Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Bei der Gaspipeline gehen die Meinungen auseinander
Agnieszka Brugger fordert Ende von Nord Stream 2 – Roderich Kiesewetter will Putin noch Zeit geben
RAVENSBURG (thg) - Für Agnieszka Brugger ist die Sache klar: „Es braucht eine starke und gemeinsame europäische Antwort auf diesen Mordanschlag. Spätestens jetzt muss Nord Stream 2 beendet werden“, sagt die Bundestagsabgeordnete und Grünen-Verteidigungsexpertin aus Ravensburg. Zweifel daran, wer die Verantwortung an der Vergiftung Alexej Nawalnys trägt, hat sie nicht. „Wenn wir von diesem Kampfstoff ausgehen, kann das nicht einfach eine kriminelle Gruppe gewesen sein. Dazu braucht es wirklich staatliche Strukturen. Auch die Äußerungen der Kanzlerin würden nicht so deutlich ausfallen, wenn es noch Zweifel gäbe“, sagt sie.
Deshalb müsse sich die Bundesregierung jetzt die Frage gefallen lassen, was nach den Ereignissen in der Ukraine, in Syrien, dem Tiergartenmord in Berlin und jetzt dem Mordanschlag auf Nawalny noch passieren muss, damit es endlich eine klare und harte Reaktion gegenüber dem
Kreml gibt. „Eine solche Politik, wie sie Putin schon seit Jahren in dieser Brutalität betreibt, unbeantwortet zu lassen und gutgläubig die energiepolitische und wirtschaftliche Zusammenarbeit auszubauen, halte ich für hochgefährlich“, sagt Brugger.
Außerdem komme es darauf an, dass die EU mit einer gemeinsamen Stimme spricht. „Eine Europäische Union, die an ihre eigenen Werte, an Menschenrechte glaubt, kann so etwas nicht unbeantwortet lassen. Wenn sie es tut, sendet sie auch eine
Botschaft an all die anderen Bad Guys in dieser Welt, dass man so mit missliebigen Meinungen umgehen kann, ohne eine Reaktion befürchten zu müssen.“
Roderich Kiesewetter, Bundestagsabgeordneter aus Aalen und Russland-Berichterstatter der CDUFraktion, hält sich mit Schuldzuweisungen in Richtung Putin noch etwas zurück. „Es muss in unser aller Interesse sein, dass Russland den Schuldvorwurf aufklärt“, sagt er. Er halte jedoch für wahrscheinlich, dass die russische Führung „zumindest ein Klima geschaffen hat, dass diejenigen, die Zugang zu Regierungskritikern haben, sich selbst ermächtigen und diese mit verbotenen Kampfstoffen aus dem Weg räumen.“
Kiesewetter will der russischen Führung noch ein bisschen Zeit geben, an der Aufklärung mitzuwirken. „Wenn Russland das nicht tut, sollte man über die bisherigen Krim- und Ukraine-bezogenen Sanktionen hinausgehen. Schlichte Ausweisungen von Diplomaten haben sich als wirkungslos erwiesen. Man sollte daher zusätzlich mit gezielten, europäisch abgestimmten Personensanktionen gegen den Kader der russischen Führung vorgehen.“
Anders als Brugger hält Kiesewetter jedoch wenig vom Stopp des umstrittenen Pipelineprojekts Nord Stream 2 – aus pragmatischen Gründen. „Nord Stream 2 war von Anfang an ein fehlgeleitetes Projekt“, sagt er. „Bundeskanzlerin Merkel hat es von Gerhard Schröder geerbt und – um es mal schwäbisch zu sagen – ich halte Nord Stream 2 für einen Granatenfehler.“Es jetzt aufzugeben würde unsere Energieversorgung aber extrem gefährden, sagt er: „Wir können nicht aus der Kernkraft aussteigen, aus der Kohle aussteigen, amerikanisches Schiefergas verurteilen und dann noch auf russisches Gas verzichten. Hier haben wir uns selbst eingeengt und den Hals zugeschnürt. Zu Nord Stream 2 müssen wir jetzt stehen.“