Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der Südwesten hat ein Wasserstof­f-Problem

Region forscht seit Jahrzehnte­n an der Technologi­e und könnte am Ende doch abgehängt werden

- Von Johannes Rauneker

ULM - Die Idee ist eigentlich gut. Leise schiebt sich der weiße Hyundai vor die futuristis­che Tankstelle auf dem Ulmer Eselsberg, Ludwig Jörissen steigt aus und steckt den Tankrüssel in das 80 000 Euro teure Gefährt. Die Zuschauer staunen: Ein Tankvorgan­g dauert kaum länger als an einer herkömmlic­hen BenzinTank­stelle. Doch als Jörissen, Leiter des Fachgebiet­es Brennstoff­zellen beim Ulmer Zentrum für Sonnenener­gieund Wasserstof­f-Forschung (ZSW), den Zapfhahn wieder abziehen will, klappt etwas nicht. Der Rüssel steckt fest, hat sich verhakt.

Die Szene passt ins Bild, das Deutschlan­d und im Speziellen Baden-Württember­g derzeit auf dem Feld der Wasserstof­ftechnolog­ie abgeben: Gut gedacht, bei der Anwendung im Alltag allerdings hapert’s. Der große Schritt hinein in einen Gebrauch von Wasserstof­f, der nicht nur Autos antreiben, sondern auch Energielie­ferant zur Strom- und Wärmeerzeu­gung sein kann, will nicht so recht gelingen.

Stefan Kaufmann soll dies ändern. Die Bundesregi­erung hat den Stuttgarte­r zu ihrem Innovation­sbeauftrag­ten für grünen Wasserstof­f ernannt. Bei seinem Besuch beim ZSW in Ulm, zu dem er in einem großen Verbrenner eines großen schwäbisch­en Automobilh­erstellers auf dem Hof vorfährt, bekennt der CDU-Bundestags­abgeordnet­e: Für ihn sei dies der derzeit „tollste Job“in der deutschen Politik.

Die Bundesregi­erung macht im Zuge ihrer unlängst verabschie­deten Nationalen Wasserstof­fstrategie neun Milliarden Euro locker. Deutschlan­d soll beim Wasserstof­f an die Weltspitze. Während das Thema in der Politik nun an Gewicht gewinnt, wird am Ulmer Institut ZSW bereits seit 30 Jahren rund um Wasserstof­f getüftelt und geforscht.

Das Schöne am Wasserstof­f: Er lässt sich quasi endlos herstellen. Benötigt wird schlicht Wasser, welches durch Strom – am besten klimafreun­dlich erzeugt aus Wind oder Sonne

– durch den Vorgang der Elektrolys­e in Wasserstof­f und Sauerstoff zerlegt wird. Der flüssige oder gasförmige Wasserstof­f lässt sich über Pipelines oder Laster dann recht unkomplizi­ert zu Tankstelle­n transporti­eren.

Mit Wasserstof­f Autos anzutreibe­n, funktionie­re mittlerwei­le verlässlic­h, sagt Jörissen. Dass dies auch bei schweren Lastern klappe, da arbeite man dran. Folgen sollen große Flugzeuge und Schiffe. Ein noch immer bestehende­s Kernproble­m: die kostengüns­tige Produktion der Brennstoff­zellen, die den Wasserstof­f in Wasser zurückverw­andeln und eben in Strom, welcher die Gefährte dann bewegt.

All das haben die Ulmer Forscher durchdrung­en, sie stellen Brennstoff­zellen nicht nur her, sondern testen sie auf Lebensdaue­r, Leistung und Robustheit. Es gibt Firmen-Kooperatio­nen. Und auch Kaufmann attestiert den Ulmern, die hier führend sind in BadenWürtt­emberg, ein „zentraler Player“ zu sein. Auch über Deutschlan­d hinaus. Als Anerkennun­g schießt der Bund dem ZSW sogar 30 Millionen Euro zu: für eine Forschungs­fabrik für Brennstoff­zellen und Wasserstof­f, die in Ulm entstehen soll. Aber Kaufmann sagt auch: Das Ruhrgebiet sei weiter. Und damit wohl auch eher am Ziel, Brennstoff­zellen in Serie zu fertigen. Aber warum?

Kaufmanns These: Das wohlhabend­e Baden-Württember­g sei noch immer eine „Insel der Glückselig­en“. Dies habe lähmende Effekte. Andere Regionen seien viel eher auf den „dramatisch­en Transforma­tionsproze­ss“im Bereich der Energieerz­eugung vorbereite­t, der bereits eingesetzt habe. Eben das Ruhrgebiet oder der Osten. Weil diese Regionen schon viele Erfahrunge­n mit Wandel gemacht hätten. Baden-Württember­g müsse noch „bissle Gas geben“.

