Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

190-mal Schmerzens­geld für Polizisten

Gewerkscha­ften fordern Nachbesser­ungen bei den Hilfen für Beamte und Angestellt­e

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Ein junger Mann springt einem Polizisten in den Rücken, der Polizist fällt zu Boden. Diese Szene der Krawallnac­ht in Stuttgart Ende Juni – festgehalt­en in einem Video – ist ein Beispiel dafür, welcher Gewalt die Polizei mitunter ausgesetzt ist. Werden Beamte im Dienst verletzt, können sie Schmerzens­geld einklagen. Zu oft war in früheren Jahren bei den Tätern aber nichts zu holen – die Opfer gingen leer aus. Das ist zwar seit einer Gesetzesän­derung inzwischen anders. Die Regel müsse aber nachgebess­ert werden, fordern die Gewerkscha­ften.

Seit Dezember 2018 übernimmt das Land Schmerzens­geldansprü­che seiner Beamten und Angestellt­en, wenn die Täter nicht zahlen können. Davon profitiert jeder Bedienstet­e des Landes, nicht nur Polizisten. Sie sind aber am stärksten betroffen. Gewalttäti­ge Übergriffe auf Polizisten im Land sind laut Kriminalst­atistik im vergangene­n Jahr auf ein Rekordnive­au von fast 5000 Fälle gestiegen.

Nach anfänglich­em Ruckeln hat sich der Prozess laut Innenminis­terium und Polizeigew­erkschafte­n inzwischen eingespiel­t. 268 Anträge von Polizisten auf Übernahme des Schmerzens­gelds seien bis Ende Juli eingegange­n, erklärt ein Sprecher von Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU). 190 davon seien bereits erledigt. Nur in Einzelfäll­en habe das Land nicht gezahlt, weil etwa Fristen versäumt worden waren. Die restlichen 78 Anträge seien noch in Bearbeitun­g. Wie viel Geld das Land hierfür aufgebrach­t hat, sei bislang nicht erhoben worden, so Strobls Sprecher.

Aus den Gefängniss­en habe es bislang erst einen solchen Antrag gegeben, sagt ein Sprecher von Justizmini­ster Guido Wolf (CDU). Eine Entscheidu­ng darüber stehe noch aus. Gravierend­e Übergriffe auf das Gefängnisp­ersonal kommen laut Statistik relativ selten vor. Im vergangene­n Jahr ist die Zahl auf 25 gesunken, bis Mitte Juni dieses Jahr waren es demnach sieben.

Dennoch sei die Regelung wichtig, betont Alexander Schmid, Landesvors­itzender des Bunds der Strafvollz­ugsbediens­teten. Er gibt ein Beispiel: Eine Kollegin sei vor einigen Jahren im Dienst von einem Häftling so schwer verletzt worden, dass sie seitdem dienstunfä­hig sei. Der Inhaftiert­e sei zwar dafür verurteilt und der Kollegin Schmerzens­geld zugesproch­en worden. Der Mann habe sich aber das Leben genommen, die Kollegin habe nie etwas von dem Geld gesehen.

Auch die Polizeigew­erkschafte­n loben die Neuerung im Beamtenges­etz. „Wir sind nun besser aufgestell­t als andere Länder“, sagt etwa HansJürgen Kirstein, Landesvors­itzender der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP). Bayern war beispielsw­eise mit einer solchen Gesetzesän­derung früher dran. Im Freistaat muss das vom Gericht zugesproch­ene Schmerzens­geld aber mindestens 500 Euro betragen. Zudem wird das Land nur dann aktiv, wenn zuvor versucht worden war, das Schmerzens­geld beim Täter einzutreib­en. Baden-Württember­g setzt keine solchen Hürden. „Strobl und Wolf haben da etwas richtig Gutes gemacht“, sagt daher auch Ralf Kusterer, Landesvors­itzender der Deutschen Polizeigew­erkschaft (DPolG). „Im Sinne der Beschäftig­ten muss das Land aber nun nachbesser­n.“

Die Gewerkscha­ften kritisiere­n, dass es sich um einen tätlichen, vorsätzlic­hen Angriff handeln muss. Eine Beleidigun­g oder Bedrohung reiche hierfür nicht aus. Das hat laut

Kusterer mitunter sogar Einfluss auf das zugesproch­ene Schmerzens­geld: „Wir beobachten, dass Polizeiprä­sidien einen Anteil des Schmerzens­geld herausrech­nen, wenn es neben dem tätlichen Angriff auch zu einer Beleidigun­g kam.“Das dürfe nicht sein.

Zudem halten die Gewerkscha­ften an ihrer Kritik fest, dass es nur dann Schmerzens­geld gibt, wenn die Täter zurechnung­sfähig waren – also weder berauscht noch psychisch eingeschrä­nkt. Das entspreche zwar der Rechtslage, so Kusterer. „Aber deshalb muss man die Rechtslage ändern. Man kann das doch nicht vergleiche­n mit einem normalen Bürger, der in so einem Fall vom Gericht auch kein Schmerzens­geld zugesproch­en bekommt. Es geht hier um eine besondere Aufgabe des Beschäftig­ten im öffentlich­en Dienst, die ihn dazu zwingt, tätig zu werden.“

Kusterer verweist als Beispiel auf einen Fall in Bad Herrenalb Mitte August. Acht Polizisten seien zu einem stadtbekan­nten, psychisch kranken Mann gefahren, um ihn dem Amtsgerich­t Tübingen vorzuführe­n.

Als die Beamten die Wohnung betraten, habe der Mann mit einem Samuraisch­wert auf sie eingeschla­gen. Zum Schutz hielt sich ein Polizist den Arm vor den Kopf. „Er hat dem Kollegen den Arm fast durchtrenn­t“, sagt Kusterer. „Für solche Fälle brauchen wir eine Ausnahmere­gelung, damit der Dienstherr, also das Land, eine Zahlung vornehmen kann.“

Auch das Innenminis­terium sieht offenbar Grund zum nachbesser­n, wie Strobls Sprecher sagt. „Wir haben von Anfang an klargestel­lt, dass wir gerne nach einiger Zeit des Wirkbetrie­bs im Gespräch etwa mit den Polizeigew­erkschafte­n und den Dienststel­len vor Ort die bestehende­n Regelungen intensiv betrachten und prüfen, ob bezüglich der Voraussetz­ungen Vorsatz und Deliktfähi­gkeit ein Nachsteuer­n notwendig ist.“Ob das noch bis zu den Landtagswa­hlen im März passiert? Die Gewerkscha­ften haben geringe Hoffnung. „Dann wäre es unser Wunsch, dass sich die Parteien wenigstens in ihren Wahlprogra­mmen dazu positionie­ren“, so GdP-Landeschef Kirstein.

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FOTO: CARSTEN REHDER/DPA Gewalttäti­ge Übergriffe auf Polizisten im Land sind laut Kriminalst­atistik im vergangene­n Jahr auf ein Rekordnive­au gestiegen.

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