Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Anfangs mussten die Frauen besser sein“
Der Ravensburger Instrumentenbauer Erich Lange fördert das Musizieren der Jugend
RAVENSBURG - Die Trommler beim Rutenfest und die Mädels – ein heikles Thema. Der leidenschaftliche Blasmusiker und Ravensburger Geschäftsmann Erich Lange schmunzelt: „Der Kulturwandel fing in den Volksmusik-Kapellen viel früher an. Anfangs gab‘s Widerstand bei den Älteren gegen Frauen in den Musikkapellen. Früher waren sie dann weg, wenn sie Kinder kriegten. Heut sind sie schnell wieder da. Da muss der Mann eben zu Hause bleiben, wenn sie abends zur Probe geht.“Erich Lange fördert seit Jahren das Musizieren von jungen Menschen in ländlichen Kapellen und Schulklassen. Ein Kulturwandel hat stattgefunden.
Erich Langes Schwester spielte vor vielen Jahren in der Stadtkapelle in der Prozession am Blutfreitag. „Da gab’s ein paar schiefe Gesichter“, erinnert er sich. „Heute ist das völlig normal. Es fand ein komplettes Umdenken statt. Anfangs mussten die Frauen besser sein als die Männer. Aber heute haben wir Frauen als Musikwarte und Dirigentinnen. Der Fächer der Musik hat sich weiter geöffnet, nicht nur in der Blasmusik. Die einen sind ausgleichender, die anderen strenger, vielleicht, weil sie sich noch immer als Frauen durchsetzen müssen.“
Der Kulturwandel kam nicht nur durch die jungen Frauen, sondern durch die Jugendlichen generell. Da fanden (und finden) musikalisch viele Kompromisse statt. Der 14-Jährige sitzt neben dem 74-Jährigen. Da entstanden Ska-Bands, heute eher LatinBands, aber Märsche und Ouvertüren werden noch immer gespielt. Lange: „Man kann das eine tun und das andere nicht lassen.“Aus Tirol kommt das „Weisenblasen“, zwei bis vierstimmig, „da wird instrumental artikuliert wie beim Singen. Oder es stehen Melodien aus dem Brandnertal neben Michael Jackson.“
Dafür stehen Kapellen wie „So & So“oder „Quetschenblech“, die Musiker zwischen 17 und 26 Jahren, Jungs und Mädels. Als „laut, frech, gewaltig und garantiert staubfrei“bezeichnen sie sich, und „Mnozil Brass füllt Säle“, sagt Erich Lange begeistert.
„Was macht einen Ort zu einer Gemeinschaft?“, fragt sich der Volksmusiker Rudi Hämmerle von der Gillenbach Band, heute Vorsitzender des Blasmusikkreisverbandes. Antwort: Die örtliche Musik-Kapelle. Ja, stimmt Erich Lange vom gleichnamigen Musikhaus zu. „Vereine sind die besten Integrationsmaschinen, vor allem wenn es um den Zuzug geht und die Integration der Fremden. Ob Musik oder Feuerwehr oder Fußball ist zweitrangig. Musik ist auf dem Land belebend und emanzipativ.“
Die Begeisterung für Musik, der Entschluss, ein Instrument zu erlernen, dabei zu bleiben, später in eine Band einzutreten, oder gar in ein Jugendorchester, muss nach Langes Erfahrung früh beginnen und in einer Gruppe. Der Deutsche Musikrat geht in Deutschland von 15 Prozent musizierenden Menschen aus. In Japan sind es 80 Prozent. Über 10 000 Blaskapellen gibt es in Japan. „In Kyoto habe ich eine Musikschule mit 90.000 Schülern besucht. Deshalb finden wir in allen deutschen Orchestern so viele Asiaten“, so Lange.
1994 wurde das vielleicht bedeutendste Engagement in Erichs Langes langem Musikerleben Teil der schulischen Curricula: das klassenmäßige Musizieren. Dies bedeutet, dass jedes Kind in einer Schulklasse ein Instrument bekommt, egal ob es Musikunterricht hatte oder nicht, ob sich die Eltern ein Instrument und den Unterricht leisten könnten und ob es Noten lesen kann. Es wurde zu einem Pilotprojekt des baden-württembergischen Kultusministeriums.
Sehr schräge Töne hörte man in den ersten Klassen, die Erich Lange in die Instrumente einführte. Doch um die schönen Töne ging es anfangs ja auch nicht, sondern um soziale Kompetenzen. „Jeder lernt von jedem, das gemeinsame Musizieren ist integrativ. Die ersten Klassen, die ich begleitete, haben sich völlig verändert. Da war der 14-jährige Junge, der nicht in der Klasse integriert war. Er wählte für sich die Tuba. Wenn der nicht kam, fehlte was und schon war der wer. Plötzlich hatten sie Spaß, Noten zu lernen.“Lehrer, Eltern und die Kinder haben in diesem Projekt die „Nebenwirkungen“erkannt, weiß Erich Lange: es entsteht mehr Teamfähigkeit, „der Raum ist voller Instrumente, die müssen gesäubert, und überholt werden“; es steigert die Konzentration, die Aufmerksamkeit und Rücksicht auf die anderen. „Am meisten haben sich hibbelige Kinder verändert. Über Musik eröffnen sich für alle Kinder, egal aus welchem Milieu sie kommen, neue Welten.“
Vieles hat sich verändert: Musiklehrer, in Schulen wie in Musikschulen, gaben traditionell Einzelunterricht, jetzt unterrichten sie viel mehr in Gruppen. Das Projekt existiert noch immer. In jeder Klasse, die sich dafür qualifiziert, läuft es über zwei Jahre gebührenfrei. Danach entstehen geringe Gebühren und meist auch Fördervereine. Viele Schüler bleiben dabei. Sie spielen in der örtlichen Jugendkapelle, später zusammen mit den Erwachsenen. In der Stadt stärkt dieses Musizieren die Jugendorchester,
wie im Ravensburger Stadtorchester.
Die Zukunft der Musikkapellen auf dem Land und in der Stadt scheint gesichert in dieser Region. Lange: „Die großen Musikfeste sind eine Riesenparty. Das ganze Zelt steht für zwei Stunden auf den Tischen.“Dennoch: es gibt auch ein Nachwuchsproblem. „Es ist heute leichter, sich individuell in PC-Spiele einzuklinken, als an einem Instrument in einer Gruppe dran zu bleiben. Die Zahl der Vereine nimmt zu, die sich zusammenlegen müssen mit anderen Kapellen, weil sie alleine kein Jugendorchester mehr hinbekommen. Aber das brachte auch Mobilität. Ich spiele hier und dort. Die Grenzen haben sich geöffnet.“
Einen Wunsch hat Erich Lange für Ravensburg: die Basler Trommelschulen, die bei der Basler Fasnet in den frühen Morgenstunden die verdunkelte Stadt im Magie hüllen mit ihren Trommeln und Piccoloflöten und die Wirtschaften mit Menschen füllen.