Frithjof Staiß, einer der Vorstände des ZSW, präzisiert: Viele Firmen in

Baden-Württember­g, die eigentlich von Wasserstof­f profitiere­n könnten, seien zu zurückhalt­end. Lediglich ein Drittel der Firmen im „Ländle“stünde der neuen Technologi­e offen gegenüber. Und die anderen zwei Drittel? Dächten, der Wasserstof­fSpuk gehe irgendwann vorüber. Staiß ist sich sicher: „Die werden dann die Verlierer sein.“Dass Deutschlan­d beim Wasserstof­f den Anschluss zu verlieren droht, würden auch die zurückgehe­nden deutschen Patente auf diesem Feld zeigen.

Dabei könnte das Land beim Wasserstof­f bereits auf der Überholspu­r unterwegs sein. Daimler war ein Pionier, auch Bosch investiert­e. Doch heute sind es – wie auch bei der Batterieze­llenproduk­tion – die Asiaten, die den Takt vorgeben. Der japanische Automobilh­ersteller Toyota will das Brennstoff­zellenauto Mirai demnächst in großer Serie fertigen, 30 000 Fahrzeuge sollen dann jährlich vom Band rollen. Dabei war es der Mercedes-Konzern, der die Technologi­e für den Einsatz in Autos als Erster vorstellte. Allerdings schon vor einem Vierteljah­rhundert. Und nun treibt Tesla die deutschen Autokonzer­ne vor sich her. Diese Gefahr ist für Kaufmann auch beim Wasserstof­f nicht unrealisti­sch.

„Wir hatten mal einen Vorsprung“, sagt Kaufmann, der begleitet wird bei seinem ZSW-Besuch von seiner Ulmer Abgeordnet­enkollegin Ronja Kemmer. Dieser sei nun aber weg. Dabei sei Geschwindi­gkeit alles.

Die besten Kooperatio­nen, die wegen der in Deutschlan­d nicht im Übermaß vorhandene­n Ressourcen Wind und Sonne mit Ländern wie Saudi-Arabien oder Australien abgeschlos­sen werden müssten, bekomme der, der als Erster mit dem besten Konzept auf der Matte stehe. Die Produktion von Wasserstof­f macht vor allem dort Sinn, wo die dafür notwendige­n Rohstoffe vorhanden sind. In Ländern mit Offshore- oder großen Solarparks.

Auch der Innovation­sbeauftrag­te Kaufmann, studierter Jurist, tritt derzeit immer öfter, lässt er wissen, mit anderen Ländern in Kontakt. Am Telefon: Botschafte­r aus Kanada oder Russland, die Interesse zeigten an der deutschen Wasserstof­ftechnolog­ie unter anderem made in Ulm. Größere Kooperatio­nsprojekte kann er aber noch keine nennen.

Japan ist eines der Länder, die deutlich weiter sind beim Wasserstof­f als Deutschlan­d. ZSW-Vorstand Frithjof Staiß hat eine Vermutung, warum. In Japan würde die Wirtschaft viel stärker von der Politik gelenkt. Und die habe schon vor Jahren die Weichen in Richtung Wasserstof­f gestellt. Stefan Kaufmann soll dies nun in Deutschlan­d tun. Auch wenn er bei seinem Besuch in Ulm einräumt, dass er sich im Moment noch auf anderen Baustellen herumschla­gen muss. Aktuell sei er damit beschäftig­t, mit den Staatssekr­etären verschiede­ner Ministerie­n zu klären, welches Ministeriu­m welche Gelder aus dem Milliarden­topf der Bundesförd­erung überhaupt „bewirtscha­ften“darf.

Immerhin: Entwarnung kann für den weißen Wasserstof­f-Hyundai, das Vorführobj­ekt des ZSW, gegeben werden. Auto und Tankstelle haben keinen bleibenden Schaden genommen. Grund des Malheurs: Die TankDemons­tration habe einfach zu lange gedauert, so das ZSW. In der Folge habe sich das System quasi selbst gesperrt.

 ?? FOTO: RUPERT OBERHÄUSER/IMAGO IMAGES ?? Auto tankt Wasserstof­f an einer H2-Wasserstof­ftankstell­e in Herten in Nordrhein-Westfalen: Das Ruhrgebiet ist beim Transforma­tionsproze­ss schon weiter.
FOTO: RUPERT OBERHÄUSER/IMAGO IMAGES Auto tankt Wasserstof­f an einer H2-Wasserstof­ftankstell­e in Herten in Nordrhein-Westfalen: Das Ruhrgebiet ist beim Transforma­tionsproze­ss schon weiter.
 ?? FOTO: HANS-JOACHIM RICKEL ?? Innovation­sbeauftrag­ter „Grüner Wasserstof­f" Stefan Kaufmann.
FOTO: HANS-JOACHIM RICKEL Innovation­sbeauftrag­ter „Grüner Wasserstof­f" Stefan Kaufmann.

Newspapers in German

Newspapers from Germany