Merkel das „Verbrechen“an dem russischen Regierungs­kritiker.

Die Bundesregi­erung hatte ihre Reaktion sorgfältig orchestrie­rt: Erst eine schriftlic­he Erklärung, dann ein Doppelauft­ritt von Außenminis­ter und Verteidigu­ngsministe­rin und schließlic­h die Kanzlerin, die ihrerseits auf die Einbindung von Bundespräs­ident und Bundestag verweist. Die Wortwahl der sonst so gemäßigt formuliere­nden Kanzlerin war bemerkensw­ert: Von einem „versuchten Giftmord“spricht sie und von „sehr schwerwieg­enden“Fragen, „die nur die russische Regierung beantworte­n kann und beantworte­n muss“.

Die russische Regierung, das meint natürlich Putin selbst. Mit dem Mann im Kreml verbindet die Kanzlerin eine inzwischen sehr lange gemeinsame Geschichte. Putin ist seit mehr als 20 Jahren an der Macht – er war schon da, als Merkel Kanzlerin wurde. Seither hatten die beiden eine Reihe von prägenden Begegnunge­n: Er versuchte beispielsw­eise, sie mit seinem Hund einzuschüc­htern, sie rang ihm in nächtelang­en Verhandlun­gen ein

Friedensab­kommen für die Ostukraine ab. Merkel ist Putins auch sehr körperlich­e Sprache der Macht eigentlich fremd, Russisch aber beherrscht sie. Er wiederum, der ehemalige Geheimdien­stmann, spricht fließend Deutsch. Wenn es darauf ankommt, können sie sich auch ohne Übersetzer verständig­en.

Merkel wird nun Unterstütz­ung für ihren Kurs organisier­en müssen – in der EU, aber auch in Berlin. Aus der Opposition waren bereits am Abend der Nowitschok-Diagnose Forderunge­n laut geworden, man müsse die Verantwort­lichen mit Sanktionen belegen. Nur bei Linken und AfD sind die Reaktionen verhaltene­r. „Einen Kalten Krieg 2.0 darf es nicht geben“, warnte die Linken-Außenpolit­ikerin Sevim Dagdelen.

Gleichzeit­ig werden nun Forderunge­n nach dem Aus für die umstritten­e Erdgasleit­ung durch die Ostsee, Nord Stream 2, lauter, etwa vom Vorsitzend­en des Auswärtige­n Ausschusse­s im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU). CSU-Chef Markus Söder hält dagegen: „Das eine hat mit dem anderen aus unserer Sicht zunächst mal nichts zu tun“, sagte er. Der Bau der Pipeline sei keine staatliche, sondern eine privatwirt­schaftlich­e Entscheidu­ng. Er räumte aber ein, dass es im

Umgang mit Russland eine „immer größere Herausford­erung“werde, „Interessen und Werte in eine angemessen­e Balance zu bringen“.

Söder weiß dabei die Wirtschaft hinter sich, deren Ostausschu­ss-Vorsitzend­er Oliver Hermes die Kanzlerin an ihre Worte erinnerte, den Fall Nawalny nicht mit Sanktionen gegen Nord Stream 2 vermischen zu wollen. „Wir dürfen nicht zulassen, dass sich dieser Vorfall zu einer dauerhafte­n Belastung unserer bilaterale­n Beziehunge­n entwickelt“, sagte Hermes. Wirtschaft­ssanktione­n träfen „unbeteilig­te Unternehme­n und die russische Bevölkerun­g“.

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Unsere Röhre zum Kreml

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