Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Im Reich der scheuen Bären und hölzernen Pferde
Die Provinz Dalarna gilt als Schweden en miniature mit viel Wald und Wasser und wenig Menschen
Unberührte Natur, glitzernde Seen, ausgedehnte Wälder, wilde Tiere, Naturparks, Wasserfälle, in klassischem Falunrot gestrichene Holzhäuschen: Wer in das schwedische Dalarna reist, der wird sich in einer Nussschale wiederfinden. Die Provinz gilt als Miniatur-Schweden und bietet alles, was das nordische Leben ausmacht: viel Wald, viel Wasser, wenig Menschen. Auch das schwedische Knäckebrot sowie die bunt bemalten Dalapferde aus Holz werden in dieser Region, 300 Kilometer nördlich von Stockholm, hergestellt.
Die mittelschwedische Provinz Dalarna ist in etwa so groß wie Brandenburg. Wo früher Bauern arbeiteten, urlauben heute Touristen in alten Sennhütten. Im Örtchen Fryksas steht die älteste Alm der Region, die heute als Hotel Besucher willkommen heißt und mit einer malerischen Aussicht auf den Siljansee und die umliegenden Dörfer punktet. Der Blick von hier oben fällt in eine Welt, in der öffentliche Straßen und Buslinien enden. Die wenigen Holzhäuser, die in diese beinahe unberührte Natur eingebettet sind, wirken verlassen, beinahe einsam.
Wenngleich mit 9,5 Einwohnern pro Quadratkilometer – in BadenWürttemberg sind es fast 33-mal so viele – nur wenige Menschen in dieser Region leben, so gibt es doch einen stillen Begleiter, der immer dabei ist. Die kraftvolle, fast endlose Natur kann für den Dalarna-Urlauber zum Verbündeten werden.
Im Fulufjället Nationalpark warten einige Superlative. Auf den 140 Kilometer Wanderwegen steht der angeblich älteste Baum der Welt, eine 9550 Jahre alte Fichte. Und der höchste Wasserfall Schwedens, Njupeskär, rauscht durch den Park. Es kann in einfachen Hütten übernachtet werden. Zelten ist ebenfalls gestattet. Sofia Tiger ist eine von etwa zehn Angestellten, die sich um den Park und dessen Besucher kümmert. „Es gibt viele geschützte Gebiete hier im Norden der Provinz Dalarna. Dieser Nationalpark war lange nur ein Naturreservat. Erst 2002 wurde er zum 28. Nationalpark in Schweden. Die Menschen, die hier leben, waren zunächst dagegen. Sie haben hier gejagt und gefischt. Aber dann haben sie verstanden, dass mehr Besucher kommen würden. Und das schafft ja Jobs“, erzählt Tiger. Der Wald wächst hier, wie es ihm gefällt. Es wurde nie groß abgeholzt. Tiger schwärmt: „Für uns ist das ein Märchenwald, denn man kann sich gut vorstellen, dass es hier Trolle und andere geheimnisvolle Lebewesen gibt.“
Wer es lieber tierisch mag, kommt in Dalarna auch auf seine Kosten. Im größten Raubtierpark Europas, Rovdjurspark, in Orsa können die wilden Jäger der nördlichen Hemisphäre beäugt werden: Wölfe, Sibirische Tiger, Eisbären oder Luchse. Auch Braunbären, insofern die scheuen Tiere sich überhaupt zeigen. Diese haben in Dalarna eine besondere Bedeutung und gelten als schwedisches Staatseigentum. Mit etwa 400 Braunbären in freier Wildbahn ist Dalarna die bärenreichste Region in Schweden, das insgesamt rund 2500 dieser Tiere beheimatet.
Die Biologin Andrea Friebe ist 1997 von Deutschland nach Schweden ausgewandert und erforscht seither das Leben der Braunbären. Sie bietet mit ihrem Team auch eine Bärensafari und verschiedene Exkursionen an. Bärenspuren suchen, die Tiere per Sender peilen, ihnen etwas näher kommen, um am Ende hoffentlich nie einen Bären zu treffen. Was sowieso unwahrscheinlich ist. „Eigentlich bleibt ein Bär an ein und derselben Stelle. Und wenn man sich ihm so auf 40 Meter nähert, entscheidet der Bär oft, wegzugehen oder sich zu ducken“, erklärt Friebe.
Greifbarer und kontaktfreudiger sind hingegen die Huskys, die bei Idre zu Hause sind. Im Winter wie im Sommer wollen die aufgeweckten Tiere nur eines: möglichst viel Auslauf und Bewegung. Bei Ann Laure Benat gibt es neben den bekannten Winter-Husky-Schlittentouren auch die weniger bekannten Sommeraktivitäten. Angefangen beim HuskySpaziergang oder besser gesagt „Spazierenziehen“, denn die Tiere sind sehr stark und gut trainiert. „Im
Herbst trainieren wir die Hunde mit einem Quad ohne Motor. Dadurch bekommen sie Muskeln und vor allem Ausdauer für den Winter. Ein Hund kann das Dreifache seines eigenen Gewichts ziehen“, sagt Benat. Bei einer Tretroller-Tour wird ein Husky vor den Roller gespannt, um seinen Passagier durch die Wälder Schwedens zu ziehen.
Wer es bevorzugt, sich selber auszupowern, kann in den Bergen wandern, auch im benachbarten Norwegen. Das Fischerboot „Sylära“, auf das gerade mal 20 Passagiere passen, fährt dreimal am Tag über den Grövelsjön-See von Sjöstugan in Schweden nach Norwegen. Eine Wanderung führt über eine Hochebene wieder nach Schweden zurück. Björn Jonsson ist Wanderführer. Den Weg von Norwegen nach Schweden mag er besonders: „Hier geht es bis auf 1070 Meter. Das ist nicht sehr hoch. Allerdings liegt die Baumgrenze schon bei 900 Metern. Deshalb ist es ein bisschen wie eine Landung auf dem Mond.“Immerhin allerlei Beeren wachsen hier. Wacholder, Preiselund Blaubeeren. So kann der Wanderer mehrmals eine sogenannte Beeren-Fika einlegen. Fika heißt in Schweden die beliebte Kaffeepause, bei der es in den Bergen auch gerne mal Beeren gibt. Umso schöner, wenn die Früchte direkt am Wegesrand wachsen.
Auf einer Reise durch Dalarna führt kein Weg an Idre vorbei. Hier befindet sich die südlichste samische Siedlung Schwedens. Die Samen sind Europas einziges indigenes Urvolk. Vier Familien leben hier von der Rentierhaltung. Peter Andersson bietet auch Touren mit Rentieren und Übernachtungen in einer typischen kåta (gesprochen „Kohta“) an. Voller Enthusiasmus berichtet Andersson von der samischen Kultur, Tradition und der Rentierzucht. Bis zu 3000 Rentiere leben frei in der Region. Und doch haben sie alle einen Besitzer, den man aber niemals fragen sollte, wie viele Tiere er besitzt: „Fragen kannst du schon, aber du bekommst keine Antwort. Ich sage dir, wie viele Rentiere es hier in der Region gibt, aber nicht, wie viele davon mir gehören oder meinem Bruder oder meinen Kindern“, bemerkt Andersson. Früher waren die Rentiere das Einzige, was ein Sami hatte. Und wer viele Rentiere besaß, war ein reicher Mann. Andersson und seine Frau Helena leben auch heute noch von den Tieren. Sie verkaufen das Fleisch oder bekochen Besucher im Zelt mit traditionellen Sami-Gerichten. Aus den Rentierfellen fertigen sie Kleidung und Schuhe. Denn die Haare der Tiere sind innen hohl und können damit viel Wärme speichern.
Das Leben einer Sami-Familie richtet sich nach dem Jahreslauf. Und dieses einfache Leben im Einklang mit der Natur an einem Ort, in dem viel Energie steckt, schenkt auch den Touristen Kraft.